Die Bundesrepublik liegt mit an der internationalen Spitze bei der Zahl internationaler Wissenschaftler? Stimmt – doch auf den zweiten Blick fällt die Internationalisierungsbilanz ambivalent aus. Mangelnde Klarheit bei den Berufsaussichten, Zweifel an der Leistungsgerechtigkeit und Diskriminierungserfahrungen schmälern die berufliche Zufriedenheit. Ein Gastkommentar von Gregor Fabian, Christophe Heger und Ulrich Heublein.
Foto: KI-generiert.
OHNE ZWEIFEL lebt die Innovationskraft eines Wissenschaftssystems auch vom Grad seiner Internationalisierung. Orientierung auf die weltweit fortgeschrittensten Erkenntnisse und Verfahren sowie Einbeziehung unterschiedlicher Forschungsperspektiven sind für den wissenschaftlichen Fortschritt von erheblicher Bedeutung. In diesem Sinne zielt Internationalität vor allem auf internationale Wissenschaftskooperationen und auf den Wettbewerb um das weltweit beste Wissenschaftspersonals für Hochschulen und Forschungseinrichtungen.
Wie ist die Situation in Deutschland? Zumindest in Bezug auf Forschende aus dem Ausland scheint das deutsche Wissenschaftssystem beträchtlichen Nachholbedarf zu haben. Jan-Martin Wiarda bezeichnet zwar in seinem Beitrag vom 12. November in diesem Blog den Anteil der internationalen Wissenschaftler von rund 15 Prozent an deutschen Hochschulen und von 30 Prozent an außeruniversitären Forschungseinrichtungen als "extrem hoch". Nachholbedarf sieht er vor allem bei der internationalen Besetzung von Professuren sowie an den HAW.
Tatsächlich aber erreichen andere Länder nicht nur bei den Professoren ein weitaus höheres Internationalisierungsniveau. So können Schweizer und niederländische Universitäten beim internationalen Wissenschaftspersonal insgesamt auf Anteile von 50 Prozent bzw. 43 Prozent verweisen. Und auch im Vereinigten Königreich oder an österreichischen Universitäten fällt der entsprechende Wert mit 33 Prozent doppelt so hoch aus wie in Deutschland.
Internationales Wissenschaftspersonal befördert nur
dann Innovation, wenn die Arbeitsbedingungen passen
Auch wenn solche quantitativen Angaben gerne zitiert werden, wenn es um den Stand der Internationalisierung geht – und das trifft neben dem Wissenschaftspersonal zum Beispiel auch auf internationale Studierende zu – so würde doch eine darauf beschränkte Betrachtungsweise wesentliche Aspekte ausblenden. Die Berücksichtigung qualitativer Entwicklungen ist mindestens genauso wichtig. Das bedeutet: Eine hohe Zahl internationaler Studierender ist erst dann ein Erfolg, wenn sich auch deren Studienerfolg auf hohem Niveau bewegt. Und internationales Wissenschaftspersonal befördert nur dann Innovation, wenn dafür auch die notwendigen Arbeits- und Forschungsbedingungen bestehen.
Über die Arbeitssituation an den deutschen Hochschulen gibt die regelmäßig durchgeführte DZHW-Wissenschaftsbefragung, an der sich 2023 mehr als 11.000 deutsche und internationale Wissenschaftler beteiligten, umfassend Auskunft. Dabei zeigte es sich, dass das internationale Personal das Wissenschaftssystem in Deutschland in seinen verschiedenen Ausprägungen durchweg positiver beurteilt als die deutschen Kollegen. Die Erfahrung anderer Systeme, die bei den Forschern aus anderen Ländern zu vermuten ist, lässt offenbar das Urteil über die Wissenschaft in Deutschland nicht in einem schlechteren Licht erscheinen. Das ist ein wichtiger Befund.
Doch ist dabei zu berücksichtigen, dass die einzelnen Aspekte unterschiedlich bewertet werden. So erhalten Wissenschaftsfreiheit und Autonomie, gesellschaftliche Relevanz der Forschung sowie Innovationsfähigkeit von drei Viertel und mehr der internationalen Wissenschaftler eine positive Einschätzung. Niedriger liegen die Zustimmungswerte, mit 60 Prozent und weniger, in Bezug auf Zusammenhalt der wissenschaftlichen Gemeinschaft, Verhältnis von Forschung und Lehre, Wertschätzung durch die Gesellschaft und Leistungsgerechtigkeit.
Dass gerade die erfahrene Anerkennung und der Leistungsbezug in der wissenschaftlichen Arbeit stärker unter Kritik stehen als andere Merkmale, sollte zu denken geben. Anerkennung und vielfältige berufliche Möglichkeiten (durch nachgewiesene Leistungen) bleiben motivationale Basis für herausragende wissenschaftliche Arbeit. Sie entscheiden mit über die Attraktivität eines Wissenschaftssystems, nicht nur für den internationalen Forschungsnachwuchs.
Kein Problem mit Leistungserwartungen, solange sich daraus klare berufliche Perspektiven ergeben
Das ist aber nicht der einzige Aspekt, der das internationale Interesse an einer Karriere im deutschen Wissenschaftssystem zu mindern vermag. Die Mehrzahl der ausländischen Forscher empfindet vor allem den Zwang zur Drittmitteleinwerbung als viel zu stark und sieht – gerade auch deshalb – die Arbeitssituation zu sehr durch Konkurrenz bestimmt. Aus ihrer Sicht sind kurzfristige Forschungsförderung und befristete Anstellungsverhältnisse gewichtige Kritikpunkte am Wissenschaftssystem, die einer wissenschaftlichen Tätigkeit in Deutschland im Wege stehen könnten. Internationale Forscher haben mehrheitlich keinerlei Probleme mit den Leistungskriterien, zum Beispiel in Form hochwertiger Publikationen, wenn sich daraus nicht nur weitere Befristungen, sondern klare berufliche Perspektiven ergeben.
Zweifel an Leistungsgerechtigkeit und aus ihrer Sicht ungünstige Bedingungen der Forschungsförderung führen dazu, dass von internationalen Wissenschaftlern keine Dimension ihrer beruflichen Tätigkeit so kritisch beurteilt wird wie die beruflichen Perspektiven. Das ist zwar weniger ein Problem für die internationalen Professoren, aber sehr herausragend für Postdoktoranden und Promovierende. Lediglich rund ein Viertel bzw. zwei Fünftel von ihnen äußern sich hier zufrieden. Dabei streben gerade sie – noch stärker als ihre deutschen Kollegen – einen Verbleib an den Hochschulen in Deutschland an. Die Zufriedenheit mit ihrer Forschungstätigkeit fällt deutlich höher aus als die mit ihren beruflichen Aussichten. Deren Bedeutung zeigt sich auch darin, dass die mangelnde Klarheit über die weiteren Perspektiven sehr stark die berufliche Gesamtzufriedenheit beeinflusst. Lediglich die Hälfte der internationalen Promovierenden und nur zwei Fünftel der Postdoktoranden sind damit im Großen und Ganzen zufrieden.
In dem Zusammenhang darf nicht aus dem Blick geraten, dass internationale Wissenschaftler auch Diskriminierungserfahrungen in Deutschland machen. Das beeinflusst ebenfalls die Gesamtzufriedenheit. Zwar ist davon nur eine Minderheit betroffen, aber ein Anteil von 30 Prozent Forschern mit diskriminierenden Erlebnissen kann kaum als unproblematisch eingeschätzt werden. Dabei geht es nicht nur um Diskriminierungen in Bezug auf ethnische Herkunft, sondern auch hinsichtlich des Geschlechts, des Alters und der sozialen Herkunft.
Mit Blick auf die Forschungs- und Arbeitsbedingungen internationaler Wissenschaftler fällt die Internationalisierungsbilanz also ambivalent aus. Einerseits erweist sich das deutsche Wissenschaftssystem in grundlegenden Aspekten wie dem Stand der Wissenschaftsfreiheit sowie der Ausrichtung auf wissenschaftlichem Fortschritt und Innovation als in hohem Maße attraktiv. Anderseits bietet es gerade dem internationalen Forschungsnachwuchs durch beschränkte Projektförderung und befristete Anstellungen noch zu selten klare berufliche Perspektiven. Für die Erhöhung der internationalen Attraktivität des deutschen Wissenschaftssystems und damit für dessen weitere Internationalisierung scheint es notwendig zu sein, über Änderungen in den Forschungs- und Arbeitsbedingungen nachzudenken. Eine Möglichkeit wären mehr Tenure-Track-Stellen, auch unterhalb der Professur, die zu klaren beruflichen Perspektiven und zu mehr Sicherheit führen.
Gregor Fabian ist Leiter des Projektes Wissenschaftsbefragung am Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW). Christophe Heger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt Wissenschaftsbefragung. Ulrich Heublein war Leiter des Projektes "Wissenschaft" weltoffen am DZHW.
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Kaktus (Dienstag, 17 Dezember 2024 12:33)
Wie sieht es aus mit der Diskriminierung von Minderheiten, Frauen? Auch Menschen mit deutschem Pass, aber Migrationshintergrund? Hier ist gerade nur die Rede von "Wissenschaftler/n".
Es wird keine Änderungen bei den Forschungs- und Arbeitsbedingungen in den nächsten 4 Jahren geben. Das WissZeitVG hat man der CDU zu verdanken, danach wurde alles schlimmer. Die Grünen, CDU, SPD äußern sich nicht, wie sie die Zukunft von Wissenschaftlern in Deutschland verbessern wollen. SPD und Grüne konnten weder mit noch ohne die FDP hier etwas bewirken.
Stefan Seuring (Dienstag, 17 Dezember 2024 14:14)
Wesentlich sind es die Probleme, die auch so gelten. Unzureichende Ausstattung an Dauerstellen, so dass diese kaum jemals erreicht werden können. Das ist für alle, die keine Lebenszeitstelle haben, das gleiche Problem. Im internationalen Wettbewerb empfehle ich dann regelmäßig, sich im europäischen Ausland umzusehen. Dort sind die Chancen auf eine Dauerstelle meist erheblich.
Lilly Berlin (Dienstag, 17 Dezember 2024 22:34)
Berufliche Perspektiven sind schlecht und Leistung zählt wenig, wen wundert es? In einem von Bürokratie gelähmten System dauert der Prozess zur Neubesetzung einer Professur gern mal 5-6 Jahre, mindestens aber 3 Jahre. Für andere Dauerstellen sind es auch schon mehr als ein Jahr. Gewinnen kann hier nur die Person, die ausreichende Geduld mitbringt. Wissenschaftliche Leistungen oder die Qualität der Lehre sind dann zweitrangig. Plus das weiter existierende Problem der Diskriminierung von Frauen und allen die gerade nicht im passenden Netzwerk sind. Ein Argument für viele (befristete) ausländische Kollegen ist allerdings die vergleichsweise gute Bezahlung.