Wird am Mittwoch im Brandenburger Landtag ein AfD-Politiker zum Vorsitzenden des Bildungsausschusses gewählt? Verbände rufen zur Protestkundgebung auf, eine Online-Petition gewinnt in Windeseile tausende Unterschriften. Hängt jetzt alles am Stimmverhalten des BSW?

Das wiederaufgebaute Stadtschloss in Potsdam, Sitz des Potsdamer Landtages. Foto: Ralf Roletschek, Wikimedia, CC BY-SA 3.0.
WENN SICH am Mittwochnachmittag im Brandenburger Landtag der Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport (ABJS) trifft, könnte es doppelt laut werden. Zunächst draußen: Ein Bündnis aus Landesschülerrat, Landesjugendring, Pädagogen-Verband, Teachers for Future und weiteren Organisationen hat zur Kundgebung vor dem Landtag gegen die befürchtete Wahl des AfD-Politikers Dominik Kaufner zum Ausschussvorsitzenden aufgerufen und parallel eine Online-Petition gestartet. Nach der Kundgebung unter dem Motto "Aufstehen für die Demokratie! Wir errichten die Brandmauer" wolle man gemeinsam die öffentliche Sitzung des Gremiums besuchen.
Dort könnte es dann unter den Abgeordneten der verschiedenen Fraktionen hoch hergehen. Da für die Wahl zum Vorsitzenden lediglich fünf Stimmen nötig sind und die AfD drei hat, würden zwei Stimmen der weiteren sechs Ausschussmitglieder von SPD, BSW und CDU reichen.
In einem Brief an alle Schulleitungen im Bundesland begründen die Initiatoren ihre Protestaktion gegen Kaufner: "Die AfD Brandenburg gilt als so gut wie gesichert rechtsextrem." Auch Kaufner selbst sei vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft. "Für demokratische Kräfte ist es unvorstellbar, dass ausgerechnet der Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport an eine Partei und Person mit diesem Profil fällt. Insbesondere in Anbetracht der Vorgeschichte, die die AfD in Bezug auf Bildung in Brandenburg hat."
Die AfD und die Bildungspolitik
Als Beispiel wird der Fall des AfD-Abgeordneten Dennis Hohloch genannt, ebenfalls Mitglied im ABJS, der vor Grundschülern über Gruppenvergewaltigungen gesprochen hatte, als diese im vergangenen Sommer den Potsdamer Landtag besuchten. Es sei seine Pflicht, Kinder zu warnen, hatte Hohloch anschließend dem Spiegel gesagt, Alter schütze vor diesem "Migrationsproblem" nicht. Die Beschwerdemail, die eine Mutter daraufhin an die Schule und andere Eltern schrieb, geriet in die Hände der AfD, Hohloch attackierte sie öffentlich in einem Video und thematisierte ihre frühere Arbeit als Journalistin.
Der Kandidat Kaufner selbst ist promovierter Historiker, stammt aus Niederbayern und gehörte vor seinem Eintritt in die AfD kurz der CSU an. Er ist beurlaubter Gymnasiallehrer und arbeitete vor seinem Einzug in den Landtag dieses Jahr an einer Berliner Schule. Die BILD-Zeitung hatte zudem berichtet, dass Kaufner vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" eingestuft werde. Das Potsdamer Innenministerium bestätigte das auf Nachfrage des Tagesspiegels allerdings nicht.
Der Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport sei maßgeblich für die Entwicklung zukunftsorientierter und wertebasierter Bildungsstrategien verantwortlich, warnten am Dienstag elf Verbände in einem gemeinsamen Positionspapier. "Eine Leitung durch einen Vertreter der AfD könnte zu einer Aushöhlung seiner Arbeit führen." Die AfD habe wiederholt bewiesen, dass sie zentrale demokratische Prinzipien wie Vielfalt, Gleichberechtigung und Toleranz ablehne. "Dies steht im klaren Widerspruch zu den Aufgaben des Ausschusses." Außerdem habe die Partei wiederholt Einrichtungen der Kinder- und Jugend(sozial)arbeit, der Jugendverbandsarbeit, der Demokratiebildung angegriffen, die sich für Vielfalt, Toleranz und einen demokratischen Diskurs einsetzten und deren Existenz in Frage gestellt. "Die Wahl eines AfD-Abgeordneten zum Vorsitzenden des Ausschusses für Bildung, Jugend und Sport wäre ein Schlag ins Gesicht für alle Institutionen, Einrichtungen und Verbände der Bildung und Kinder- und Jugend(sozial)arbeit, die sich seit Jahren für eine offene und demokratische Bildung und Gesellschaft einsetzen."
In Bayern endete die Amtszeit eines AfD-Bildungsausschussvorsitzenden bereits einmal im Eklat. Markus Bayerbach wurde Anfang 2022 mit großer Ausschussmehrheit abgesetzt nach Vorwürfen, in der Debatte um einen internen AfD-Chat mit teilweise radikalen Inhalten die Unwahrheit gesagt zu haben. Vergleichbares habe es in der Geschichte des bayerischen Landtags zuvor noch nicht gegeben, berichtete die Nachrichtenagentur dpa.
Der Bayerische Rundfunk (BR) hatte Ende 2021 aus einer geschlossenen Telegram-Gruppe mit dem Namen "Alternative Nachrichtengruppe Bayern" zitiert. Dort seien unter anderem die Begriffe "Umsturz", "Revolution" und "Bürgerkrieg" gefallen. Mitglieder der Chat-Gruppe waren dem Bericht zufolge große Teile der AfD-Fraktion, der bayerischen AfD-Bundestagsgruppe und des AfD-Landesvorstands. Bayerbach hatte im Bildungsausschuss bestritten, auch dabei gewesen zu sein, obwohl der Chat den BR-Recherchen zufolge 458 Äußerungen enthalten hatte.
Das BSW wird das
Zünglein an der Waage
Was aber passiert am Mittwochnachmittag im Brandenburger Landtag? Der kommissarische Pressesprecher von SPD-Bildungsminister Steffen Freiberg sagte: "Zu dieser Ausschussangelegenheit möchte sich das Ministerium nicht äußern."
Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Brandenburger Landtag, Björn Lüttmann, sagte dagegen, die Abgeordneten seiner Fraktion "werden grundsätzlich keinen AfD-Abgeordneten zum Ausschussvorsitzenden wählen. Uns ist allerdings bewusst, dass für eine funktionierende Parlamentsarbeit Ausschussvorsitze besetzt werden müssen. Gerade beim Bildungsausschuss legen wir besonderen Wert darauf, jeglichen rechtsextremen Einfluss auszuschließen. Nach unserer Einschätzung ist Herr Kaufner nicht geeignet, diesen Ausschuss zu leiten."
Die Pressesprecherin der CDU-Fraktion teilte ebenfalls mit, ihre Fraktion werde die Wahl Kaufners nicht unterstützen.
Es läuft also alles auf den SPD-Koalitionspartner BSW mit seinen zwei Stimmen im Ausschuss hinaus, die ausreichen würden. Eine Anfrage, wie sich die Fraktion am Mittwochnachmittag verhalten werde, blieb über mehr als 24 Stunden unbeantwortet.
Die Online-Petition gegen Kaufners Wahl lief am späten Dienstagnachmittag bereits auf 10.000 Unterzeichner zu.
In ihrem Schreiben an die Brandenburger Schulleitungen betonen die Initiatoren, die Kundgebung vor dem Potsdamer Landtag nehme Bezug auf die Mitmachaktion "#IchStehAuf –Schulen für Demokratie und Vielfalt", die im vergangenen Sommer an bundesweit über 2000 Schulen und unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten stattgefunden hatte. "Das Initiativteam lädt Schulleitungen und Lehrkräfte ein, Kundgebung und ABJS-Sitzung zur Thematisierung im Unterricht und zur Diskussion in der Schulgemeinschaft zu nutzen."
Update am 15. Januar, 15.30 Uhr:
Kaufner ist am Mittwochnachmittag bei der Wahl durchgefallen, wie der Tagesspiegel berichtet. Bei der konstituierenden Sitzung des Ausschusses erhielt der AfD-Politiker drei Stimmen, was der Zahl der Stimmen der AfD in dem Ausschuss
entspricht. Es gab fünf Gegenstimmen und eine Enthaltung.
Sein Parteikollege Dennis Hohloch kritisierte laut Tagesspiegel in seiner Rolle als Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion, es sei "befremdlich", dass eine "normale demokratische Gepflogenheit hier zu einem großen politischen Skandal missbraucht wird". Institutionen wie der Landesschülerrat seien zur Überparteilichkeit verpflichtet.
Nachdem SPD und CDU am Dienstag erklärt hatten, Kaufner nicht wählen zu wollen, bestätigte sich, dass das BSW wackelte. Schon bei der Abstimmung über die Tagesordnung habe sich der BSW-Abgeordnete Falk Peschel enthalten, während seine Fraktionskollegin Melanie Matzies-Köhler zustimmte – obwohl SPD und BSW in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt hatten, man werde in Ausschüssen und Plenarsitzungen gemeinsam abstimmen.
Liebe Leserinnen und Leser,
wie immer sind Sie herzlich zum Mitdiskutieren eingeladen. Bitte beachten Sie jedoch, dass die Netiquette hier im Blog konsequent zu beachten ist. Das bedeutet: keine persönlichen Angriffe oder Herabwürdigungen, ein wertschätzender Ton auch bei inhaltlichen Differenzen. Zur Sache kritische Kommentare sind sehr willkommen, wobei ich mir im Zweifel vorbehalte, die Verwendung nachvollziehbarer Klarnamen zur Voraussetzung einer Veröffentlichung zu machen.
Dieser Blog zeichnete sich immer dadurch aus, dass er unterschiedliche demokratische Perspektiven in gegenseitiger Wertachtung gelten ließ. Dabei soll, muss und wird es bleiben, ganz gleich wie die Debatte anderswo sich entwickelt.
Mit bestem Dank und guten Wünschen
Ihr Jan-Martin Wiarda
Kommentar schreiben
Maria (Mittwoch, 15 Januar 2025 17:07)
Es freut mich tatsächlich sehr, dass sich Widerstand regt, wenn die Vorsitze von Ausschüssen an AfD-Politiker*innen gehen sollen. Diesen Widerstand gab und gibt es in NRW leider nicht oder in zu geringem Ausmaß: Wir erleben gerade die zweite Wahlperiode mit einem AfD-Abgeordneten als vorsitzende Person im Wissenschaftsausschuss. In der letzten Wahlperiode wurde der Ausschuss von Herrn Helmut Seifen geleitet, derzeit hat Herr Prof. Dr. Daniel Zerbin das Amt inne. Der Wissenschaftsauschuss wird also derzeit durch eine Person geleitet und damit repräsentiert, die u.a. in Zweifel zieht, dass der Klimawandel auf das menschliche Handeln zurück zu führen ist (Zitat Zerbin: "Auch ich befürworte die Auffassung, dass die menschengemachte Klimakrise erfunden ist", https://www.instagram.com/danielzerbin.afd/p/C6LfLhMKPs-/). Das ist schon irgendwie auch peinlich für NRW...
W. Rumpolt (Donnerstag, 16 Januar 2025 17:06)
ad 1) Sie haben Recht: Diese "Auffassungen" zum Klimawandel sind tief-traurig. Hoffentlich bekommt diese
Partei nie Verantwortung.
Hmm (Donnerstag, 16 Januar 2025 23:38)
@ #2: Sie hat doch schon Verantwortung. Oder meinen Sie, dass der Vorsitz eines Wirtschaftsausschusses in einem Parlament keine Verantwortung bedeutet?
Hmm (Freitag, 17 Januar 2025 12:41)
Korrektur: Wissenschaftsausschuss natürlich