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Wer Innovationsministerium sagt, sollte auch Chief Scientific Advisor sagen

Die Debatte über eine Neuaufstellung des BMBF läuft, komplettiert würde sie durch die Einrichtung eines neuen Kabinettspostens.

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Artikelbild: Wer Innovationsministerium sagt, sollte auch Chief Scientific Advisor sagen

"Stellt einen weiteren Stuhl an den Kabinettstisch": Unabhängiger wissenschaftlicher Sachverstand für die Bundesregierung? Foto: Marek Heise Fotografie, Berlin, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons.

DIE DEBATTE um einen veränderten Zuschnitt für das BMBF gewinnt weiter an Fahrt. Zuletzt forderten Leopoldina, Volkswagen-Stiftung und Stifterverband die "Neuordnung und Stärkung eines Bundesministeriums für Forschung und Innovation mit Ressortzuständigkeit für alle Technologie- und Forschungsthemen, inklusive Ressortforschungen, also inklusive Digitales, Energie und Gesundheit", einer von sechs beschrieben "Veränderungshebeln" in ihrem gemeinsamen Positionspapier zur Bundestagswahl

Der Innovationsforscher und langjährige Vorsitzende der EFI-Wissenschaftsweisen, Dietmar Harhoff, schlägt ebenfalls ein neues Bundesministeriums für Forschung und Innovation, kurz BMFI, vor und verweist auf das frühere BMFT, das bis zum Beginn seiner Zerschlagung Ende der 90er Jahre bruchfrei für Forschung und Technologie zuständig war und und "ein international gefragter Ansprechpartner" gewesen sei.

Meinen vergangene Woche hier im Blog gemachten Vorstoß, parallel zur Gründung eines neuen Ministeriums für Forschung, Innovation und Digitales den bisherigen BMBF-Bildungsteil in ein Ressort für Bildung und Jugend einzubringen, bezeichnet Harhoff als "eine interessante Alternative zum Status quo", da das Thema Bildung aufgewertet würde und sich das neue BMFI dann viel klarer als bisher auf seine Themen ausrichten könne.

Womöglich gelingt es ja anders als nach der Bundestagswahl 2021diesmal tatsächlich, die schon damals diskutierte BMBF-Neuordnung aus dem Status eines akademisch-medialen Planspiels zum Gegenstand kommender Koalitionsgespräche hochzuschieben?

"Stellt einen weiteren Stuhl
an den Kabinettstisch"

Auch Max-Planck-Präsident Patrick Cramer plädiert für eine BMBF-Reform, hat aber zusätzlich einen ebenfalls älteren Vorschlag wiederlebt, und zwar die Bundesregierung nach britisch-kanadischen Vorbild um einen Chief Scientific Advisor zu ergänzen. Eine wissenschaftliche Politikberatung, die "hoch aufgehängt" sei und "von keiner politischen Strömung erfassbar sein"dürfe. "Stellt einen weiteren Stuhl an den Kabinettstisch", forderte Cramer beim "Prelude 2025"-Empfang kurz vor Weihnachten in Berlin.

Übergangs-Bundesforschungsminister Cem Özdemir (Grüne), der beim Empfang dabei war, zeigte sich so angetan von der Idee, dass er Cramer gar die Schau stahl und schon von ihr schwärmte, als der Max-Planck-Präsident sie selbst noch gar nicht hatte vorstellen können.

Ernsthaft umgesetzt, müsste ein solcher Chief Scientific Advisor nicht nur bei allen Sitzungen der Bundesregierung dabei sein, er müsste unabhängig von den Ministerien agieren und frei sein, sich aus wissenschaftlicher Sicht zu beliebigen Gesetzesvorhaben zu äußern. Er bräuchte eine schlanke, aber hochqualifizierte eigene Verwaltung hinter sich, er müsste das Budget haben, eigene wissenschaftliche Studien in Auftrag zu geben, und das politische wie persönliche Standing, Debatten im Kabinett anzuregen. Dann und nur dann wäre ihm ein anderer Impact garantiert als honorigen, aber weitgehend zahnlosen Groß-Gremien wie dem derzeitigen "Zukunftsrat des Bundeskanzlers" oder dem BMBF-"Forum Zukunftsstrategie".

Verwandt mit der Debatte um den BMBF-Neuzuschnitt ist der von Max-Planck-Präsident Cramer vorangetriebene Diskussionsstrang insofern, dass die Einführung eines wissenschaftlichen Chefberaters der Bundesregierung parallel zum Aufbau eines schlagkräftigen, die gesamte wissenschaftliche Wertschöpfungskette abdeckende BMFI dessen stärkere Innovationsorientierung ausbalancieren könnte. Dafür dürfte er allerdings, anders als anderswo üblich, gerade kein Ökonom sein. Und es müsste ein kluges, wissenschaftsgeleitetes Auswahlverfahren etabliert werden, das zugleich politisch legitimiert wäre, etwa wie beim Wissenschaftsrat über eine Berufung durch den Bundespräsidenten.

Dann aber würden beide Institutionen gemeinsam dafür sorgen, dass die Bundesrepublik die einzige Zukunftskarte, die sie hat, sehr viel effizienter ausspielen könnte als bislang: wissenschaftliches Wachstum auf der Grundlage von Forschung und Entwicklung, politische Entscheidungen basierend auf den Erkenntnissen der Wissenschaft.

Eine Chance auch für die Ressortforschung

Schließlich böte die Etablierung eines Chief Scientific Advisors einen dritten, nicht zu unterschätzenden Vorteil. Die Bundesregierung verfügt über eine Vielfalt teilweise sehr leistungsstarker Ressortforschungseinrichtungen, von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) über das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) bis hin zum Robert-Koch-Institut (RKI). Nur zeigt die Erfahrung des Robert-Koch-Instituts zugleich, wie ambivalent die Zuordnung zu einzelnen Bundesministerien und der Zwitterzustand zwischen Forschungseinrichtung und nachgeordneter Behörde sein kann.

Die logische Folgerung wäre, wie von Leopoldina, Volkswagen-Stiftung und Stifterverband vorgeschlagen, sämtliche Ressortforschungseinrichtungen aus den einzelnen Ressorts herauszuziehen, sie dann aber beim politisch unabhängigen Chief Scientific Advisor anzusiedeln. Im Sinne einer Rechtsaufsicht, aber unter Garantie einer umfassenden wissenschaftlichen Freiheit. Die hoheitlichen Aufgaben, für die Einrichtungen parallel zuständig sind – die BAM etwa für die öffentliche technische Sicherheit, das RKI für die Gesundheitsberichterstattung – würden sie auf der Grundlage von Regierungsvereinbarungen weiter erledigen. Sie wären aber – dank Puffer wissenschaftlicher Chefberater – freier von möglichen Interessenkonflikten mit den Ressorts, denen sie bislang zugeordnet sind. Auch die Finanzierung der Nationalakademien Leopoldina und Acatech über den Chief Scientific Advisor wäre vorstellbar.

Ein Bundesministerium für Forschung, Innovation und Digitales und ein unabhängiger Chief Scientific Advisor: Die Vorschläge liegen auf den Tisch. Es sollte mit dem Teufel – oder mit unerklärbarer Reformverweigerung – zugehen, wenn nach der Bundestagswahl in der Forschungs- und Innovationspolitik der Bundesregierung alles beim Alten bliebe.

Zeit zum Springen: Warum die nächste Regierung ein Bundesministerium für Wissenschaft, Innovation und Digitales braucht. Und warum ein Bundesministerium für Bildung und Jugend die nicht weniger wichtige Kehrseite wäre. (07. Januar 2025) >>>

Kommentare

#1 -

Th. Klein | Di., 21.01.2025 - 15:36
"... sämtliche Ressortforschungseinrichtungen aus den einzelnen Ressorts herauszuziehen ..." ist ja letztlich ein Widerspruch, denn dann gibt es keine RESSORTforschung mehr und der Charakter wäre ein anderer. Natürlich gibt es gute Gründe für eine solche Entkoppelung. Aber das ist nicht nur seitens der Ressourcen und der Machtstrukturen unwahrscheinlich, es müsste ja gleiche eine ganze Reihe an Ministerien auf ihre Einrichtungen verzichten - ggf inkl. Verteidigungsministerium - sondern eben auch eine andere Vorstellung von Einrichtungen, eher die von einer neuen Leibniz-Gemeinschaft o.ä.

#2 -

Wolfgang Kühnel | Di., 21.01.2025 - 23:14
"Eine wissenschaftliche Politikberatung, die "hoch aufgehängt" sei und "von keiner politischen Strömung erfassbar sein"dürfe."

So wie die StäWiKo ja auch eine gänzlich unpolitische, aber wissenschaftliche Politikberatung ist und so, wie die Intendanten des öffentl.-rechtl. Rundfunks ja auch von keiner politischen Strömung je beeinflusst wurden. :-)
Allein die Besetzung solcher Positionen unterliegt dem Einfluss derer, die in der Politik das Sagen haben: der Parteien.

#4 -

Udo Michallik | So., 26.01.2025 - 12:01
@Wolfgang Kühnel: Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK wurde von einer Findungskommission außerhalb der politischen Entscheidungsgremien berufen. Es sollten nicht Politik und Parteipolitik vermischt werden. Die SWK berät Politik, ist in ihren Empfehlungen aber unabhängig, so wie ihre Geschäftsstelle auch unabhängig agieren kann. Bei Gründung der SWK war die wissenschaftliche Unabhängigkeit das bestimmende Paradigma und wird bis heute durchgehalten.

#5 -

Carlo M | Mo., 27.01.2025 - 16:44
Interessanter Vorschlag, nur gibt es zahlreiche Beratungsgremien. Der Beitrag spricht nicht von der EFI und was ist mit der Rolle z.b. von Leopoldina und Acatech. Eine Neuordnung sollte ebenfalls alte Strukturen überdenken. Anstelle immer neuer Gremien

#6 -

Wolfgang Kühnel | Do., 30.01.2025 - 14:01
Zu #4: Die Findungskommission hatte ich gesehen. Aber waren da nicht auch ehem. Staatssekretäre dabei, also Parteipolitiker? Und wer hat diese Kommission eingesetzt? Ich sage nicht, dass die SWK PARTEIpolitisch agiert. Aber die 4 ständigen Mitglieder sind von politischen Institutionen abhängig, das IQB direkt von der KMK.

#7 -

Werner Janus | Mo., 03.02.2025 - 11:46
Zitat "Womöglich gelingt es ja anders als nach der Bundestagswahl 2021diesmal tatsächlich, die schon damals diskutierte BMBF-Neuordnung aus dem Status eines akademisch-medialen Planspiels zum Gegenstand kommender Koalitionsgespräche hochzuschieben? "

Ist das noch neutrale Berichterstattung oder schon politischer Aktionismus?

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