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Umstrittene Antisemitismus-Resolution im Bundestag

Eine Antisemitismus-Resolution, über die der Bundestag am Mittwoch abstimmen soll, stößt bei den Hochschulen weiter auf große Kritik. Bildungseinrichtungen sollen sich an ihr orientieren. Der Lehrerverband begrüßt das hingegen.

AN DIESEM MITTWOCH stimmt der Bundestag erneut über eine Resolution zu Antisemitismus ab. Wissenschaftliche Fachverbände aus dem In- und Ausland, Online-Petitionen und Gutachten einflussreicher Rechtswissenschaftler wenden sich gegen die Resolution, auch die Hochschulrektorenkonferenz warnt vor ihrer Verabschiedung. Trotzdem wollen die Bundestagsfraktionen von SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP sie voraussichtlich verabschieden.

 

Unter dem Titel "Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an Schulen und Hochschulen entschlossen entgegentreten sowie den freien Diskursraum sichern" werden darin Empfehlungen für den Bildungsbereich formuliert. Während unter vielen Wissenschaftlern Aufregung über die Pläne herrscht, äußern sich Lehrervertreter entspannter.

 

Zu den im Resolutionstext geforderten Maßnahmen gehören unter anderem die intensivere Befassung mit Antisemitismus und Judentum in der Lehrkräftebildung, eine systematischere Antisemitismus-Prävention in den Schulen, der Ausbau von Kooperationen israelischen Hochschulen und mehr Forschung zu Antisemitismus und jüdischer Gegenwart.  

 

Außerdem empfiehlt die Resolution die Arbeitsdefinition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zur "einheitlichen Anwendung", spricht sich für verstärkte Sicherheitskonzepte in engem Austausch mit den Behörden aus – und fordert, "dass Aktivitäten von Gruppierungen, die israelbezogenen Antisemitismus verbreiten, zu deren Mittel auch Boykottaufrufe, Delegitimierung, Desinformation und Dämonisierung des jüdischen Staates gehören, unterbunden werden". Unterstützer der Boykott-Kampagne BDS und "ähnlich gesinnte Bewegungen" dürften "in deutschen Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen keinen Platz haben".

 

Schon die erste Resolution im November 
stieß auch auf Widerspruch

 

Schon eine erste allgemeinpolitische Resolution "Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken", die der Bundestag am 7. November fraktionsübergreifend beschlossen hatte, hatte neben viel Zustimmung Kritik vor allem aus der Wissenschaft auf sich gezogen. Auch deshalb betonen die Fraktionen in ihrem neuen, speziell auf Bildung und Wissenschaft gerichteten Aufschlag, es gelte im Schulterschluss mit der Wissenschaft weiter sicherzustellen, "dass Fördermittel des Bundes ausschließlich nach dem Maßstab der wissenschaftlichen Exzellenz vergeben werden". 

 

Zugleich enthält der am Mittwoch zur Abstimmung stehende Resolutionsentwurf ein explizites Lob unter anderem der früheren Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger für ihr Engagement gegen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit. Dabei sah sich die FDP-Politikerin über Monate mit Vorwürfen in der sogenannten Fördermittelaffäre konfrontiert: Ihr Ministerium hatte eine Namensliste von Forschern angefertigt, die im Mai die polizeiliche Räumung des Propalästina-Camps an der FU Berlin kritisierten und BMBF-Fördermittel erhielten. Die laut Darstellung missverständliche Einleitung einer förderrechtliche Prüfung war ministeriumsintern rasch gestoppt worden.

 

Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) begrüßt zwar die Ziele der neuen Resolution, warnte aber vor ihrer Verabschiedung. Diese sei "sachlich nicht geboten und vor dem Hintergrund von Hochschulautonomie und Wissenschaftsfreiheit nicht nützlich". Ihr Kritikpunkt ist die "staatliche Intervention" in den wissenschaftlichen Diskurs zu Antisemitismus: "Exekutive und Judikative" dürften diesen nicht durch politische Entscheidungen gefährden oder unterbinden. Den Aufklärungsauftrag zum Thema nähmen die Hochschulen bereits verantwortungsbewusst wahr. HRK-Präsident Walter Rosenthal sagte, die Resolution enthalte Forderungen, "die auch bei besten Absichten als Einfallstor für Einschränkungen und Bevormundung etwa in der Forschungsförderung verstanden werden könnten".

 

Kritik aus
den Hochschulen

 

Eine Gruppe von Rechtwissenschaftlern um den Max-Planck-Direktor Ralf Michaels kritisieren unter anderem das Verfahren, eine nicht bindende Resolution zu erlassen "und so die Notwendigkeit von Anhörungen und Ausschussbeteiligungen zu umgehen", als "formal möglich, aber einer Demokratie unwürdig".

 

Einige der Forderungen drohten die Hochschulautonomie zu unterminieren, etwa die vorgesehene engere Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden, die zudem ein "Klima der Einschüchterung sowohl für die Lehrenden als auch die Studierenden" erzeuge. Der Staat könne die IHRA-Definition nicht für die universitäre Forschung und Lehre vorschreiben, es entstehe Unsicherheit in Hinblick auf die Vergabe von Fördermitteln, und die geforderte Ausschließung von Personen von Universitäten seien allein auf der dargestellten Grundlage nicht mit den Grundrechten der Meinungsfreiheit und der Wissenschaftsfreiheit vereinbar. 

 

Bereits im November hatten sich die einflussreiche British Society for Middle Easter Studies und der europäische Sozialanthropologen-Verband EASA "in tiefer Sorge um die akademische Freiheit in Deutschland" an die Bundespolitik gewandt.

 

Am Donnerstag (dem Tag, an dem die Resolution im Bundestag ursprünglich beschlossen werden sollte), wollten führende Wissenschaftler vor der Bundespressekonferenz ihre Argumente gegen die Resolution vortragen, darunter Max-Planck-Direktor Michaels, die Rektorin des Wissenschaftskollegs, Barbara Stollberg-Rilinger und die Direktorin des Moses-Mendelssohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien in Potsdam, Miriam Rürup.

 

Präsident des Lehrerverbands
ist dafür

 

Weniger groß scheint die Aufregung in den Schulen zu sein. "Das, was in der Resolution gefordert wird, ist selbstverständlich und sollte niemanden aufregen", sagt der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Stefan Düll. Wenn der demokratische Bogen im Parlament ein Zeichen setzen und Solidarität mit Jüdinnen und Juden ausdrücken wolle, sei das angesichts der täglichen Anfeindungen nur zu begrüßen. "Aufregen sollte man sich vielmehr darüber, dass es so etwas braucht." 

Er wisse gar nicht, fügt Düll hinzu, warum an den Hochschulen viele Probleme in den Empfehlungen sähen. "Die Gesetze der Bundesrepublik gelten auch an den Hochschulen. Dazu gehört, dass antisemitische Äußerungen und Handlungen, Sachbeschädigung und körperliche Gewalt strafbar sind." Die Schulen nähmen ihren diesbezüglichen Erziehungsauftrag sehr ernst, und das bei wachsenden Herausforderungen: "Früher konnte man im Unterricht über den Nationalsozialismus an der Familiengeschichte der Schüler anknüpfen, heute sitzen da Schüler, deren Großeltern nach dem Krieg geboren wurden, wenn sie nicht gar aus einem anderen Land oder Kulturkreis stammen."

 

Manche Professoren
begrüßen die Resolution

 

Doch auch in der Wissenschaft ist die Ablehnung der Resolution keineswegs einheitlich. Der Soziologe Stefan Liebig etwa sagt, er finde es richtig, "durch die Entschließung jüdisches Leben stärker sichtbar zu machen, gerade auch an Schulen und Hochschulen, wo dieses Leben spätestens seit dem 7. Oktober 2023 nur noch unter Sicherheitsvorkehrungen stattfinden kann". Im Sommer hatte der FU-Professor Liebig, der bis 2022 das Sozioökonomische Panel geleitet hatte, das Statement "Aus aktuellem Anlass: Kein Platz für Antisemitismus an Hochschulen!" initiiert. Es hat inzwischen 2000 unterzeichnende Wissenschaftler. "Die Resolution ist wichtig, weil sie die systematische Prävention in den Vordergrund stellt und zugleich klarstellt: Antisemitismus muss auch an Bildungseinrichtungen Konsequenzen haben", sagt Liebig. Und was ist mit der potenziellen Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit? Er habe da keine Befürchtungen. "Die wissenschaftsgeleiteten Begutachtungsverfahren sind robust genug."

 

Kurz vor der geplanten Abstimmung scheint nun aber auch unter den Parlamentariern zu rumoren. Insider berichten, einige Abgeordneten der SPD und der Grünen würden womöglich eigene Stellungnahmen abgeben.

 

Dieser Artikel erschien in kürzerer Fassung zuerst im Tagesspiegel.

 

Nachtrag am 29. Januar:

Resolution wurde angenommen

Trotz der Kritik hat der Bundestag am Mittwochabend wie erwartet die umstrittene Antisemitismus-Resolution beschlossen. Eingebracht hatten die Resolution die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Grüne und FDP. Auch die AfD stimmte zu, die Linke enthielt sich, ebenso drei grüne Bundestagsabgeordnete, die zugleich ihre Bedenken schriftlich festhielten. Weitere sechs Grüne stimmen der Resolution zwar zu, hielten aber ebenfalls ihre Bedenken schriftlich fest. Das BSW lehnte die Resolution ab.

 

Wissenschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sagte am Mittwochmorgen vor dem Bundestags-Forschungsausschuss, ob sich Hochschulen für Antisemitismusklauseln entschieden oder nicht, liege bei den Hochschulen selbst. "Ich respektiere die Entscheidung der Hochschulen."



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Kommentare: 1
  • #1

    Udo Michallik (Donnerstag, 30 Januar 2025 14:05)

    Worum geht es denn den Kritikern der IHRA-Definition? Im Kern und in der Abgrenzung von der sogenannten "Jerusalem-Deklaration", die gerne als Alternative genannt wird, geht es doch vor allem um das Existenzrecht des Staates Israel. Es ist insofern entlarvend, weil in der Zwischenzeit Antisemitismus auch in der Form des Antizionismus Bahn und Dämme bricht. Dass der Bundestag parteiübergreifend, wie die KMK auch, wiederholt ganz klar ein Bekenntnis zur weltweit von Experten verhandelten IHRA-Definition von Antisemitismus proklamiert, begrüße ich ausdrücklich!
    Die Bekämpfung des Antisemitismus als Wahlfreiheit für staatlich finanzierte Einrichtungen zu deklarieren, halte ich persönlich mit Blick auf die Herausforderungen im Umgang mit diesem Thema für sehr schwierig. Vor allem dann, wenn das Einrichtungen für sich in Anspruch nehmen, die künftige Lehrkräfte ausbilden.