Die Wissenschaftsminister der Länder fordern in zwei Positionspapieren milliardenschwere Investitionen von der nächsten Bundesregierung, darunter Bund-Länder-Programme für den Hochschulbau, für die KI-Infrastruktur und für neue Tenure-Track-Professuren. Realitätsfern? Mutig? In jedem Fall: die Selbstermächtigung der neuen Wissenschafts-MK.
DIE WISSENSCHAFTSMINISTER der Länder nennen es ein "Positionspapier", tatsächlich handelt es sich um einen Forderungskatalog. Drei Wochen vor der Bundestagswahl hat die Wissenschaftsministerkonferenz (Wissenschafts-MK) in zwölf Punkten vom Bund deutlich mehr finanzielles Engagement verlangt als bisher. Und gleich noch ein zweites Papier hinterhergeschickt, in dem sie ein eine "KI-Offensive" inklusive einem Bund-Länder-Infrastrukturprogramm vorschlägt.
Angesichts großer wirtschaftlicher Herausforderungen, politischer Unsicherheiten und disruptiver Technologien sei eine gemeinsame Kraftanstrengung erforderlich, um den Wissenschaftsstandort Deutschland zukunftsfähig zu gestalten, schreiben die Wissenschaftsminister in der Einleitung ihrer zwölf Forderungen. Nur durch eine strategische Ausrichtung, stabile Rahmenbedingungen und gezielte Schwerpunktsetzungen könne "die herausragende Hochschul-, Wissenschafts- und Forschungslandschaft Deutschlands" weiterentwickelt werden.
"Es ist deshalb jetzt genau der richtige Zeitpunkt für uns Wissenschaftsministerinnen und -minister, uns gemeinsam aufzustellen und unsere Forderungen mit diesem 12-Punkte-Positionspapier in die Zukunftsdebatten einzubringen", sagte Wissenschafts-MK-Präsidentin Bettina Martin (SPD). "Wir brauchen mehr Engagement des Bundes im investiven Bereich; wir brauchen eine bessere Unterstützung der Studierenden; wir brauchen eine stärkere und strategischere Förderung der Entwicklung von Zukunftstechnologien. Ich freue mich, dass wir mit der neuen Wissenschaftsministerkonferenz nun starke Positionen für die Wissenschaft aufbauen können."
"Wissenschafts-, Forschungs- und Innovationsagenda für ein zukunftsfähiges Deutschland" haben die Minister staatstragend über ihren Wunschzettel geschrieben. Darin fordern sie unter anderem:
o ein "kraftvolles Bund-Länder-Programm" im Hochschul- und Forschungsbau zum Erhalt und zur Modernisierung der Gebäudesubstanz. Für die Beseitigung des Sanierungsstaus und die "nutzungs- und klimagerechte Sanierung der Bausubstanz der staatlichen Hochschulen in Deutschland sei "ein Investitionsvolumen in dreistelliger Milliardenhöhe erforderlich". Der Betrag ergibt sich aus einer aktuellen Hochrechnung der Hamburger Finanzbehörde.
o Förderinitiativen des Bundes für moderne und hochleistungsfähige Großgeräte sowie nachhaltig betriebene Rechenzentren. Auch die Dateninfrastruktur bedürfe einer gesicherten Perspektive.
o eine dauerhafte finanzielle Verstärkung der Universitätsmedizin und der klinischen Forschung durch Bund und Länder, außerdem die zügige Umsetzung der Reform der ärztlichen Approbationsordnung.
o eine "Offensive in der Gesundheitsforschung und den Lebenswissenschaften"; gemeint ist damit die langfristige Förderung der Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung und eine Verstetigung des Netzwerk Universitätsmedizin (NUM) hin zu einer institutionellen Förderung.
o ein höheres BAföG auf dem Niveau der Grundsicherung und die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum für Studierende.
o einen neuen Anlauf für eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) hin zu besseren Arbeitsbedingungen und verlässlichen Perspektiven für junge Wissenschaftler.
o die strategische Begleitung der Ausgestaltung des kommenden EU-Rahmenprogramms für Forschung und Innovation.
o neue Form der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern und deren Ausbau und Ausbau der Bund-Länder-Kooperation.
Die deutsche Antwort
auf "Stargate"?
Einen sehr konkreten Vorschlag dafür enthält das zweite Positionspapier: eine "KI-Offensive von Bund und Ländern" mit einem KI-Infrastrukturprogramm als Kern. Die Rechenkapazitäten im Hochschul- und außeruniversitären Bereich müssten bedarfsorientiert weiterentwickelt und ausgebaut werden. "Ziel ist es, der deutschen Hochschul- und Wissenschaftslandschaft in ihrer Breite Zugang zu international konkurrenzfähiger Rechenleistung zu ermöglichen". Hierzu brauche es auch die Entwicklung einer europäischen Roadmap zum Auf- und Ausbau großer KI-Infrastrukturen. Außerdem solle der Bund gemeinsam mit den Ländern "ein neues, auf KI ausgerichtetes und für alle Disziplinen offenes Tenure-
Track-Programm auflegen.".
Konkrete Geldforderungen vermeiden die Wissenschaftsminister in ihrem KI-Aufschlag wohlweislich, denn dass angesichts des (in seiner Seriösität freilich schwer einzuschätzenden) 500-Milliarden-KI-Projekt "Stargate" in den USA nicht gekleckert werden kann, ist klar. Klar ist auch, dass die Haushaltsmittel dafür fehlen, erst rechts angesichts des parallel geforderten Bund-Länder-Bauprogramms und den bereits darin aufgerufenen Milliardensummen.
Das Wort "Schuldenbremse" kommt im Wissenschafts-MK-Papier nicht vor, doch dürfte über deren Rolle und Zukunft viel diskutiert (und gestritten?) worden sein unter den Ministern. Die Hamburger Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) sagt, es brauche jetzt eine Reform der Schuldenbremse "für die großen Investitionsaufgaben unserer Zeit". In ihrer jetzigen Form verhindere die Schuldenbremse Investitionen "und sorgt dafür, dass wir unser Land nicht fit für die Zukunft machen können".
Als Teil der "KI-Offensive" fordern die Landes-Wissenschaftsminister unter anderem auch den "Ausbau sicherer und kooperativer Föderationen von Daten-Infrastrukturen sowie betriebsmodelloptimierte, institutionenübergreifende Speicherinfrastrukturen für die Forschung". Auch den Datenaustausch mit der Wirtschaft müsse der Bund prioritär und kompatibel mit europäischen Initiativen vorantreiben. Der Bund müsse seine Förderung interdisziplinärer KI-Forschung an Hochschulen und außerhochschulischen Forschungseinrichtungen "signifikant erhöhen", inklusive der Erprobung neuer und bürokratiearmer Förderformate zur Eröffnung interdisziplinärer "Experimentierräume".
Länderinitiativen zur ethischen Auseinandersetzung mit KI sollten mit dem vom Bund geförderten KI-Campus und einem Ausbau des Förderprogramms "Künstliche Intelligenz in der Hochschulbildung" verbunden werden. Schließlich müsse der Bund seine Innovations- und Transferförderung gerade im Bereich der KI systematisch stärken, bürokratische Hürden für Start-ups abbauen und mit zielgerichteten innovationsfördernden Anreizen verstärkt privates Kapital loseisen.
Glauben die Wissenschaftsminister
selbst an das, was sie da schreiben?
"Künstliche Intelligenz ist eine Schlüsseltechnologie. Fest steht: Deutschland und Europa können es sich nicht leisten, hier nicht mit dabei zu sein. Wir müssen in das Rennen einsteigen – und zwar schnell", kommentierte Bayerns Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) die KI-Forderungen der Wissenschafts-MK. "Wir brauchen wieder eine Initialzündung, einen neuen Airbus-Moment."
In der Zusammenschau der beiden Forderungskataloge und bei nüchterner Betrachtung der enormen Summen, die auch nur deren teilweise Umsetzung erfordern würde, stellt sich die Frage: Ist das alles strategisch wirklich so schlau? Macht der Druck auf die nächste Bundesregierung, den die Wissenschaftsminister mit ihren Beschlüssen erzeugen wollen, wahrscheinlicher, dass der erhoffte Investitionsschub kommt? Oder wird die neue Koalition, wie immer sie zusammengesetzt ist, angesichts der verlangten Dimensionen von vornherein in Abwehrhaltung gehen?
Man könnte auch fragen: Glauben die Wissenschaftsminister selbst an das, was sie da schreiben? Meinen sie wirklich, die nächste Bundesregierung würde auch nur einen Teil aufgreifen angesichts der Haushaltslage? Und wenn, wie groß sind die Chancen, dass darunter die großen Brocken Hochschulbau, KI-Infrastruktur und Tenure Track sein werden, für die sich die Länder jeweils ein neues Bund-Länder-Programm wünschen? Zumal der Bund seit vielen Jahren darauf verweist, der Ausstieg des Bundes im Hochschulbau sei auf Betreiben der Länder nach der Föderalismusreform Mitte der 2000er Jahre erfolgt, und die Finanzminister der Länder seien dafür vereinbarungsgemäß ausbezahlt worden?
Natürlich kann man es auch anders sehen. Wie in allen Verhandlungen – und die beiden Positionspapiere sind als Einstieg in solche gemeint – stehen am Anfang die Maximalforderungen, damit man sich am Ende auf für beide Seiten akzeptable Größenordnungen einigt. Einen ersten Anhaltspunkt in diese Richtung könnte der kommende Koalitionsvertrag geben. Die Wahrscheinlichkeit, dass darin von einer Investitionsoffensive auch für Wissenschaft und Forschung die Rede sein wird, ist so schlecht nicht. Der nächste Koalitionsvertrag wird, wie auch immer die Wahl ausgeht, von einigen derselben Personen mitgeschrieben, die auch in der Wissenschafts-MK dabei sind. Und so geduldig das Papier von Koalitionsverträgen, siehe Ampel, ist, die nächste Regierung wird wissen: Es geht um viel, oder – um kurz eine Pathos-Anleihe beim 12-Punkte-Katalog der Wissenschafts-MK zu machen: "Deutschland muss den Anspruch haben, auch in Zukunft einen Platz an der Weltspitze einzunehmen und als Standort für Talente aus aller Welt attraktiv zu bleiben." Und: "Deutschland braucht eine neue Agenda für Wissenschaft, Forschung und Innovation."
Das stimmt. Und womöglich befördern die beiden Papiere zusammen mit der Hamburger Sanierungsstau-Schätzung tatsächlich die Diskussion in den Koalitionsverhandlungen zum Umgang mit der
Schuldenbremse. Eines indes haben die Wissenschaftsminister mit ihrem Doppel-Schlag in jedem Fall geschafft. Ihre Papiere sind so sehr Forderung wie Selbstermächtigung. Die Minister haben
strategisches Selbstbewusstsein demonstriert und gezeigt, wo sie sich selbst und ihre neue Wissenschafts-MK künftig sehen: im Zentrum der wissenschaftspolitischen Debatte.
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Ruth Himmelreich (Montag, 03 Februar 2025 09:16)
Aha. Stellt Frau Martin eigentlich ähnlich kraftvolle Forderungen an das eigene Bundesland? Hier lese ich an anderer Stelle im Blog: "Die Hochschulen in Mecklenburg-Vorpommern richten sich insgesamt auf eine schwierige Finanzsituation des Landes ein und auf eine Verteidigung der Notwendigkeit einer auskömmlichen Wissenschaftsfinanzierung".
Timo (Montag, 03 Februar 2025)
Ein Offenbarungseid der föderalen Verantwortung der Länder und ihrer Wissenschaftsminister:innen für ihre Hochschulen. Die Föderalismusreform I hat Verwantwortlichkeiten auf Drängen der Länder neu geregelt - schon vergessen. Nur peinlich.