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Der Abschied der Babyboomer

Was bedeutet es für die Hochschulen, wenn demnächst die geburtenstärksten Jahrgänge der Nachkriegszeit das Rentenalter erreichen? Das CHE hat es ausgerechnet: Je nach Fach und Institution geht innerhalb eines Jahrzehnts teilweise mehr als die Hälfte der Profs.

Glücklicher Abschied? So stellt sich die KI den Exodus der "Babyboomer" aus den Universitäten vor. 

NEUE ZAHLEN aus dem Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) haben mich in die Geburtsstatistik der frühen Bundesrepublik schauen lassen. Nie wieder wurden im früheren Westdeutschland so viele Kinder geboren wie 1964: 1,36 Millionen. Bis 1967 verharrten die Zahlen auf hohem Niveau, dann kam der Pillenknick: eine halbe Millionen weniger Babys pro Jahr. 1973 waren es 815.000. Nebenbei bemerkt: Selbst das waren noch über 100.000 mehr, als 2023 in Gesamtdeutschland zur Welt kamen.

 

Die Generation der bis zum Pillenknick Geborenen, die "Baby-Boomer", hat schon aufgrund ihrer schieren Größe entscheidend zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung unseres Landes beigetragen. Sie bevölkerten auch Hochschulen und Forschungsinstitute, zunächst als Studierende, dann als Lehrende, Forschende – und Professorinnen und Professoren. 

 

Bald gehen sie in Ruhestand. Das CHE, dessen Gesellschafter die Hochschulrektorenkonferenz und die Bertelsmann-Stiftung sind, hat jetzt auf der Grundlage von Daten des Statistischen Bundesamtes ausgerechnet, was das innerhalb weniger Jahre für die Hochschulen bedeuten wird. Kurz gesagt: Feierten im Jahr 2024 noch 1.457 der derzeit gut 43.000 hauptberuflich an deutschen Hochschulen beschäftigten Profs ihren 65. Geburtstag, werden es im 2029 voraussichtlich 2.095 sein. Bis 2033 sollen es dann jedes Jahr mehr als 2.000 bleiben.

 

Das heißt nicht, dass die alle sofort in Ruhestand gehen, schließlich steigt parallel die Renten- und Pensionsgrenze. Dennoch deutet sich auch in der Wissenschaft ein Generationenwechsel an, der beachtliche Dimensionen hat: 44 Prozent aller Profs bundesweit erreichen laut CHE-Berechnung bis 2033 die 65.

 

Je nach Fächergruppe und Bundesland sind es noch mehr. Satte 50,4 Prozent etwa an den Hochschulen im Saarland, gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern (48,3 Prozent), Rheinland-Pfalz (48,0 Prozent) und Sachsen-Anhalt (47,7 Prozent). Vergleichsweise entspannt ist die Lage in Schleswig-Holstein (40,0 Prozent) und in Brandenburg (40,9 Prozent).

 

Von den geisteswissenschaftlichen Profs werden voraussichtlich 52,0 Prozent bis 2033 65 Jahre alt, in der Kunst und den Kulturwissenschaften sind es 51,6 Prozent. Im Mittelfeld die Ingenieurwissenschaften mit 44,3 Prozent, vergleichsweise jung sind die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (39,1 Prozent). Auf Fächerebene stehen nirgendwo so viele Professoren kurz vor der Rentengrenze wie in der Evangelischen Theologie (62,4 Prozent), in der Geschichte (58,5 Prozent) und der Kunstwissenschaft (56,8 Prozent).

 

Die kleinen Hochschulen stehen
vor den größten Umwälzungen

 

Entsprechend sind es die kleinen und spezialisierten Hochschulen, die mit den größten personellen Umwälzungen umgehen müssen: die Pädagogischen Hochschulen, die Theologischen Hochschulen und die Kunsthochschulen, an denen bis 2033 jeweils deutlich mehr als 50 Prozent der Professorenschaft 65 wird. Zum Vergleich: An den staatlichen Universitäten sind es 45,5 Prozent, an den staatlichen HAWs 44,5 Prozent, an den Verwaltungsfachhochschulen gar nur 27,3 Prozent.

 

Das CHE bricht die demographische Entwicklung sogar auf die einzelnen Hochschulen runter, was fürs Gesamtsystem weniger aussagekräftig, für die eigene Institution aber je nach Perspektive Anlass zu Sorge oder zum Aufbruch ist. Womit wir bei der Frage nach den Konsequenzen sind – für die Hochschulpolitik, aber auch für besonders betroffene Hochschulen und Fächer.

 

Zuerst das Negativszenario: Die Haushaltspolitik vor allem in den Bundesländern mit dem größten Spardruck könnte den Abschied der Babyboomer als Anlass dafür nehmen, dass auch an den Hochschulen mehr Spielraum für Personalabbau sei – indem Professuren nicht oder nur stark verzögert nachbesetzt werden und entsprechend auch Mitarbeiterstellen wegfallen. Dass je nach Region und Fach die Studierendenzahlen nicht mehr steigen, sondern stagnieren oder sogar zurückgehen, dürfte den Hochschulen die Gegenwehr erschweren.

 

Eine solche Entwicklung wäre dann umso dramatischer, falls die Hochschulen intern nicht in der Lage sein sollten, die Stellen den tatsächlichen Bedarfen folgend neu zu besetzen, also, wo erforderlich, zwischen den Fächern und Fachbereichen neu zu verteilen. Erfahrungsgemäß tun sich Rektorate und Dekanate schwer damit, weil solche Vorgänge mit viel Ärger in und mit Gremien verbunden sind und selten mit Wiederwahl belohnt werden. Trotzdem oder gerade deshalb wird sich genau hier in den nächsten Jahren die Qualität von Führung in der Wissenschaft erweisen.

 

Die einen werden um Stellenverlagerungen feilsche, die anderen kaum noch ihre Professuren besetzt bekommen

 

Das gilt übrigens auch für das nicht so negative Szenario, dass zumindest der größere Teil der frei werdenden Professuren erhalten bliebe. Auch dann und erst recht wäre strategisches Umsteuern gefragt. Ja, dieses würde Gewinner und Verlierer unter den Fächern produzieren. Am naheliegensten wäre es sicherlich, wenn etwa die Theologie Stellen abgeben müsste, doch ist die umgekehrt durch Staatsverträge mit den Kirchen gut geschützt, was die teilweise – gelinde gesagt – außerordentlich guten Betreuungsrelationen erklärt. 

 

In anderen Fächern und vor allem an HAWs drohen mit der Ruhestandswelle derweil andere Probleme als das Feilschen um Stellenkürzungen und -verlagerungen: die Verschärfung des schon jetzt gravierenden Fachkräftemangels. Wie soll es etwa einer von besonders vielen Pensionierungen betroffenen HAW mit Schwerpunkt Ingenieurwissenschaften gelingen, innerhalb weniger Jahre die Hälfte oder mehr ihrer Professuren neu zu besetzen? Auch für besonders vom demographischen Wandel betroffene Universitäten abseits der großen Metropolen könnte es schwierig werden.

 

Jedes denkbare Szenario läuft an einer Stelle indes auf die gleiche Schlussfolgerung hinaus: Überall dort, wo viele Professuren auf einmal besetzt werden können oder müssen, wird der Wettbewerb mit Arbeitgebern außerhalb der Wissenschaft noch heftiger werden als bislang. Der Druck auf die Hochschulen, die Karrierewege für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler transparenter und verlässlicher zu gestalten, wird weiter wachsen – unabhängig von dem, was heutige oder künftige Bestimmungen im Wissenschaftszeitvertragsgesetz sagen. Wie allerdings, Stichwort staatliche Sparmaßnahmen, die Hochschulen dazu finanziell in der Lage sein werden, ist fraglich. Womöglich wird sich die Konkurrenzsituation der Hochschulen zu außeruniversitären Forschungsinstituten und der Privatwirtschaft also weiter verschlechtern, zumal dort ja ein ähnlicher Generationenwechsel die Belegschaft durchrüttelt.

 

Alles in allem ein zu pessimistischer Ausblick? Das CHE zumindest gibt sich optimistisch, spricht von "enormen Chancen", die den Risiken gegenüberstünden, der "Gelegenheit für Innovation" und neuberufenen Profs als "Change Agents". "Hochschulen, die sich in einem strategischen Profilierungsprozess befinden, können die Berufungen auf ihr Profil abstimmen. Die Fächer können Curricula und Forschungsschwerpunkte mit neuem Personal modernisieren." Und: "Wenn sich die Hochschule ein bestimmtes Lern- und Digitalisierungskonzept auf die Fahnen geschrieben hat, kann sie die Menschen suchen, die daran mitwirken wollen. Gleiches gilt beispielsweise, wenn die Hochschule Future Skills stärker in allen Studiengängen verankern möchte."

 

Über das verwendete, gut zur aktuellen CHE-Mission passende Vokabular kann man streiten. Persönlich wäre ich gern ähnlich zuversichtlich, dass den Hochschulen zumindest das gelingt, was ich weiter oben und weniger glamourös als "strategisches Umsteuern" bezeichnet habe. Ich sage mal so: Vielleicht setzen die demographischen Veränderungen ja  auch den Willen zur institutionellen Veränderung frei.



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Kommentare: 9
  • #1

    Felix Schabasian (Mittwoch, 12 Februar 2025 12:11)

    Vielleicht wäre das endlich mal eine Chance, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz wirklich zu reformieren und die Befristungsgrenze abzuschaffen, statt nur daran rumzudoktern, bzw. endlich mehr Dauerstellen zu vergeben. Auch die Durchlässigkeit im Mittelbau könnte nämlich von sich aus steigen, nicht nur durch Nachbesetzung von Professuren, sondern wenn gleichzeitig die Gelegenheit zur Neustrukturierung der Lehrstühle genutzt wird und Rollen wie Lecturer und co auch hierzulande eingeführt werden. Sich weiter ein System zu leisten, indem eine Fakultät von einer Hand voll Fürst*innen regiert wird, dürfte künftig nicht nur finanziell schwierig werden, auch Innovation und die soziale Verantwortung im Wissenschaftssystem leiden darunter.

  • #2

    Pillenknick (Mittwoch, 12 Februar 2025 12:25)

    Ich frage mich, ob es sich wirklich um einen Effekt der demografischen Veränderungen handelt oder doch nur um einen Kohorteneffekt des personellen Aufwuchses in den Hochschulen. Daraus ließe sich lernen: Um solche Effekte zu vermeiden, müssten man bei der Stellenbesetzung mehr auf die resultierende Altersstruktur achten.

  • #3

    Kolja Briedis (Donnerstag, 13 Februar 2025 09:29)

    Gerne möchte ich dazu auch auf die kürzlich erschienene Begleitstudie zum neuen BuWiK hinweisen, die sich mit dem Verbleib Promovierter befasst:
    https://buwik.de/wp-content/uploads/buwik-2025-Begleitstudie_Karriereentscheidungen.pdf
    Am Ende geht es auch um die Frage des Ersatzbedarfs, zu dem ein paar einfache Prognosemodelle erstellt wurden. Kurz gesagt: Der Ersatzbedarf ist hoch, kann aber ggf. gestellt werden. Wesentlich werden jedoch die Übergangsquoten sein (z. B. nach dem Studium in die Promotion oder auch der Verbleib in der Wissenschaft nach der Promotion). Dazu kommt dann noch die Frage der Konkurrenzsituation mit den Sektoren außerhalb der Wissenschaft und natürlich die Frage des tatsächlichen Ersatzbedarfs. Sollten die Mittel für die Hochschulen - was nicht vollkommen überraschend wären - in den kommenden Jahren stagnieren oder schrumpfen, dann wird es zu einem Personalabbau kommen (und sich entsprechend auf den Ersatzbedarf auswirken). Die Lage ist also komplex und hinzu kommt möglicherweise jetzt noch die Zuwanderung von Personen aus der Wissenschaft in den USA nach Deutschland/Europa. Insofern sind Prognosen da wirklich nicht einfach, auch wenn sich zunächst einmal ein deutlicher Abgang an professoralem Personal abzeichnet.

  • #4

    Ruth Himmelreich (Donnerstag, 13 Februar 2025 09:41)

    So ganz kann ich es nicht nachvollziehen - einerseits wird ständig geklagt, dass es keine ausreichenden Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs gibt, nun eröffnen sich diese - und es ist auch wieder nicht recht?

    Dass es in den MINT-Fächern Probleme geben kann, ist möglich, hängt allerdings auch von der Wirtschaft ab. Schwächelt diese (und so sieht es ja gerade aus), gewinnen sichere Positionen in den Hochschulen durchaus an Attraktivität. Und so ungemütlich, wie es in den USA zu werden droht, ist dort ebenfalls ein größerer Pool an möglichen Kandidat*innen zu vermuten.

  • #5

    Penny Woeful (Donnerstag, 13 Februar 2025 13:14)

    Klingt nach einem passenden Moment, um über Departments statt Lehrstühle nachzudenken.

  • #6

    Tobias Denskus (Freitag, 14 Februar 2025 08:54)

    Diese Diskussion gibt es in den USA seit mindestens 30 Jahren und hat bisher kaum Auswirkungen auf die Realität wissenschaftlicher Arbeit; sicher, in USA gibt es kein striktes Pensionsalter und der 75-jährige Prof hätte eigentlich schon vor 10 Jahren gehen sollen-er ist aber noch da...aber diese Dynamik "eine Generation geht in Pension und wir brauchen viele Nachrueckerinnen" ist in der Realität eben viel komplexer-50 Jahre Lehramtsplanung sind da sicher ein gutes/schlechtes Beispiel, wie schwierig es ist im öffentlichen Dienst dynamisch zu planen wenn es darum geht das echte Menschen mit echten komplexen Lebensläufen ausgebildet werden sollen-in einem föderalen System. Es wird wie immer auf eine Mischung hinaus laufen bei der man versucht nicht strukturell handeln zu muessen-von der Anhebung des Pensionsalters, ueber Konsolidierung von Lehrstuehlen aufgrund rueckläufiger Studierendenzahlen, Umwidmung von W3 auf W2 oder Cluster-building einzelner Studiengänge oder Disziplinen an wenigen Standorten im Bundesland. Es wird sicher eine HAW geben, wo es echte Engpässe gibt, oder eine grosse Jura-Fakultät wo protestiert wird wenn man 7 statt 10 Lehrstuehlen hat aber grosse Wuerfe wuerde ich da nicht erwarten. Man wurschtelt sich durch-wie eigentlich immer im Bildungsbereich.
    Es werden kaum Amerikanerinnen auf den "normalen" akademischen Arbeitsmarkt in Deutschland kommen. Ich denke auch seit vielen Jahren, dass man sich bei uns in den nordischen Ländern vor britischen oder deutschen Bewerberinnen nicht retten kann-aber nein, es sind immer viel weniger als gedacht. Sprache, Kultur, Arbeitserlaubnis etc sind hohe Huerden und nur weil 1-3 Spitzenforscherinnen bei MPIs landen werden heisst das nicht, dass die Unis im Ruhrgebiet einen deutlichen Zuwachs an amerikanischen Bewerberinnen sehen werden.

  • #7

    Jasmin Kizilirmak (Freitag, 14 Februar 2025 11:25)

    Wissenschaftler aus den USA (und anderen Ländern) haben das Problem, dass in Deutschland noch in recht vielen Studiengängen Lehre in deutscher Sprache gefordert ist. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die Internationalisierungsrate an Forschungseinrichtungen wie Max Planck für Professuren recht hoch ist (kein Lehrdeputat, bei anderen Forschungsinstituten i.d.R. 2 SWS nach Jülicher Modell) und meine Prognose wäre, dass sie sich nur langsam an Universitäten und noch langsamer an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (da noch stärkerer Fokus auf deutschsprachiger Lehre) erhöhen wird - egal, wie viele Wissenschaftler aus den USA abwandern.

  • #8

    Wolfgang Kühnel (Sonntag, 16 Februar 2025 22:54)

    Zu #2:
    "Daraus ließe sich lernen: Um solche Effekte zu vermeiden, müssten man bei der Stellenbesetzung mehr auf die resultierende Altersstruktur achten."

    Das ist leichter gesagt als getan. Der Ausbau und die Überleitungswellen Anfang der 1970er Jahre haben zu einer Überrepräsentation der Jahrgänge 1930-40 geführt. Solche ein "Schweinezyklus" pflanzt sich fort, und so sind jetzt die Jahrgänge 1960-70 überrepräsentiert.
    Und neuerdings werden freiwerdende Professuren als Juniorprofessuren mit tenure track ausgeschrieben mit der Vorschrift, dass Bewerber zum Zeitpunkt der Bewerbung nicht mehr als 6 Jahre nach dem Diplom/Master verbracht haben dürfen. Also führt das zu einer Bevorzugung der Jahrgänge 1990-2000, andere werden ausgeschlossen. Und so geht es weiter.
    Ursächlich sind eben Entscheidungen aus den Ministerien, die nicht sachlich, sondern nur politisch begründet sind.
    Hat man eigentlich im Bereich der Lehrer an Schulen je für eine ausgeglichene Altersstruktur gesorgt? Ich glaube nicht.

  • #9

    Johannes (Montag, 17 Februar 2025 21:22)

    Ich finde Jan-Martin Wiardas Darstellung zu aufgeregt - hinweggetragen von zu viel Prozentzahlen bei zu kleinen absoluten Zahlen. Wenn morgen in der Zeitung stünde: in einem bestimmten Arbeitsmarkt, der sich aber über alle denkbaren Ausbildungen erstreckt, werden künftig 500 Stellen pro Jahr mehr frei - dann wäre das eine komische Nachricht. Auch das CHE schreibt, dass 44% Ersatzbedarf nicht so viel höher ist als der statistisch erwartbare von 40%. Ja: Professor ist heute weniger Traumberuf, und teilweise haben andere Berufsmöglichkeiten einen besseren Ruf. Aber mit der Alterstruktur hat das wenig zu tun. Eine Scheindebatte?