So besorgniserregend Fördermittelkürzungen oder Listen mit unliebsamen Forschungsthemen sind: In einer Demokratie gibt es Gerichte, um im Bedarfsfall die Rechtmäßigkeit von Regierungshandeln überprüfen zu lassen. Doch was, wenn eine Regierung anfängt, Gerichtsurteile nicht mehr zu befolgen? Eine jedenfalls schaut der Trump-Regierung garantiert gerade sehr interessiert zu: Alice Weidel.

ALS MIR die seitenlange Keyword-Liste das erste Mal in den Social Media begegnete, wollte ich kaum glauben, dass sie echt sein sollte. Von "barriers" und "biased" über "female" und "inequality" bis hin zu "socio economic" oder "systemic" steht so ziemlich alles drin, was bei sozial- und geisteswissenschaftlichen Forschungsfragen eine Rolle spielt. Teilweise weit darüber hinaus. Und anhand solcher Begriffe sollen jetzt in den USA Mitarbeiter der National Science Foundation (NSF) verdächtige Forschungsanträge herausfischen, um sie anschließend auf ihre Förderfähigkeit unter Trumps neuer Anti-Diversity-Politik abzuklopfen?
Wenig später wurde bekannt, dass die Overhead-Zuschüsse der National Institutes of Health (NIH) für geförderte Projekte nahezu halbiert werden sollen, was den Universitäten und Forschungseinrichtungen auf einen Schlag Milliarden entziehen würde.
So dramatisch diese und weitere Maßnahmen sind, so viel sie aussagen über das antidemokratische und rein instrumentelle Verhältnis der Trump-Leute zur Wissenschaft, so war es für mich doch eine andere Nachricht, die den atemberaubend schnellen Übergang der USA in den Autoritarismus markieren könnte.
Ein Bundesrichter aus Rhode Island warf am Montag dem Weißen Haus vor, es habe seine einstweilige Anordnung zumindest in Teilen ignoriert. Seine Anordnung, trotz des von Trump verfügten generellen Ausgabenstopps zunächst doch Bundesgelder auszuzahlen – bis über die von rund 20 Bundesstaaten angestrengte Klage entschieden ist.
"Judges aren't allowed to control
the executive's legitimate power"
Ein einzigartiger Vorgang, weil der Trump-Regierung selbst legale Wege zustanden, um per Berufung gegen die einstweilige Anordnung vorzugehen. Was sie parallel auch tat. Indem sie aber in der Zwischenzeit den Richterspruch nach eigenem Gutdünken interpretierte, sendete sie eine Botschaft: Wir, die Exekutive, fühlen uns nicht mehr an die Judikative gebunden.
Vizepräsident J.D. Vance postete am Wochenende, bezogen auf einen anderen Richter und eine andere – in dem Fall gegen Musks DOGE-Behörde gerichtete – einstweilige Anordnung: "Richter dürfen nicht die legitime Macht der Exekutive kontrollieren."
Doch, genau das ist in der Demokratie die Aufgabe von Gerichten: zu überprüfen, ob Legislative und Exekutive sich an die Verfassung halten.
Nachdem die Berufung gegen den Richterspruch aus Rhode Island inzwischen ebenfalls abgewiesen wurde, ist zu hoffen, dass die Regierung vollends einlenkt und es bei dem Einzelfall bleibt. Trump selbst erklärte zwar laut Spiegel am Mittwoch, dass er sich an Gerichtsentscheidungen gebunden fühle. Doch fast gleichzeitig warf seine Pressesprecherin Richtern, die Anordnungen gegen Trumps Maßnahmen erlassen, "Machtmissbrauch" vor. In der Judikative finde die eigentliche Verfassungskrise statt: "Wir glauben, dass diese Richter als juristische Aktivisten agieren statt als ehrliche Unparteiische des Gesetzes." Diese Ambiguität der Kommunikation ist wie so oft zuvor Absicht.
Fest steht: Auf den Gerichten ruht für viele gerade die letzte Hoffnung der US-Demokratie. Doch kein Gericht, weder in den USA noch anderswo, hat die praktische Macht, eine Regierung zur Umsetzung seiner Urteile zu zwingen. Das können nur die Vollzugsbehörden – und die werden gesteuert von der Regierung.
Die USA zeigen gerade,
was alles möglich ist
Verstörend einfach ist es, eine Demokratie zu demontieren, wenn man nur gleichgültig genug ist gegenüber ihren Regeln. Und kaltblütig genug, ihre Institutionen je nach Bedarf einzuschüchtern oder zu ignorieren. Am besten geht das mit dem Argument, das seien ohnehin nur aktivistische Richter, die ihr Amt für ihre eigene "linke" Agenda missbrauchten. Dann gibt es kein Halten mehr.
Was sich in den USA, einer der ältesten Demokratien der Welt, gerade andeutet, sollte uns in vielerlei Hinsicht eine Warnung sein. Etwa wenn Alice Weidel sagt, eine Regierung unter AfD-Führung würde alle Einrichtungen der Gender Studies schließen und "alle diese Professoren" rausschmeißen. Geht doch gar nicht, könnte man ihr vorhalten, das verstößt gegen das Grundgesetz.
Die Sache ist nur: Sollte die AfD tatsächlich einmal Regierungsgewalt bekommen, wird sie genauso wenig Achtung für demokratische Regeln haben. Wir haben viel über den Schutz des Bundesverfassungsgerichts debattiert. Was aber, wenn am Ende eine Regierung den Entscheid unabhängiger Verfassungsrichter einfach mit Achselzucken quittiert?
Nicht möglich? Die USA zeigen gerade, was alles möglich ist. Uns allen sollte es eiskalt den Rücken hinunterlaufen.
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Potsdamer (Donnerstag, 13 Februar 2025 09:01)
Das kann man auch ganz anders sehen: Die Bedrohung der Demokratie geht von aktivistischen Gerichten aus, die in den letzten Jahrzehnten immer mächtiger geworden sind zugunsten der Exekutive und Legislative. Vgl. diesen lesenswerten Beitrag eines der klügsten britischen Juristen:
https://archive.ph/DNo9S
Potsdamer (Donnerstag, 13 Februar 2025 10:47)
*zu Lasten*
Rüdiger Klapproth (Donnerstag, 13 Februar 2025 11:29)
Die Vorgänge in den USA sind in der Tat erschreckend. Man kann nur hoffen, daß sich dort Gegenwehr zeigt. Die Ambitionen einer eigentlich intelligenten Frau wie Dr. Alice
Weidel lassen aber auch hier aufhorchen. Jemand, der einen
Hitler für einen Linken hält, sollte in der Tat niemals reale
Macht bekommen.
Tim (Donnerstag, 13 Februar 2025 13:41)
Der Beitrag ist nicht von Jonathan Sumption (Jurist), sondern von Fraser Nelson (Journalist), der offenbar ein Interview mit ihm führte(?) und aus diesem so wie aus früheren Äußerungen und Schriften von Sumption einen Artikel generiert hat.
Sumption schreibt in dem zitierten Buch (und in dem Vorgänger von 2019) zwar grundsätzlich zum Thema des zunehmenden Einflusses der Judikative auf Gesetzgebung und vor allem Interpretation und Durchsetzung, aber ziemlich differenziert und eigentlich auch mit Fokus auf Großbritannien.
Das ist nicht so einfach auf die Situation in den USA übertragbar.
Die grobe Lehre, die ich mitgenommen habe war da eher, dass die Judikative Lücken der Legislative füllt, wenn die nicht professionell sondern programmatisch arbeitet.
Bin da aber über Sumptions medizinethisch relevante Aussagen hingestolpert und selbst natürlich kein Jurist, eine Fehlinterpretation ist daher durchaus möglich.
David J. Green (Donnerstag, 13 Februar 2025 20:24)
Leider muss man nicht in die Ferne schweifen, um ein Beispiel zu finden, wo eine amtliche Stelle den Feinden unserer Grundordnung eine willkommene Vorlage anbietet, wie man sich über ein höchstrichterliches Urteil hinwegsetzt. Oder haben wir vergessen – bzw. damals gar nicht wahrgenommen –, was 2018 in Wetzlar geschah? Ja, es ging um die NPD: Aber das ist gerade die Sache mit einer freiheitlich demokratischen Grundordnung: sie schützt auch jene, deren Ziele ich verabscheue. https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2018/bvg18-016.html?nn=68080
Potsdamer (Freitag, 14 Februar 2025 07:45)
@Tim Vielleicht ist folgende Hintergrundinformation hilfreich. Die öffentliche Debatte in UK dreht sich im Kern um diesen Zweischritt:
1. Sind (linksliberale) Politiker zu weit auf dem Weg gegangen, Fragen zu verrechtlichen, die eigentlich politisch entschieden gehören? Bsp. Human Rights Act, Equality Act unter Blair/ Brown.
2. Sind (linksliberale) Juristen zu restriktiv dabei, politisches und von demokratischen Mehrheiten getragenes Handeln der Exekutive unter Berufung auf o.g. Gesetzeswerke zu unterbinden oder einzuschränken? Sog. 'judicial review'.
Als traditioneller Tory (er ist kein Populist!) bejaht Sumption beides; das Zitat unten aus dem o.g. Artikel enthält den Kern seiner Argumentation.
Richtig, er bezieht sich hier auf sein eigenes Land. Aber die Debatte findet in den USA --auch in Italien und ansatzweise im verschlafenen Deutschland-- gerade ganz ähnlich statt, vor allem zur irregulären Migration.
"Rarely among lawyers, Sumption is critical of what he calls “the legal view” of society: that certain principles (equality, diversity) ought to be enshrined in statute and be put outside the reach of politics. “There are lots of people who essentially want their own social policies to have the force of law, preferably a fundamental law which governments could not encroach upon.” The Equality Act and the Human Rights Act both made it easier to sue using judicial review. “This is actually a serious problem and it can only really be dealt with by raising the threshold at which you can quash or can criticise a government policy,” he says."
Wolfgang Kühnel (Freitag, 14 Februar 2025 10:24)
Alles richtig, aber man sollte nicht so tun, als ob die anderen Parteipolitiker nicht auch Einfluss auf die Wissenschaft nehmen. Das sog. "Monitoring" mit standardisierten Tests soll es in Deutschland nur für Grundschüler und 15-Jährige geben, aber niemals für Oberstufenschüler, etwa ein Jahr vor dem Abitur. Der Grund: Die Duodezfürsten in den Bundesländern befürchten Nachteile für ihr Prestige und die künftigen Wahlchancen ihrer jeweiligen Partei. Aus Sicht der Bildungswissenschaft dagegen wäre das sehr sinnvoll. Es gibt nämlich Gerüchte über eine nachlassende Allgemeinbildung von Abiturienten, über nachlassende Deutsch- und Mathematikkenntnisse. Die könnte man mit solchen Tests bestätigen oder auch zerstreuen.
Django (Freitag, 14 Februar 2025 12:52)
Zu #6. Ich verstehe da etwas nicht.
Punkt 1: "Sind (linksliberale) Politiker zu weit auf dem Weg gegangen, Fragen zu verrechtlichen, die eigentlich politisch entschieden gehören?" Vielleicht bin ich ja etwas naiv, aber ich dachte bisher, dass wir zunächst eine im weiteren Sinne politische Debatte führen (worüber auch immer) und das Ergebnis dann in der Regel in ein Gesetz gießen. Wenn wir der Meinung sind, dass Vergewaltigung in der Ehe strafbar ist, Menschen ungeachtet ihrer Herkunft oder ihres Geschlechts die gleichen Rechte haben sollen, wir möglichst wenig tun, was zum Klimawandel beiträgt etc. - wie wollen wir staatliche, wirtschaftliche und private Akteure dazu bringen, sich auch entsprechend zu verhalten, wenn nicht durch ein Gesetz?
zu 2. "Sind (linksliberale) Juristen zu restriktiv dabei, politisches und von demokratischen Mehrheiten getragenes Handeln der Exekutive unter Berufung auf o.g. Gesetzeswerke zu unterbinden oder einzuschränken?" Das ist in meinen Augen eine ganz gefährliche Argumentation. Was ist denn "von demokratischen Mehrheiten getragenes Handeln"? Und wie soll sich dieses Handeln legitimieren, wenn es gleichzeitig offenbar ungesetzlich ist? Für Fälle, wo Gerichte irren, gibt es ja immer noch den Weg zur nächsten Instanz.
Die Ansicht, dass man mit (z.B.) dem "Equality and Human Rights Act" (Disclaimer: ich weiß nicht, was drin steht) zu weit gegangen sei, bedeuet im Umkehrschluss, dass man den Betroffenen im Zweifelsfall den Rechtsweg versperrt. Wollen wir das wirklich?
(Von dort ist es immer noch ein ganzes Stück bis zu der Behauptung der US-Regierung, dass die Exekutive über der Judikative steht. In den USA läuft gerade ein Staatsstreich, und alle bleiben cool. Muss man nicht verstehen.)
Regina Mauzel (Freitag, 14 Februar 2025 17:16)
@3: Sie haben wirklich Recht. Diese Frau und ihre Partei sind nicht wählbar.