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Der 4,5-Miliarden-Lackmustest

Das Sondierungspapier von Union und SPD erhöht die Befürchtungen, der nächsten Koalition könnte die Finanzierung heutiger Wohltaten wichtiger sein als Zukunftsinvestitionen. Immerhin gibt es Hoffnungszeichen – und für Bildung und Wissenschaft ein paar ambitionierte Ankündigungen. Nur: Kann man sie ernstnehmen?

Bild: OshDesign / Pixabay.

SEIT SAMSTAGNACHMITTAG gibt es für mich persönlich eine Mindestzahl, die darüber entscheiden wird, ob das geplante schwarz-rote Schuldenpaket tatsächlich als die versprochene Investitionsoffensive für die Zukunft unseres Landes taugt. Oder ob Schwarz-Rot doch vor allem die Verteilung teurer Wahlgeschenke auf Kosten der Generationengerechtigkeit anstrebt. Also genau das, weswegen Gegner einer Auflockerung der Schuldenbremse, ich eingeschlossen, in der Vergangenheit gewarnt hatten. Meine persönliche Mindestzahl lautet: 4,5 Milliarden Euro pro Jahr. Um so viel müssen schon vom kommenden Jahr an die laufenden Ausgaben für Bildung, Wissenschaft und Jugend mindestens steigen, also nicht die über das Sondervermögen finanzierten Investitionen, sondern die ganz normalen Einzelpläne. Wieso 4,5 Milliarden? 

 

Zur Erklärung ein Blick in das Sondierungspapier, das die vier Verhandlungsspitzen von Union und SPD am Wochenende vorgelegt haben.

 

Zu den insgesamt elf Seiten ließe sich viel sagen, gerade über den überdimensionierten Anteil, der dem Thema Migration gewidmet ist und der eine Mischung aus einer vor allem Ärger mit den Nachbarn verursachender Symbolpolitik (Zurückweisung an den Staatsgrenzen "in Abstimmung mit unseren europäischen Partnern"), aus verfassungsrechtlich kaum haltbaren Maßnahmen (im Asylrecht den zivilrechtlichen "Beibringungsgrundsatz" anwenden, so dass alle Beweislast beim Asylantragsteller liegt) und aus ethisch Fragwürdigem (die Aufnahme von früheren Hilfskräften der Bundeswehr aus Afghanistan beenden) darstellt.

 

Das Schmieröl in der
Sondierungsmaschine

 

Abseits der Abschnitte zur Migration lässt sich Grundtenor der Abmachung indes ziemlich einfach zusammenfassen: Sie wird teuer. Und zu ihrer Finanzierung ist die Verabschiedung der beiden Sondervermögen die zwingende Voraussetzung – während die Zustimmung von Grünen und/oder FDP zur nötigen Verfassungsänderung angesichts der Pläne alles Andere als gesichert ist.

 

Eine – unvollständige Liste – der haushaltsrelevanten Vorhaben, die für Union und SPD zum Schmieröl ihrer Sondierungsmaschine gehörten: neuer E-Auto-Kaufanreiz, höhere Pendlerpauschale, Wiedereinführung der Agrardiesel-Rückvergütung, Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie – und die Mütterrente III.

 

Nun kann man über den wirtschaftspolitischen Sinn und Unsinn vieler Maßnahmen streiten, doch in der Gesamtschau verleitete das Sondierungsergebnis selbst den Präsidenten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Moritz Schularick, der als einer von vier Ökonomen die Sondierer Richtung Sondervermögen beraten hatte zu folgendem Kommentar auf "X": "Auf die Gefahr des Verschiebebahnhofs hatten wir explizit hingewiesen. Ein Sondervermögen für Infrastrukturinvestitionen muss dazu führen, dass im gleichen Umfang mehr investiert wird. Nicht für teure Wahlgeschenke wie die Mütterrente..."

 

Die Gefahr des Verschiebebahnhofs: Man senkt die Investitionen im normalen Bundeshaushalt ab, ersetzt sie durch Investitionen aus dem Sondervermögen, wodurch das theoretische Investitionsplus von 50 Milliarden beliebig kleiner wird. Und dann nutzt man die eingesparten Milliarden im Normalhaushalt für Mütterrente und Co. Dass es so kommen könnte, darauf hatte ich ebenfalls schon in meiner ersten Analyse am Mittwoch hingewiesen. Inzwischen liegt die Formulierungshilfe für die zwecks Einrichtung der Sondervermögen nötige Grundgesetzänderung vor, und darin sind tatsächlich keinerlei Vorgaben wie die von Schularick geforderte Zusätzlichkeit der Mittel enthalten. Woraufhin das Motto der Sondierer offenbar lautete: Der "Verschiebebahnhof" ist eröffnet.

 

Während ein beträchtlicher Anteil der angeblichen Zukunftsinvestitionen also nicht für zukünftige Generationen fließen soll, sondern für das Wohlgefühl der heutigen, vor allem der älteren Wähler, werden die zukünftigen Generationen 100 Prozent der zusätzlichen Schulden tragen müssen.

 

Für Jugend, Bildung und Wissenschaft mindestens
so viel zusätzlich wie für die Mütterrente

 

Wie schlimm es tatsächlich kommt? Damit sind wir bei den 4,5 Milliarden. Das ist der Betrag, den voraussichtlich allein die Ausweitung der Mütterrente kosten wird. Der Plan ist, dass alle Mütter unabhängig vom Geburtsjahr ihrer Kinder drei Rentenpunkte pro Kind erhalten sollen. Was 0,5 Prozent Rentenpunkte mehr bedeutet für alle Geburten vor 1992. Die vorige Erhöhung um 0,5 Rentenpunkte für dieselbe Gruppe von Müttern kostete laut Rentenversicherung pro Jahr 4,3 Milliarden Euro zusätzlich. Seitdem ist der Rentenwert gestiegen, so dass die Rentenversicherung diesmal von 4,45 Milliarden ausgeht. Ein Wert, der mit jeder Rentenerhöhung steigen wird.

 

Wenn die nächste Bundesregierung allein diesen Betrag für die ältere Generation ausgeben will, wohl vom Jahr 2026 an, und das dauerhaft, dann bedeutet das für mich den Lackmus-Test: Wird sie mindestens ebenso viel schon vom kommenden Jahr und ebenfalls dauerhaft – das heißt aus dem laufenden Haushalt – für Kinder und Jugendliche, für Wissenschaft und Hochschule ausgeben?

 

Natürlich könnte man auch einen höheren Betrag ansetzen – je nachdem, welche sonstigen der zahlreichen neuen Konsumausgaben, die Union und SPD planen, man hineinrechnen wollte. Insofern sind die 4,5 Milliarden wirklich der Mindestbetrag, weil die Sache mit der Mütterrente so eindeutig, ja symbolhaft ist.

 

Das Argument, dass ja über das Sondervermögen mehr Geld in Bildung und Wissenschaft investiert werden soll, ist an dieser Stelle keines. Denn bei der Mütterrente III reden wir nicht von Investitionen, wir reden nicht von Ausgaben für Beton, sondern für Menschen. Und genau das gleiche müsste dann auch für die Belange der zukünftigen Generationen geschehen, und zwar jetzt.

 

Was bedeutet das praktisch: Der bisherige Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der 2024 bei 21,5 Milliarden lag, müsste 2026 mindestens bei 26,0 Milliarden rauskommen (wenn weniger, dann müsste, das Budget für Jugend im BMFSFJ entsprechend wachsen). Ist das nicht der Fall, würde das bedeuten, dass hier Gegenwart und Zukunft einmal mit zweierlei Maß behandelt werden. Die Gegenwart wird frisch und dauerhaft alimentiert, die Zukunft muss auf Betongeld hoffen, für das sie mindestens teilweise selbst mit Betongeld aus dem normalen Haushalt aufkommen soll.

 

Warum ich in Wirklichkeit gar
nicht so pessimistisch bin

 

Nun hörten sich meine bisherigen Ausführungen hauptsächlich negativ an. Doch komplett pessimistisch bin ich gar nicht. Das hat mit ein paar erfreulich ambitionierten Ankündigungen und einer Parteichefin zu tun.

 

Die Ankündigungen: Die Aussagen, die die Sondierer zu Jugend, Bildung, Wissenschaft und Innovation treffen, sind zwar im Vergleich zu manch anderem Bildungsbereich bemerkenswert rudimentär, aber zugleich zeigen sie einen gewissen Ehrgeiz und könnten viel Geld kosten:

 

o  "Wir werden mehr in Integration investieren, Integrationskurse fortsetzen, die Sprach-Kitas wieder einführen, das Startchancen-Programm fortsetzen und auf Kitas ausweiten."

 

o Wir wollen, dass Familien Kindererziehung, Pflege und Beruf partnerschaftlich vereinbaren können. Deshalb werden wir gemeinsam mit Ländern und Kommunen für verlässliche Kitas, Ganztagsschulen und Tagespflege sorgen."

 

o "Innovation und Forschung Vorrang geben": "Wir legen ein schlagkräftiges Programm für Forschung, Innovation, Technologien, Transfer und Entrepreneurship vor – eine Hightech-Agenda für Deutschland. Wir wollen die Fusionsforschung stärker fördern. Unser Ziel ist: "Der erste Fusionsreaktor der Welt soll in Deutschland stehen. Wir wollen die Chancen von Künstlicher Intelligenz und Digitalisierung stärker nutzen. Dafür brauchen wir eine massive Aufstockung der Mittel für Forschung und Entwicklung."

 

o "Es ist in unserem Interesse, strategisch wichtige Branchen in Deutschland zu halten bzw. neu anzusiedeln, z.B. die Halbleiterindustrie, Batteriefertigung, Wasserstoff oder auch Pharma."

  

Die Wiedereinführung der in der Ampel eingestellten Förderung von Sprach-Kitas sowie die Ausweitung der Startchancen auf die Kitas würden für sich genommen bereits mit mindestens einer bis 1,5 Milliarden Euro allein auf Bundesseite zu Buche schlagen (zusätzlich zur jetzigen Startchancen-Milliarde pro Jahr für die Schulen). Und wenn Union und SPD das mit der aus dem bayerischen CSU-Vokabular geborgten "Hightech-Agenda für Deutschland" ernst meinen und Schlagworte wie "der erste Fusionsreaktor der Welt" mehr sein sollen als Gerede, wäre das zur Abwechslung wirklich mal ein "Think Big" und müsste entsprechend finanziert werden. Hier bewegte man sich dann schnell im mittleren einstelligen Milliardenbereich – pro Jahr. Einen Anhaltspunkt für die anstehenden Aufgaben haben kurz vor der Bundestagswahl auch die Länder mit ihrem Forderungspapier an den Bund gegeben.

 

Wichtig dabei: Ob Sprach-Kitas, Startchancen oder "Hightech-Agenda", es würde sich jeweils nur zum (kleineren) Teil um Investitionen in Gebäude und Technologie handeln und zu einem beträchtlichen Prozentsatz um Ausgaben für Personal, deren Qualifizierung und den laufenden Betrieb. Also, siehe oben, nichts fürs Sondervermögen, sondern für die Erhöhung der regulären Haushalte.

 

Nun noch zur Parteichefin. Saskia Esken galt nach der Bundestagswahl als angezählt, doch immer deutlicher zeigt sich, dass sowohl die Pläne zur Reform der Schuldenbremse als auch die Passagen im Sondierungspapier zu Bildung ihre Handschrift tragen. Ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden allein für die Bildung forderte die SPD-Parteichefin schon seit Jahren, und die Ausweitung der Startchancen auf die Kitas hat vor allem sie ins SPD-Wahlprogramm gebracht. Die Frau denkt langfristig.

 

Zusammen mit Karin Prien, der mächtigsten Bildungspolitikerin der Union, muss allen voran sie jetzt dafür sorgen, dass das geplante Schuldenprogramm für die künftigen Generationen keine Mogelpackung wird. Das heißt: mindestens 4,5 Milliarden Euro pro Jahr mehr für Bildung, Wissenschaft und Jugend im normalen Haushalt. Plus ein beträchtlicher Anteil vom Sondervermögen.



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Kommentare: 5
  • #1

    Forschender (Montag, 10 März 2025 09:29)

    "Unser Ziel ist: "Der erste Fusionsreaktor der Welt soll in Deutschland stehen."

    Selten so gelacht. Marvel Fusion wandert gerade nach Colorado ab.

    Es bringt überhaupt nichts, zusätzliche Milliarden in das dysfunktionale deutsche Forschungssystem zu pumpen, wenn man nicht vorher drastische Strukturreformen durchsetzt. Aber eher kommt Godot als die kommen.

  • #2

    Tim (Montag, 10 März 2025 10:18)

    Nicht dass es nicht doof ist, wenn mit deutschen Steuergeldern massiv geförderte Unternehmen ihre Technologie ins Ausland schaffen.
    Marvel Fusion jetzt aber als einen relevanten Faktor für kommerziell anwendbare Fusionstechnologie in Deutschland oder weltweit zu definieren spricht der Firma meiner Meinung nach deutlich mehr Substanz zu als sie hat.
    Was sie aus meinem Blickwinkel definitiv haben sind sehr, sehr ambitionierte Ziele, eine super Marketingabteilung (dual-use ?) und ein Händchen für Fördermittelanträge.

    Wendelstein ist hingegen bereits physisch existent und "Marktführer" in Bezug auf kontinuierlichen Betrieb, wenn auch weit weg von der Marktreife.

  • #3

    Forschender (Dienstag, 11 März 2025 08:59)

    @Tim Das ist doch gerade das Problem!

    Wenn man Forschung marktreif machen will, braucht man unbedingt "sehr, sehr ambitionierte Ziele, eine super Marketingabteilung (dual-use ?) und ein Händchen für Fördermittelanträge". Klappern gehört zum Handwerk!

    Wenn die hehren Grundlagenforscher @Wendelstein das nicht wollen oder nicht können, bestätigt das meine Prognose, daß der Transfer in Deutschland massive strukturelle Probleme hat. Nicht nur bei der Kernfusion.

  • #4

    Tim (Dienstag, 11 März 2025 10:13)

    @Forschender
    Ich stimme zu, dass ambitionierte Ziele zu Startups passen.
    Ich behaupte aber auch, dass Glaubwürdigkeit ebenfalls ein essentielles Element eines jeden erfolgreichen Startups ist und dass ab einem gewissen Stadium auch Substanz im Sinne von Demonstratoren oder zumindest konzeptionellen Prototypen dazugehört.
    Insbesondere, wenn es um ein "großes" Thema wie Kernfusion geht.

    Sehr, sehr ambitionierte Ziele gab es in dem Bereich schon öfter, z.B. Stichwort "cold fusion 1989". Es ist ein schmaler Grat zwischen klappern und blenden.

  • #5

    David J. Green (Donnerstag, 13 März 2025 13:11)

    Die Spatzen in der Hand (Mütterrente usw.) sind sehr real, dagegen erinnert das Ampel-Koalitionspapier mahnend daran, wie weit Weg die Tauben auf dem Dach (Jugend, Bildung, Wissenschaft und Innovation) sind.