Wenn der wissenschaftliche Diskurs zu einem Wettbewerb der lautesten Meinungen wird, haben die Autoritären gewonnen. Es wäre das Ende der Hochschulen, wie wir sie kennen. Das müssen wir verhindern. Ein Gastbeitrag von Jutta Günther.

Jutta Günther ist Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlerin und seit 2022 Rektorin der Universität Bremen. Foto: Matej Meza.
DISKUSSIONEN UM DEN ERHALT VON DEMOKRATIE und Freiheit an den Hochschulen reißen nicht ab. Ganz im Gegenteil. Sie nehmen angesichts antidemokratischer Bestrebungen, derzeit vor allem unter dem Eindruck dramatischer Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit in den USA, zu.
Antidemokratische Bestrebungen gehen von innerhalb der Hochschulen, etwa von dialogverweigernden Gruppierungen, aber auch von außerhalb durch die globale Zunahme autokratischer Politik aus. Die öffentliche Positionierung der Hochschulleitungen zu diesen einschneidenden Entwicklungen ist wichtig. Im aktuellen Podcast "Das werden wir verhindern" im Wiarda-Blog diskutieren drei Kolleg:innen aus Hochschulleitungssicht und werfen dabei auch die Frage auf, ob Hochschulen angesichts der Lage aktiv(er) werden sollten. Meine Antwort: Ja, es ist an der Zeit, Flagge zu zeigen für die Demokratie.
Gewiss, oberflächlich betrachtet könnte man fragen: Wo ist das Problem? Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Wissenschaftsfreiheit genießen in Deutschland schließlich Verfassungsrang. Hochschulen sind Orte freier Forschung und Lehre, und sie besitzen Hochschulautonomie. Wenn sie sich, etwa durch staatliches Handeln, in ihren Rechten auf diese Freiheit eingeschränkt sehen, können sie klagen. Die weitaus überwiegende Mehrheit der Hochschulangehörigen steht fest auf dem Boden des Grundgesetzes und setzt sich für die Demokratie ein.
"Die Veränderungen geschehen schleichend, verschieben das Sagbare, infiltrieren die Diskurse in eine Richtung, die mit Menschlichkeit und Humanismus nichts mehr zu tun hat."
Tatsächlich aber sind die Veränderungen, die von antidemokratischen Bewegungen ausgehen, vielschichtig. Sie geschehen schleichend, verschieben das Sagbare, infiltrieren die Diskurse in eine Richtung, die mit Menschlichkeit und Humanismus nichts mehr zu tun hat. Ein Beispiel: das Wort "Remigration" erlangte durch die Enthüllungen des Treffens in Potsdam vor mehr als einem Jahr traurige Berühmtheit und sorgte für eine Welle des Protests. Viele Hochschulen erhoben ihre Stimme, veröffentlichten Erklärungen und gingen auf die Straße, auch in Bremen – schließlich sind Hochschulen Orte, an denen eine vielfältige Gemeinschaft von Mitarbeitenden und Studierenden zusammenwirken. Etwas mehr als ein Jahr nach Potsdam hat das Wort Remigration in den öffentlichen Diskurs Einzug gehalten.
Was ist, wenn antidemokratische Bestrebungen nicht nur immer mehr Diskursraum, sondern irgendwann auch politische Macht erlangen? Solche Bestrebungen können sowohl von "rechts" als auch von "links" ausgehen. Derzeit gibt es viele Anzeichen dafür, dass eine "Neue Rechte" autokratischen Strukturen Vorschub leistet, sodass Werte wie Demokratie, Vielfalt und Weltoffenheit massiv in Frage gestellt werden. Schützen uns als Hochschulen dann unsere Demokratie, unser Grundgesetz, unsere Rechtsstaatlichkeit und Wissenschaftsfreiheit?
Ich denke, wir sollten die Frage ein Stückweit umdrehen. Wie schützen wir als Hochschulen unsere Demokratie, und zwar jetzt? Hochschulen kommt in freiheitlich-demokratischen Gesellschaften nicht irgendeine Rolle zu. Sie sind Orte, an denen der wissenschaftliche Diskurs gepflegt und nach Wahrheit gesucht wird. Dies geschieht in akribischer, selbstkritischer, mühevoller Kleinstarbeit quer durch alle Disziplinen und ist mit der akademischen Lehre auf das Engste verbunden. Es ist Aufgabe der Hochschulen, selbstreflektiert und hinterfragend, Wahrheit zu suchen und Erkenntnis zu stiften. So sehr sich Hochschulen auch voneinander unterscheiden, in diesem einen Punkt – dem Ringen um Wahrheit und Erkenntnis – unterscheiden sie sich nicht. Es ist ihre zentrale Funktion, es ist der Nukleus des ganzen Wissenschaftsbetriebs.
"Wer autoritäre Strukturen etablieren will,
sucht nicht den Abgleich seiner Positionen
mit der Wirklichkeit."
Einer der wirksamsten Angriffe autokratischer Bestrebungen besteht im Angriff auf diesen Kern, auf die Wahrheit an sich, auf die Tatsache, dass es eine faktische Wirklichkeit gibt und eben keine "alternativen Fakten", die beliebig austauschbar wären. Wer autoritäre Strukturen etablieren will, sucht nicht den Abgleich seiner Positionen mit der Wirklichkeit. Den interessiert kein Faktencheck. Dem geht es vielmehr darum, den wissenschaftlichen Diskurs durch einen bloßen Wettstreit von Meinungen zu ersetzen, in dem dann das Argument des Lautesten den Ausschlag gibt und nicht die so viel mühsamere Suche nach Wahrheit.
Wenn diese Schranken fallen, wäre es das Ende der Hochschulen, wie wir sie kennen, und das geht uns alle an. So wie es uns alle angeht, wenn die Wissenschaftsfreiheit irgendwo auf der Welt angegriffen wird, sei es etwas in Ungarn, Hongkong oder den USA. Es ist ein Angriff auf uns alle, auf die gesamte scientific community.
Als Universitätsrektorin beschäftigt mich die Frage nach unserer Verantwortung und auch nach meiner persönlichen Verantwortung gerade sehr. An meiner Universität, mit Menschen in der Wissenschaft und darüber hinaus führe ich viele Gespräche dazu. Wichtige Impulse geben auch Veranstaltungen wie das neulich von der VolkswagenStiftung organisierte forschungs- und hochschulpolitische Werkstattgespräch "Hochschulen als Bollwerk der Demokratie" in Hannover.
Ich bin dankbar für diesen Diskurs und werde mich dafür einsetzen, dass wir auch in Zukunft an einer Hochschule arbeiten, an der Demokratie, Vielfalt und Weltoffenheit unsere festen Werte sind, wo freie Forschung, freie Lehre und freier Geist nicht nur möglich, sondern unverrückbare Größen sind. Genau dafür sollten Hochschulen Flagge zeigen.
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Laubeiter (Dienstag, 08 April 2025 10:05)
Sie schreiben "Etwas mehr als ein Jahr nach Potsdam hat das Wort R*** in den öffentlichen Diskurs Einzug gehalten. " Das ist mir zu pessimistisch. Hat das Wort Einzug gehalten? Kennen Sie die Idee der Psychologen, dass Wiederholen, auch in Form einer Verurteilung, den Begriff verankert? Ich kann mit R*** wenig anfangen. Im Bundestagswahlkampf war von R*** wenig zu hören, oder?
Da (Dienstag, 08 April 2025 12:15)
Vielen Dank für diesen wichtigen Gastbeitrag.
Wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, wo überall und auf welche - in der Tat schleichende - Art und Weise Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt wird, als Teil eines größeren Prozesses, in dem immer auch andere Freiheiten unter autokratische, anti-pluralistische Räder kommen. Heute schauen alle auf die USA. Wir müssen in der EU aber auch vor unserer eigenen Haustür kehren.
Gernot Raubein (Mittwoch, 09 April 2025 07:13)
Es muß rechtzeitig gelingen, in diesem Land zu verhindern, daß die blau lackierte braune Partei hier wirklich Macht erlangt. Noch kann es gelingen.
Berit (Donnerstag, 10 April 2025 09:34)
Es ist ein wichtiges Thema, ja. Was mich an diesem Beitrag stört, ist zum einen der Aspekt, der im ersten Kommentar von Laubeiter angesprochen wird.Zweitens die Gleichsetzung von Rechts und Links. Was meinen Sie damit Frau Günther? Fakt ist, dass in Deutschland gerade Die Linke sich im besonderen Maße für den Erhalt von Demokratie und alle damit verbundenen Werte einsetzt. Man muss nicht alle ihre Positionen teilen oder diese Partei wählen. Aber gleichwohl sollten wir in Deutschland anerkennen, dass sich diese Partei im besonderen Maße für Menschenrechte, Gerechtigkeit und Demokratie eingesetzt. Insbesondere hinsichtlich Migration und Asyl. Genau dort, wo die etablierten Parteien erheblich zu einer Diskursverschiebung in Richtung Entmenschlichung und Entrechtung beigetragen und damit den rechten Rand gestärkt haben. Diese Gleichsetzung von links und rechts untergräbt den Diskurs und kontakariert die Bestrebungen, sich klar gegen rechtsextreme, rechtpopulistische, demokratiefeindliche Bestrebungen zu positionieren.
G. Hausmann (Donnerstag, 10 April 2025 22:35)
@4: Der Kommentar ist m.E. wichtig. Einer Gleichsetzung von links und rechts kann man nicht zustimmen.
@3: Auch hier stimme ich zu. Man hatte diese "braune Scheiße" schon mal
in diesem Land.
Wolfgang Kühnel (Mittwoch, 16 April 2025 20:57)
Alle tun jetzt so, als sei ein politischer Einfluss auf die Wissenschaft typisch für "rechte" Regierungen. Dabei wird vergessen, dass man in der DDR den "wissenschaftlichen Marxismus-Leninismus" als "Grundlagenfach" etabliert hat und dass an jedem Fachbereich ("Sektion" genannt) eine Parteileitung der Einheitspartei existierte, die selbstverständlich mit der Stasi zusammenarbeitete. Druck auf Abweichler gab es reichlich, das Privileg, zu internationalen Tagungen fahren zu dürfen, setzte eine hohe politische Zuverlässigkeit voraus (Reisekader). Die Leute in der heutigen Linkspartei (und andere Genossen) scheinen das alles vergessen zu haben. Sie denken wohl: Wenn WIR Einfluss nehmen, ist es immer nur gut.
Zu #4: Die Linkspartei verkündete auf ihrer Homepage, es sei doch bekannt, dass Flüchtlinge sich durch Stacheldraht nicht aufhalten lassen. Die Vorgängerpartei SED war da ganz anderer Meinung, und in der Tat wurden Flüchtlinge durch Stacheldraht an der Flucht gehindert.