Das BMBF wird zum Raumfahrtministerium. Bayerische Egonummer oder Innovationsbooster? Hoffentlich der Start in eine neue Aufbruchserzählung.

Bild: KI-Grafik.
AUS DEM BMBF wird ein "Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt". Das mit der "Technologie" hatten viele erwartet – und auch dass als Teil der "Technologie" die Zuständigkeit für Raumfahrt aus dem bisherigen BMWK ins erweiterte Forschungsministerium umziehen würde. Aber deshalb das gute alte BMBF in ein Ministerium für Raumfahrt umzubenennen und mit der Ankündigung einer "Offensive für Luft- und Raumfahrt" im schwarz-roten Koalitionsvertrag zu flankieren, ist das nur aufgeblasen oder schon globalgalaktisch skurril?
Freilich kann man es auch andersherum betrachten. Deutschland steckt politisch, wirtschaftlich und sozial in einer so tiefen Krise, dass es nur mit Disruptionen wieder herauskommen wird. Disruptionen können, wie in den USA gerade zu beobachten ist, zerstörerisch wirken. Disruptionen können aber auch in der Formulierung zunächst unerhört klingender Visionen bestehen, in positiv-faszinierenden Narrativen, die zu gemeinsamen Anstrengungen motivieren.
Es muss nicht gleich das "Moonshot"-Projekt von John F. Kennedy sein. Aber das Aufzeigen einer Perspektive, die über das tägliche Klein-Klein, die eingefahrenen Konfliktlinien und Untergangsszenarien hinausweist, die ambitionierte, aber konkret erreichbare Ziele setzt, könnte sich in den kommenden Jahren als extrem wichtig erweisen. Eine deutsche Astronautin auf dem Mond? Eine Raketen-Startplattform in der Nordsee? Die Bundesrepublik als Mitkonstrukteur einer neuen internationalen Raumstation? Der Weg zum Mars geebnet auch mit deutscher Technologie? Alles möglich – und noch mehr, wenn die neue Koalition ernstmacht und die Raumfahrt-Offensive mehr wird als eine Egonummer bayerischer Regionalpolitiker.
Von "Bavaria One" zur
deutschen Raumfahrt-Offensive?
Denn, ja, auch die Gefahr besteht. Wer das Unterkapitel "Wissenschaft" im Koalitionsvertrag liest, staunt, wie ungeschminkt die CSU ihre Handschrift dort verewigen konnte. Der erste Fusionsreaktor der Welt in Deutschland? Das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik hat seinen Hauptsitz in München. Eine nationale Hyperloop-Referenzstrecke? Die TU München hat 2023 Europas erstes Hyperloop-Testsegment gebaut, eingeweiht von Ministerpräsident Markus Söder. Eine "Hightech Agenda für Deutschland"? Die "Hightech-Agenda Bayern" läuft seit Jahren, dazu gehört die Raumfahrtmission "Bavaria One", die Söder 2018 verkündet hatte.
Am Anfang erntete er dafür vor allem Spott und trug selbst entscheidend dazu bei, als er vor einem "Bavaria-One"-Logo mit seinem eigenen Konterfei posierte. Mittlerweile aber finde "selbst die Opposition lobende Worte", konstatierte vergangenes Jahr der Nachrichtensender BR24. Hunderte Millionen bereits investiert, die Pläne für eine Fakultät für Luftfahrt, Raumfahrt und Geodäsie mit rund 50 Professuren im Münchner Süden stehen, und die ESA will in Oberpfaffenhofen ihr europäisches Mondkontrollzentrum einrichten.
Wenn jetzt aller Voraussicht nach die stellvertretende CSU-Parteivorsitzende Doro Bär erste Chefin im neuen "BMFTR" wird, wird sie schnell den Verdacht zerstreuen müssen, ihre wichtigste Mission bestehe darin, möglichst viel Ministeriumsgeld nach Bayern zu schleusen.
Ein massiver Forschungssprung
nach vorn
Gelingt dem neuen Raumfahrtministerium aber der Start in eine neue Aufbruchserzählung, könnte der Nutzen ein mehrfacher sein.
o Wissenschaftlich:
"Raumfahrt" ist wie die Beschwörung anderer Schlüsseltechnologien (Fusion, Quantentechnologie) im Koalitionsvertrag eine Chiffre für den Anspruch, einen massiven Forschungssprung nach vorn zu
machen. In einer Vielfalt von Disziplinen: Die Ingenieur- und Naturwissenschaften sind genauso gefragt wie die Gesundheits- und Sozialwissenschaften. Bei der Raumfahrt etwa geht es um die
Erforschung neuer Satelliten-, Antriebs- und Navigationstechnologien, es geht um Beobachtungsinstrumente, um die Effizienz bei Erzeugung und Einsatz von Energie. Um den Umgang mit den physischen
und psychischen Folgen von Langzeitaufenthalten im All. Und bei jedem Schritt profitiert nicht nur die Raumfahrt, sondern der wissenschaftliche Fortschritt an sich, weil – wie bei den anderen
Prestigeprojekten auch – plötzlich Gelder fließen, die sonst nicht geflossen wären.
o Wirtschaftlich:
Je größer der wissenschaftliche Fortschritt, desto spannender die Verwertungsmöglichkeiten der neuen Technologien im Raumfahrtsektor und darüber hinaus, national wie international. Ein Booster für die Startup-Szene und ein potenzieller Transformationsbeschleuniger für Industriekonzerne. Langfristig genauso wichtig: Wenn sich Deutschland und Europa bei der Raumfahrt international in die erste Reihe schieben, gehen sie nicht leer aus, wenn irgendwann die Claims für die Bodenschätze im Sonnensystem abgesteckt werden.
o Politisch:
Der Weg zu mehr technologischer Souveränität und damit auch zu mehr selbstverantworteter Sicherheit führt ebenfalls mindestens in Teilen über die aus der Raumfahrt heraus angetriebene Forschung und Entwicklung. Bei der Fusions- und Quantenforschung ist es dasselbe.
"Astronautische Weltraummissionen inspirieren die nächste Generation zu Höchstleistungen", steht im Koalitionsvertrag, und auch wenn die Worthülsendichte in dem 144-Seiten-Dokument ansonsten hoch ist, bringt dieser Satz es auf den Punkt. Deutschland braucht, um die Wende zu schaffen, Inspiration. Und so seltsam die Idee mit dem Raumfahrtministerium zunächst klingen mag, es könnte Teil dieser Wende sein.
Dieser Kommentar erschien in einer kürzeren Version zuerst im ZEIT-Newsletter Wissen3.
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