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Weniger Programme, mehr Mittel

Der schwarz-rote Koalitionsvertrag hat die Chance verpasst, die Hochschulförderung zwischen Bund und Ländern neu zu ordnen. Wie ein schlankes Modell aussehen könnte. Ein Gastbeitrag von Achim Wiesner.

Achim Wiesner ist Strategieberater für Hochschulen. Er hat zwei Jahrzehnte als Wissenschaftsmanager an einer Universität gearbeitet und zu föderalen Verhandlungen im Hochschulbereich promoviert. Foto: privat.

"VERBESSERN", "verstärken", "ausbauen", "erhöhen": die Vokabeln des Koalitionsvertrags für den Bereich Wissenschaft. Viele bekannte Vorhaben für viel Geld. Faktisch wird auch hier nahezu überall ein Finanzierungsvorbehalt gelten. Hinzu kommt ein Versprechen der voraussichtlich nächsten Regierung an die Adresse von Hochschulen und Forschungsinstituten: "Wir bauen Bürokratie zurück und denken Prozesse von Grund auf neu" (Seite 77). Hoffentlich stößt dabei die Initiative der Uni-Kanzler:innen auf Gehör. 

 

Doch wer "von Grund auf neu" denken und Bürokratie abbauen will, muss zugleich das Verhältnis von Bund und Ländern in der Hochschulförderung neu ordnen. Das wäre auch ohne Grundgesetzänderung möglich, 


wenn man die Logik und Anzahl der zahlreichen Bund-Länder-Programme für Hochschulen verändert (die ohnehin eine sehr deutsche Spezialität sind).

 

Der "Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken" (ZSL) von Bund und Ländern geht in die richtige Richtung: Der Bund fördert dauerhaft und mit jährlich steigenden Mitteln die Hochschulen, er tut dies mit einer sehr breiten Zielbestimmung ("eine flächendeckend hohe Qualität von Studium und Lehre, gute Studienbedingungen in der Breite der deutschen Hochschullandschaft sowie der bedarfsgerechte Erhalt der Studienkapazitäten in Deutschland") und verlangt die Kofinanzierung der Länder, die wiederum große Freiheitsgrade in der Verwendung der Mittel haben. Diese Logik sollte radikalisiert werden. 

 

Ich hätte deshalb gern etwas in der folgenden Art im Koalitionsvertrag gelesen: 

 

"Wir führen eine Innovationsprämie für Hochschulen ein"

 

Universitäten und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften erhalten Innovationsprämien, um in den Bereichen Forschung, Studium und Lehre, Infrastruktur und Personal neuartige Ansätze und Organisationsformen zu erproben und umzusetzen.

 

Die Bundesländer als Träger der Hochschulen vergeben die Innovationsprämie nach eigenen Kriterien an die Hochschulen. Die Grundlage dafür bilden Vereinbarungen mit dem Bund. 

 

Zur Gegenfinanzierung enden die Bund-Länder-Programme für Hochschulen zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Die Innovationsprämie wird in den kommenden Jahren sukzessive im Volumen gesteigert, während die besagten Programme auslaufen. Der Bundesanteil wird dynamisiert.

 

Die vom Bund jährlich bereitgestellte Gesamtsumme für die Innovationsprämie wird nach einer Kombination von Königsteiner Schlüssel und Studierendenzahlen auf die Bundesländer verteilt. Die Mittel können von den Bundesländern nur in Anspruch genommen werden, wenn ein Land sie in halber Höhe kofinanziert – und zwar zusätzlich zu seinen Ausgaben für Hochschulen im jeweils vorvergangenen Jahr. Nicht in Anspruch genommene Mittel werden nach demselben Prinzip auf die übrigen Bundesländer verteilt.

 

Über welche Summen würden wir reden bei einer solchen Innovationsprämie? Der "Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken" ist das Schlachtschiff unter den Bund-Länder-Programmen für die Hochschulen – mit gut vier Milliarden Euro in 2025 inklusive der Gegenfinanzierung der Länder. Hinzu kommen zurzeit neun weitere Programme wie die Exzellenzstrategie, das Professorinnenprogramm, das Tenure-Track-Programm oder Programme für die Fachhochschulen. Zwei weitere Programme sind vor wenigen Jahren ausgelaufen, wovon die Qualitätsoffensive Lehrerbildung laut Koalitionsvertrag neu aufgelegt werden soll.

 

Ein oder zwei aller Programme dürften sich für eine Dezentralisierung nicht eignen (etwa "Forschungsbauten, Großgeräte und Nationales Hochleistungsrechnen an Hochschulen"), alle anderen sehr wohl. Im Schnitt stehen für diese Programme pro Jahr rund eine Milliarde Euro zur Verfügung. Von diesen reinen Programmmitteln zahlt der Bund grob zwei Drittel (die genauen Kofinanzierungsanteile variieren je Programm). 

 

Was bringt die Innovationsprämie?

 

Was würde es bedeuten, anstelle dieser Programme etwa eine Milliarde Euro jährlich wie beschrieben als Innovationsprämie einzusetzen?

 

o  Die spezifischen Gegebenheiten der Länder – ihre regionalökonomische Entwicklung, Hochschulstruktur und Innovationsbedarfe – ließen sich gezielter berücksichtigen.

 

o Der Kofinanzierungsmechanismus würde Anreize schaffen für ein langfristiges Wachstum der Wissenschaftsausgaben.

 

o Der erhebliche Aufwand für Beantragung und Verwaltung der bisherigen Programme entfiele – auch für die Wissenschaftler:innen, die an Antragstellungen beteiligt sind.

 

Die Länder wären frei, die kofinanzierten Bundesmittel auf Hochschultypen, Regionen, Leistungsdimensionen und Themen zu konzentrieren. Sie sollten sie zusammen mit den Hochschulen als strategische Mittel einsetzen, um auf gesellschaftliche Entwicklungen zu reagieren und Innovationen anzustoßen – von der Akademisierung des Hebammenberufs bis zur Osteuropaforschung, von New Work bis zur Wissenschaftsfreiheit, von Departmentstrukturen bis Stellenprofile. Die klügeren Länder nutzen die Mittel auf diese Art, die wenigen anderen verkleckern sie mit der Gießkanne. 

 

Der Verteilungsschlüssel – eine Kombination von Königsteiner Schlüssel und Studierendenzahlen – lässt sich vermutlich so einstellen, dass er recht nah an den bisherigen Länderanteilen aus den genannten Programmen liegt und insofern Akzeptanz findet. 

 

Entscheidend ist: Die sogenannte Zusätzlichkeit der Landesmittel muss strenger kontrolliert werden als beim ZSL – und deutlich besser als beim früheren Hochschulpakt. Dafür braucht es eher den politischen Willen als komplizierte bürokratische Verfahren. Die kritischen Hinweise des Bundesrechnungshofs können dabei helfen.

 

Eine nachlaufende Referenzlinie für die Zusätzlichkeit

 

Es braucht aber noch mehr, damit die Wissenschaftsetats auch in den Bundesländern steigen und von den Lockerungen der Schuldenbremsen profitieren: eine nachlaufende Referenzlinie für die "Zusätzlichkeit", zum Beispiel immer das vorvergangene Jahr. Ein fixes Basisjahr, das immer weiter in die Vergangenheit rückt, kann das nicht leisten. 

 

Was und wer könnte dagegensprechen? Ein starkes Gegenargument lautet: Bestimmt egewünschte Entwicklungen auf gesamtstaatlicher Ebene lassen sich nicht allein durch dezentrale Maßnahmen der Länder erreichen. Ohne zentrale Koordination seien Effizienz und Effektivität gefährdet. Doch für kaum eines der jüngeren Bund-Länder-Programme trifft das so zu. Da diese Programme aber bestimmte Zwecke verfolgt haben (und andere denkbare nicht), werden sich sicherlich Akteure finden, die eine dritte Auflage oder ein Neuaufleben "ihres" Programmes erhoffen und deshalb dem hier vorgeschlagenen Ansatz skeptisch gegenüberstehen. Deswegen eine Klarstellung: Nicht die mit einzelnen Programmen verfolgten Zwecke werden hier kritisiert, sondern allein ihre Verfolgung im Modus der Bund-Länder-Programme.

 

Historisch dienten Bund-Länder-Programme auch dem Zweck, den Bund in die Hochschulfinanzierung einzubinden – eine originär landeseigene Aufgabe – und ihm über die Förderziele Einfluss zu ermöglichen. Mit dem ZSL wurde die Tür zu einer grundsätzlichen Mitfinanzierung der Hochschulen durch den Bund weit aufgestoßen. Nicht umsonst fragt der Bundesrechnungshof in seinem Bericht vom 21. September 2020 (Seite  56), "ob der ZSL ein geeignetes Instrument zur Verfolgung von Bundesinteressen bei der Förderung von Hochschulen ist. Es [das BMBF] muss hierbei auch der Frage nachgehen, ob sich der Aufwand im Zusammenwirken mit den Ländern lohnt oder ob nicht andere Instrumente, wie eine direkte Beteiligung an der Grundfinanzierung von Hochschulen, zielführender und wirtschaftlicher sein könnten." 

 

Bei "nur" rund einer Milliarde Euro an Bundes- und Landesmitteln jährlich sollten diese zielführenden und wirtschaftlichen Wege eingeschlagen werden. Dafür müsste man bloß den Dschungel der bisherigen Bund-Länder-Programme verlassen. Vielleicht findet die neue Koalition den Mut dazu. Ihren eigenen Koalitionsvertrag scheint sie ja jetzt schon nicht besonders ernstzunehmen.



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