Eine landeseigener Betrieb soll künftig in Berlin die Hochschulen kreditfinanziert sanieren. Unis müssen die Flächen dann mieten: Ist das Erfolgsmodell oder Augenwischerei?

Neue Chance für den Schandfleck Invalidenstraße 110. Foto: Jan-Martin Wiarda
WER NACH DEM INBEGRIFF eines innerstädtischen Schandflecks sucht, ist in der Invalidenstraße 110 richtig. Wo Straßenbahnen um die Ecke quietschen und unten U-Bahnen an der Station "Naturkundemuseum" halten, erhebt sich über fünf Etagen und hundert Meter Straßenbreite ein mächtiges Eckgebäude, das Portal mit Brettern verrammelt, rundherum mit Postern beklebt und Graffiti beschmiert. Darüber hält eine grünes Plastiknetz die bröckelige Plattenbaufassade zusammen, seit im Juli Gebäudeteile abgestürzt und einen Passanten verletzt hatten.
Hier baut die Humboldt-Universität (HU) ihr Institutsgebäude für die Philologien und das zentrale Sprachenzentrum um. Wollte sie zumindest. Denn seit vergangenem Sommer ruhen die Bauarbeiten. Die Finanzverwaltung hatte kein Geld mehr, nachdem sich unter der Koalition davor schon der Start der Sanierung verzögert hatte. So wird die Invalidenstraße 110 auch zum Sinnbild für den Zustand des Hochschulbaus in der Hauptstadt, auf acht Milliarden Euro wird allein der Sanierungsbedarf an den Berliner Universitäten geschätzt.
Doch jetzt hat die Politik einen Plan. Eine neue Hochschulbaugesellschaft soll es richten, eine Anstalt öffentlichen Rechts, die "neue Möglichkeiten zur Kreditfinanzierung besonders dringlicher Bauvorhaben" ermöglichen soll. So haben es die Senatsverwaltungen für Finanzen und Wissenschaft Anfang April verkündet. Zu den weiteren – wohlgemerkt "angestrebten" – Vorteilen sollen unter anderem die "Beschleunigung von Vorhaben durch vereinfachte Prüfungsverfahren", die "finanzielle Verantwortung für Bau und Betrieb in einer Hand“ und die "hochschulübergreifende Campusentwicklung" gehören. Die fertigen Gebäude würden an die Universitäten vermietet, die Mietzahlungen sollen Kredite und Instandhaltung decken, wiederum übernommen durch die neue Gesellschaft.
Mehr Transparenz, mehr Planbarkeit und keine ewig herausgeschobenen Sanierungen mehr: Die Pläne für die neue Gesellschaft klingen fast zu schön, um wahr zu sein. Der erste Pferdefuß steckt schon in dem Wort "angestrebt": Bis die Gesellschaft gegründet wird, könnte es noch deutlich länger als ein Jahr dauern, bis sie voll funktionstüchtig ist, noch deutlich länger. "Und wie genau die Hochschulbaugesellschaft dann arbeitet, wie das Zusammenspiel mit den Universitäten aussieht, da ist der Grad an Konkretisierung bislang nicht besonders hoch", sagt HU-Präsidentin Julia von Blumenthal.
Offene Fragen, rechtliche Fallstricke
Doch sie ist trotzdem positiv gestimmt. Was auch damit zu tun hat, dass die Invalidenstraße 110 zu den vier sogenannten Pilotprojekten gehört, die parallel zur "mittelfristigen Errichtung der Hochschulbaugesellschaft" deren Arbeitsweise bereits ausprobieren sollen, und zwar, wie Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) auf Anfrage sagt, "je nach Planungsstand unterschiedlich bald".
Eine durchaus schlaue Strategie gegen den absehbaren öffentlichen Druck, falls sich die Gesellschafts-Gründung berlin-typisch verzögern sollte. Nur: Was "je nach Planungsstand" für den Zeitpunkt des tatsächlichen Anrückens der ersten Kräne bedeute, sagt von Blumenthal, "das ist komplett offen zurzeit".
Wenn man Senatorin Czyborra fragt, räumt auch sie ein, dass es noch zahlreiche offene Fragen gebe, etwa zur künftigen Zuordnung von Mitarbeitern aus den bisherigen Bauabteilungen von Senatsverwaltung und Hochschulen – oder auch zu dem zentralen Versprechen, dass über die Hochschulbaugesellschaft zusätzliche Kredite losgeeist werden könnten.
Genau das bezweifeln Hochschulbauexpertinnen wie Jana Stibbe vom HIS-Institut für Hochschulentwicklung in Hannover, die gerade eine großangelegte Studie zu den Hochschulbauverfahren in allen 16 Bundesländern veröffentlicht hat. Stibbe sagt: "Solange es sich bei der Hochschulbaugesellschaft um eine 100-prozentige Tochter des Landes handelt und das Bauen und Vermieten öffentlicher Gebäude ihre einzige Aufgabe darstellt, werden vermutlich auch von ihr aufgenommene Kredite den öffentlichen Schulden zugerechnet." Zwar gebe es in der Frage auch andere Interpretationen des einschlägigen Verfassungsgerichtsurteils (Stichwort: Klimafonds), aber: "Berlin und Bremen, das ebenfalls gerade eine Hochschulbaugesellschaft gründet, müssen da aufpassen – zumindest bis eine grundsätzliche Reform der Schuldenbremse kommt."
Ja, sagt Ina Czyborra, der Plan, die Gesellschaft als sogenannte „"Anstalt des öffentlichen Rechts" zu gründen, sei "in Bezug auf Finanzierung außerhalb der Schuldenbremse noch nicht der Weisheit letzter Schluss". Dafür müsse man noch über ergänzende Rechtsformen nachdenken, "aber wichtig war, jetzt erstmal mit einem Grundsatzbeschluss des Senats loszulegen." Für die Invalidenstraße 110 und die anderen Pilotprojekte werde man zunächst Haushaltsmittel "zusammenkratzen", um nach Gründung der Gesellschaft nahtlos weiterfinanzieren zu können.
Für sie, sagt Czyborra, sei ohnehin die Idee der übergreifenden Campusentwicklung in Berlin viel wichtiger, der "nüchterne, strategische Blick auf das, was gebraucht wird, unabhängig vom Namen der einzelnen Universität, eine neue Effizienz beim Planen, Bauen und Vermieten". Man habe sich "bundesweit und international" nach den besten Vorbildern umgeschaut.
Vorbilder Österreich und Hamburg
Oft wird die staatliche Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) in Österreich als Vorbild genannt, doch so weit muss der Blick gar nicht gehen. In Hamburg läuft der Hochschulbau bereits nach ähnlichen Regeln. Zwei städtischen Gesellschaften übernehmen alles von der Planung in Absprache mit Landesregierung und Universitäten über die Erstellung bis zur Vermietung und Instandhaltung. "Wir müssen das Modell an verschiedenen Stellen weiterentwickeln, doch insgesamt bin ich sehr zufrieden", sagt Martin Hecht, Kanzler der Universität Hamburg.
Im Alltag sei es besonders wichtig, die genauen Schnittstellen zwischen den Aufgaben der Baugesellschaft und der Uni zu definieren, die als Nutzerin für den Gebäudebetrieb und kleinere Baumaßnahmen zuständig bleibt. Zur Arbeitsteilung gehöre auch, fügt Hecht hinzu, dass die Gesellschaften die Uni vom Großteil der Baubürokratie inklusive der verschiedenen Genehmigungs- und Abnahmephasen bei Großbauprojekten abschirme.
Denn, auch das gehört zur Wahrheit, das staatliche Regeldickicht beim Bauen lichtet sich nicht automatisch durch eine neue Gesellschaft.
Deshalb geht man in Nordrhein-Westfalen einen anderen Weg. Dort können die Universitäten seit 2019 wählen, ob sie selbst Bauherren sein wollen oder das Bauen dem staatlichen Liegenschaftsbetrieb überlassen. Und die "Neue Masterplanung Hochschulbau", vorangetrieben von CDU-Wissenschaftsministerin Ina Brandes, ermöglicht es neuerdings Hochschulen, mit einem vorher festgelegten Budget selbst ihre Bauprojekte zu planen und zu priorisieren – wodurch, sagt Ulf Richter, Kanzler der Universität Duisburg-Essen, zahlreiche Kontroll- und Prüfschritte entfielen oder vereinfacht würden. Duisburg-Essen gehört zu den bislang drei Hochschulen in NRW, wo die Reform aktuell erprobt wird, gerade hat Brandes' Ministerium die Ausweitung auf insgesamt fünf Hochschulen bekanntgegeben. Schon jetzt, so Richter, sei erkennbar, dass es "deutlich weniger bürokratisch und dynamischer wird". Allerdings: "Kein Verfahren kann die Haushaltslage verändern, wir können nur mit dem Geld bauen, das da ist."
Alle spitzen auf das 500-Milliardenpaket
Es ist die Stelle, an der gerade alle auf die neue Bundesregierung und das 500-Milliarden-Investitionspaket spitzen. Der bundesweite Sanierungsstau bei den Hochschulen liegt je nach Schätzung irgendwo zwischen 74 und 141 Milliarden Euro, die Wissenschaftsminister und Hochschulen hoffen, dass die neuen Koalitionäre zumindest den Mindestbetrag für den Hochschulbau reservieren werden.
Klar ist aber auch: Je komplizierter die Verfahren, desto schwieriger wird das Geld abfließen, und Berlin, sagt Hochschulbauexpertin Stibbe, gehöre "diesbezüglich zu den konservativ aufgestellten Bundesländern". Die Dichte der beteiligten Akteure angefangen mit den Hochschulen über die Senatsverwaltungen für Finanzen, Wissenschaft und Bau bis hin zu Behörden wie dem Denkmalschutz sei enorm, die Zahl der Prüf- und Genehmigungsschritte ebenso. Insofern sei die Gründung einer Hochschulbaugesellschaft "für Berlin jedenfalls eine Chance, wenn parallel die versprochenen Regelvereinfachungen kommen".
An den Berliner Hochschulen sind die Erwartungen indes gemischter. An der TU etwa, wo der Sanierungsstau als besonders heftig gilt, sagte Präsidentin Geraldine Rauch neulich im Akademischen Senat, es sei "ein erfreuliches Zeichen, dass es eine Hochschulbaugesellschaft geben soll. Besser man zahlt mehrere Jahre Miete, als dass man gar nicht vorankommt." TU-Kanzler Lars Overdieck gab zu denken, dass das Mieten fremdfinanzierter Gebäude unter Umständen teurer sein könne. "Ich befürchte, dass man das Problem nur aufschiebt und am Ende die Hochschulen die Mieten aus ihren gekürzten Budgets zahlen müssen." Dann würden die Hochschulen zur Hochschulbaugesellschaft sagen müssen: "Sie müssen sich nach einem neuen Mieter umgucken, wir können uns das nicht leisten."
HU-Präsidentin Julia von Blumenthal ist da entspannter. Sie sagt, bis das erste Gebäude nach dem neuen Modell fertig sei, würden ohnehin noch Jahre vergehen, und man befinde sich längst in einer neuen Hochschulvertragsphase. "Ich habe Vertrauen, dass die tatsächlichen Kosten für die Hochschulen dann fair abgebildet werden."
Langer Baustopp, feuchte Stahlträger
In Hamburg ist das tatsächlich so: Schon mit der Entwurfsplanung würden die künftigen Mieten für Bau und Instandhaltung berechnet und ihre Höhe per Bürgerschaftsbeschluss langfristig im Wissenschaftshaushalt abgebildet. Aber ob Berlin, das gerade seine Hochschulen schröpft, das auch hinbekommt? Senatorin Czyborra sagt diplomatisch, die Stadt habe ein "vitales Interesse", den Wissenschaftsstandort zu sichern und langfristig aufzustellen. Das kann und muss auch für die dann zu zahlenden Mieten gelten."
Julia von Blumenthal treibt eine andere Sorge um. "Wenn mit dem Investitionsfonds des Bundes nur neue Projekte der Länder finanziert werden können, was bedeutet das dann für bereits begonnene Vorhaben wie die Invalidenstraße 110? Es wäre absurd, wenn dann ausgerechnet die dringendsten Bauten nicht finanziert werden könnten."
Falls das Gebäude dann überhaupt noch zu retten ist. Die Stahlträger sollen durch den langen Baustopp schon feucht geworden sein, munkeln manche in der Wissenschaftsverwaltung. Das Warten auf das Wunder Hochschulbaugesellschaft hat begonnen.
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PB (Freitag, 02 Mai 2025 11:16)
Hamburg: Kein Erfolgsmodell für Hochschulbau
Das ursprünglich als „Sondervermögen Schulbau“ gestartete System diente vor allem der Umgehung der Schuldenbremse – später wurde es auch auf Hochschulen ausgeweitet.
Trotz einzelner funktionierender Projekte zeigt sich m.E. ein ernüchterndes Gesamtbild:
- Kostenexplosionen (z. T. über Faktor 2 – z. B. von 170 auf 440 Mio. €)
- extreme Verzögerungen bei der Fertigstellung (z. T. über 6 Jahre)
Die Konsequenz: drastisch gestiegene Mietkosten. Diese werden zwar nicht direkt von den Hoch-schulen getragen, fehlen aber im Gesamthaushalt - sicher auch für die Wissenschaft.
SK (Donnerstag, 08 Mai 2025 09:07)
Einfach mal nach NRW schauen - das ist kein Erfolgsmodell!
Timo (Donnerstag, 08 Mai 2025 18:11)
Endlich kommt Bewegung in Berlin an. Die entscheidende Frage für effizientes Bau ist die Verfügbarkeit der notwendigen Finanzen. Das gilt für den Eigenbau in NRW ebenso wie die Baugesellschaft in Hamburg. Kreditaufnahmemöglichkeiten rechtlich außerhalb der Schuldenbremse verbunden mit verläßlicher Refinanzierung über künftige Betriebskosten (Miete) in den Hochschulhaushalten, die Zins und Tilgung abdecken müssen, ist der entscheidende Hebel. Ohne diese Kompetenz der Hochschulbaugesellschaft sollte man gar nicht beginnen. Alles andere lässt sich organisieren.