Verschieben, weil die Ergebnisse nicht passen?
Die Bildungsministerkonferenz will die Veröffentlichung einer neuen Bildungsstudie auf den letzten Drücker verschieben – auf unbestimmte Zeit. Ein beispielloser Vorgang, der, sollte es wirklich dazu kommen, die Zweifel am Umgang der Politik mit der Bildungskrise weiter nähren würde.
Bild: freepik.
EIGENTLICH WAR ALLES ROUTINE. Am kommenden Freitag sollte der neue IQB-Bildungstrend vorgestellt werden, die große Leistungsstudie zu Mathematik und den Naturwissenschaften in der Sekundarstufe I. Wie immer würden die Bildungsministerinnen und Bildungsminister die Ergebnisse bei ihrer Sitzung am Vortag präsentiert bekommen – um sie anschließend zu veröffentlichen. So war es geplant, so ist es üblich.
Doch daraus wird womöglich nichts. Wie mehrere Quellen bestätigten, plant die Bildungsministerkonferenz (BMK) die Veröffentlichung auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Eine offizielle Begründung liegt bislang nicht vor.
Nach Angaben von IQB-Direktorin Petra Stanat wurde ihr am 6. Oktober mitgeteilt, dass die BMK "die Veröffentlichung des IQB-Bildungstrends 2024 voraussichtlich verschieben möchte". Ein Grund sei ihr nicht genannt worden, ebenso wenig ein neuer Termin. Die Überlegung habe sie "überrascht", da dies "vom eingespielten Prozedere abweichen würde".
Diskussion ja – Veröffentlichung nein
Innerhalb der BMK würden die Ministerinnen und Minister die Ergebnisse zwar dennoch diskutieren – allerdings nicht öffentlich. Ein Plan, der, sollte er Bestand haben, extrem irritieren würde.
Denn die für unterschiedliche Fächer und Klassenstufen durchgeführten IQB-Bildungstrend-Erhebungen, im Auftrag der Kultusministerkonferenz verantwortet vom wissenschaftlich unabhängigen Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), dienen seit vielen Jahren als wichtigstes Instrument, um bundesweit die Erreichung der Bildungsstandards zu überprüfen und Entwicklungen zwischen den Ländern vergleichbar zu machen.
Der Bildungstrend zu Mathematik und Naturwissenschaften wird in dieser Form zum dritten Mal nach 2012 und 2018 durchgeführt. Bei der vorigen Runde 2018 testete das IQB rund 45.000 Schülerinnen und Schüler der neunten Jahrgangsstufe aus allen Bundesländern darauf, in welchem Maße sie die von der KMK gesetzten Bildungsstandards am Ende der Sekundarstufe I erreichen – also, wie sicher sie mathematische Probleme lösen und naturwissenschaftliche Fragestellungen verstehen, anwenden und beurteilen können.
Ein Treiber der Verschiebungspläne sei wohl Nordrhein-Westfalen, heißt es aus Länderkreisen. Auch die aktuelle BMK-Präsidentin Simone Oldenburg (Linke) aus Mecklenburg-Vorpommern soll wenig Interesse an einer Veröffentlichung zum jetzigen Zeitpunkt gezeigt haben. Offiziell bestätigt ist das nicht – Anfragen an Bildungsministerkonferenz, NRW-Bildungsministerin Dorothee Feller (CDU), zugleich Koordinatorin der unionsgeführten Länder, ihrer SPD-Kollegin Christine Streichert-Clivot (Saarland) sowie Oldenburg selbst blieben bis zum späten Freitagmittag unbeantwortet.
Schlechte Ergebnisse wären keine Überraschung
Tatsächlich dürfte der neue Bildungstrend kaum Anlass zu Jubel bieten. Die jüngsten Studien – von PISA 2022 über IGLU bis zum IQB-Bildungstrend 2022 für die Grundschule – zeigten eine beschleunigte Abwärtsentwicklung. Immer mehr Kinder und Jugendliche verfehlen die Bildungsstandards, vor allem in Mathematik und Lesen.
Die Pandemie hat diesen Trend verschärft, aber nicht verursacht. Der Rückgang der Schülerleistungen begann bereits vor über einem Jahrzehnt. In der letzten PISA-Runde erreichten Deutschlands Neuntklässler dann in zwei von drei Kompetenzbereichen historische Tiefstwerte.
Wenn also auch die neuen IQB-Daten einen weiteren Leistungsabfall zeigen sollten, wäre das keine Überraschung – aber ein weiteres Alarmsignal. Umso problematischer wäre es, wenn die Reaktion darauf nicht Aufklärung, sondern Verschiebung hieße.
Ungewöhnlich – und fatal
Sollte die BMK tatsächlich aus inhaltlichen Gründen die Veröffentlichung aussetzen, und das auf den letzten Drücker, es wäre ein beispielloser Vorgang. Zumal schon mit dem Plan das Gegenteil dessen erreicht wurde, was offenbar beabsichtigt war: Die Aufmerksamkeit richtet sich nun erst recht auf die Frage, was in den neuen Ergebnissen steht – und warum sie der Öffentlichkeit bis auf Weiteres vorenthalten bleiben sollen.
Olaf Köller, Co-Vorsitzender der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK), mahnt: "Die IQB-Bildungstrends sind eine zentrale Säule der Qualitätssicherung im Bildungssystem. Je weiter man die Veröffentlichung der Ergebnisse herausschiebt, desto mehr Zeit geht den Ländern verloren, um Maßnahmen zum Wohle der Kinder und Jugendlichen zu ergreifen."
Beim letzten IQB-Bildungstrend 2018 war die Bildungspolitik dagegen zur Abwechslung einmal erleichtert gewesen. Die befürchtete Negativentwicklung blieb damals weitgehend aus. Bundesweit hatten sich die Leistungen in Mathematik und den Naturwissenschaften gegenüber 2012 nicht signifikant verändert – angesichts einer deutlich heterogeneren Schülerschaft mit mehr Kindern aus Einwandererfamilien und einem höheren Anteil an inklusiv beschulten Schülern galt das schon als Erfolg.
Zugleich zeigten die Daten wachsende Unterschiede zwischen den Ländern: Besonders in Ostdeutschland gingen die Leistungen in mehreren Fächern zurück, während Bayern und Baden-Württemberg leicht zulegten. Auffällig war auch, dass Gymnasiasten tendenziell etwas schwächer abschnitten als sechs Jahre zuvor – während sich die Leistungen der nichtgymnasialen Schulformen teils verbessert hatten. Insgesamt aber lautete das Urteil vieler Beobachter: "Nicht schlechter ist schon ziemlich gut."
Eine ungewollte Symbolik
Gerade deshalb gilt der neue Bildungstrend als entscheidender Test: Haben sich die nach der Pandemie sichtbaren Rückstände verfestigt – oder gibt es erste Anzeichen einer Erholung? Dass die BMK diese Frage nun zunächst unter Ausschluss der Öffentlichkeit diskutieren will, sendet ein fatales Signal. Und es stellen sich Fragen: Welches Gremium hat eigentlich den entsprechenden Beschluss gefasst? Nur das BMK-Präsidium? Und wenn ja, was sagen die übrigen Länder dazu?
Hoffentlich wird der Plan kurzfristig revidiert, ließe er doch ein offensichtliches Unvermögen der Bildungsministerinnen und -minister erkennen, mit der sich verfestigenden Bildungskrise umzugehen. In vielen Landesregierungen herrscht offenkundig die Angst vor echten Reformen. Wenn die Ergebnisse in Bildungsstudien dann gerade in diesen Ländern entsprechend ausfallen sollten, wäre das die fast logische Quittung.
Man wolle stärker die Ergebnisse der Bildungsforschung beherzigen, betonen die Ministerinnen und Minister bei jeder Gelegenheit. Wollen sie ihren Beteuerungen ein Mindestmaß an Glaubwürdigkeit erhalten, müssen sie den neuen Bildungstrend jetzt veröffentlichen – und sich der Debatte stellen.
Nachtrag am 10. Oktober, 17 Uhr:
Bildungsminister diskutieren, wie es weitergeht
Dem Vernehmen liefen den Freitag über die Drähte heiß zwischen den Bildungsministerien, es gab Videokonferenzen und Gespräche über die Frage, ob man den Bildungstrend nicht doch zum ursprünglich geplanten Termin veröffentlichen soll. Unterdessen hieß es aus dem NRW-Schulministerium von Dorothee Feller (CDU), es gebe in der Debatte "keine Treiber, sondern lediglich Fragen zur Studie". Offiziell reagiert die Bildungsministerkonferenz immer noch nicht auf Anfragen, aber es zeichnet sich ab, dass die Verschiebung wieder kassiert werden dürfte.
Nachtrag am 13. Oktober, 15 UHr
Studie wird doch veröffentlicht
Jetzt ist es offiziell: Zwar haben Bildungsministerkonferenz, BMK-Präsidentin Oldenburg sowie die Länderkoordinatorinnen Streichert-Clivot und Feller die am Donnerstag an sie gestellten Fragen zur zwischenzeitlich geplanten Verschiebung bislang unbeantwortet gelassen, doch hat das Sekretariat der Kultusministerkonferenz stattdessen am Montagnachmittag per Pressemitteilung zur BMK-Pressekonferenz inklusive Präsentation des IQB-Bildungstrends eingeladen. Bereits am Donnerstag und damit einen Tag vorher als zunächst vorgesehen – was aber Insidern zufolge reine terminorganisatorische Gründe hat. IQB-Direktorin Petra Stanat wird die Studie persönlich vorstellen. Und Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) soll jetzt bei der Pressekonferenz ebenfalls dabei sein. Zu den Vorgängen der vergangenen Woche gibt es weiter keinen offiziellen Kommentar. Im Hintergrund ist zu hören, man habe vor Veröffentlichung noch umfangreiche Fragen ans IQB gehabt, und die Verschiebung habe nur zwei Wochen umfassen sollen. Was aber, siehe oben, IQB-Chefin Stanat gar nicht mitgeteilt worden war. Sicher scheint dagegen, dass sich die Ministerinnen am Donnerstag nicht nur zu den voraussichtlich nicht gut ausfallenden Studienergebnissen und ihren Ursachen werden äußern müssen. Sie dürften auch ausführlich zu dem Hin und Her gefragt werden – zu der offenbar im BMK-Präsidium geplanten Verschiebung; zum aufkommenden Gegenwind und der Frage, warum nicht alle anderen Minister über den Plan informiert worden waren – und zu der Entscheidung, die Verschiebung dann doch wieder abzublasen.
Kommentare
#1 - Ungeschickt
Schon alles sehr ungeschickt, zumal die Öffentlichkeit ja die katastrophalen schulischen Leistungsbilanzen längst achselzuckend zur Kenntnis nimmt.
Fakt ist, dass die Schulen in Berlin, NRW und anderswo jeden Leistungsanspruch aufgegeben haben. Dass das immer noch vehement bestritten wird, ist das eigentlich Lustige. Im Fach Deutsch z. B. im symbolträchtigen Bereich Orthographie. Anekdote: Kind schreibt in Klasse 5 Gymnasium eine Arbeit ohne geregelte Groß- und Kleinschreibung und mit Worten wie "aTag" für "am Tag". Note 1-. Kompetenzorientierung eben.
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