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Fahrradanhänger statt Mettbrötchen

Warum drei Hochschulen an der Deutsch-Schweizer Grenze die Wissenschaftskommunikation auf drei Räder verlagern: ein Interview mit Albert Kümmel-Schnur von der Universität Konstanz.

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Artikelbild: Fahrradanhänger statt Mettbrötchen

Unterwegs mit dem "TransferRad": Michael Fröhlich, Prof. für Connected Car Services an der HTWG, bei einer Testfahrt im Hof der Wissenschaftlichen Werkstätten der Universität.

Foto: Marion Voigtmann/Universität Konstanz.

Herr Kümmel-Schnur, Sie haben an der Uni Konstanz einen mobilen Seminarraum gebastelt, den man an ein Fahrrad anhängen kann. Sieht ja nett aus, aber welchen praktischen Nutzen hat dieses Gefährt?

Das Gefährt hat das Team "Transfer Lehre" der Universität Konstanz gemeinsam mit der Professur für Connected Car Services der HTWG Konstanz und der PH Thurgau entwickelt. Es handelt sich um einen solargetriebenen Fahrradanhänger, der flexible Raum- und Arbeitssituationen ermöglicht, etwa durch schwenkbare Tische, eine Projektionswand oder herausnehmbare Elemente. Die Wände und Tischflächen sind mit magnetischer Whiteboardfolie beklebt, so dass darauf geschrieben und etwas drangepinnt werden kann.

Was sind denn flexible Raum- und Arbeitssituationen? Das ist ein Fahrrad im Freien, oder?

Flexible Raumsituationen sind mehr als ein Fahrrad im Freien. Das Fahrrad ist ja nur das Transportmittel für ein Set modularer Elemente, die unterschiedlich kombiniert werden können - je nach Ort und Bedarf. Auf diese Weise werden eben flexible Raumsituationen geschaffen.

Und nun zum praktischen Nutzen bitte.

Unser Ziel ist, Menschen zu erreichen, die sich von akademischen Veranstaltungen eher nicht angesprochen oder von ihnen nicht gemeint fühlen. Statt also zu versuchen, diese Menschen an die Hochschulen zu bringen, kommt die Hochschule halt zu ihnen: auf den Marktplatz, ein Volksfest, ins Seniorenheim, vors Rathaus oder auch auf den Schulhof.

Um was mit ihnen zu machen?

Um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Akademische Transferaktivitäten leben nur, wenn sie sich informieren und irritieren lassen durch das, was die nicht-akademische Welt interessiert und zu sagen hat. Um mit ihnen Workshops durchzuführen – etwa mit Lego über nachhaltige Städte nachzudenken. Um sie zu informieren über das, was die Hochschule gerade tut – insbesondere diejenigen Aktivitäten in Ausstellung und Gespräch vorzustellen, die in Kooperation mit der Zivilgesellschaft entstanden sind. Das ist keine Wissenschaftskommunikation – das ist das aktive Rückspielen von Transferergebnissen an die nicht-akademischen Partner. Gerade hier entstehen sehr oft neue Ideen für neue gemeinsame Projekte. Aber wir haben mit dem Fahrrad noch mehr vor. Wir können damit einfacher gemeinsame Veranstaltungen mit unseren beiden Partnerhochschulen organisieren. Man kann schnell die Dinge zusammenpacken, die man braucht, sich irgendwo verabreden und loslegen. Etwa bei Schulprojekten. Da braucht die Schule uns gar keinen Raum mehr zur Verfügung stellen. Den bringen wir mit.

Haben Sie sich die Idee von irgendwoher abgeschaut?

Wir haben in Konstanz seit einiger Zeit einen von jungen Leuten betriebenen Kulturkiosk mit Kaffeetischen, Lesungen, Diskussionen. Über so einen Kiosk haben wir auch nachgedacht, aber es ist schwieriger, einen festen Ort wirklich inklusiv für alle zu gestalten. Das sagt sich ja immer so leicht, "Kommt alle her!", aber wie schafft man es, dass sich nicht die Hälfte allein deshalb schon ausgegrenzt fühlt, weil sie sich im Design nicht wohlfühlt, weil es nur Hafermilchcapucchino oder, auch anders herum, nur Mettbrötchen gibt. Da ist so ein Anhänger, der immer was Improvisiertes hat, viel offener. Transfer lebt von vielen einzelnen Begegnungen. Ideen zur Kooperation entstehen im Gespräch, mit Zeit und einer Tasse Kaffee – und vor allem durch echtes wechselseitiges Interesse, ohne Zielvorgaben.

Welche Zielgruppen haben Sie?

Als Hochschule freuen wir uns natürlich, wenn Konstanzer Bürgerinnen und Bürger zu uns zum Studium Generale kommen oder ihre Kinder an der Kinderuni teilnehmen. Aber wir versuchen auch mit ganz anderen sozialen Gruppen zu arbeiten – zum Beispiel mit Obdachlosen, eine Idee, die wir uns aus Bremen abgeguckt haben. Und eine Zielgruppe, die in der Bodenseeregion wichtig, aber zugleich recht hochschulfern ist, ist die Bevölkerung der Dörfer weit weg vom städtischen Umfeld. Ich bin jetzt mal großzügig und deute Konstanz als ’Stadt’.

Ist der erste Einsatz schon geplant?

Der ist am 27. September bei einem Hackathon an der HTWG in Konstanz. Ich selbst plane ein Projekt mit einer Puppenspielerin zu Erzählungen und Praktiken, die sich rund um die lange Migrationsgeschichte des Apfels vom Tien Shan-Gebirge westwärts und um die ganze Welt herum drapieren. Damit will ich auf Märkte gehen, wo Äpfel gehandelt werden, und mit Menschen ins Gespräch kommen. Die PH Thurgau wiederum will eine Initiative mit Kindern starten. Das Wichtigste aber ist: Das Rad geht jetzt in den Verleih, alle Mitglieder aller drei beteiligten Hochschulen können es nutzen. Ich bin gespannt auf die vielen Ideen!

Albert Kümmel-Schnur ist Literatur- und Medienwissenschaftler und Mitarbeiter im Team "Transfer Lehre" der Universität Konstanz.


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