Warum Vertrauen so wichtig ist für erfolgreiches Wissenschaftsmanagement. Ein Gastbeitrag von Jan Lauer.
Jan Lauer hat im BMBF-geförderten Graduiertenkolleg "Wissenschaftsmanagement und Wissenschaftskommunikation als forschungsbasierte Praxen der Wissenschaftssystementwicklung" (WiMaKo) promoviert. Dieser Beitrag basiert auf seiner Promotion "Vertrauen innerhalb der 'organisierten Anarchie'". Foto: Vanessa Jennrich.
AUF DIE FRAGE, warum ein großer Forschungsverbund erfolgreich war, antwortet der dafür zuständige Wissenschaftsmanager: "Vertrauen und Kommunikation! Kommunikation ist die Nummer eins und steht sehr weit oben." Ähnliche Antworten bekommt man von anderen Projektleiterinnen und Projektleitern und Wissenschaftsmanagern, wenn man sie nach den Erfolgsfaktoren ihrer Vorhaben fragt. Wieso scheinen Vertrauen und Kommunikation so wichtig zu sein in den Präsidiumsbüros der Hochschulen, für Forschungsreferentinnen und -referenten, für Fakultätsgeschäftsführungen und administrative Leitungen von Forschungsverbünden?
Die Universität wirkt manchmal wie ein großes Chaos. Eine Wissenschaftsmanagerin drückt es so aus: "Die Universität ist ein spektakuläres System. Das ist irre, dass da überhaupt irgendetwas funktioniert." Der Organisationswissenschaftler James G. March hat dieses einst mit einem ungewöhnlichen Fußballspiel verglichen, bei dem das Feld rund sei und es mehrere Tore gebe, die wahllos auf dem Feld verteilt sind. Die Spieler kommen und gehen aufs Feld, wie es ihnen passt, schmeißen Bälle ganz nach Belieben ins Spiel und rufen erratisch: "Das ist mein Tor!" Und das Verrückte: Alle tun so, als ob das Ganze einen Sinn ergeben würde!
"Mulitple Hybridorganisation" Universität
Die Universität als chaotisches quasi regelloses Fußballspiel? An der Universität prallen verschiedene Interessen, Ordnungsverständnisse und Logiken aufeinander, was den Hochschulforscher Bernd Kleimann dazu veranlasst hat, die Universität als multiple Hybridorganisation zu bezeichnen.
Teil dieses Hybrids ist natürlich die Wissenschaft, organisiert in der akademischen Selbstverwaltung. Professorinnen und Professoren verstehen sich stärker als Profession und fühlen sich mehr ihrer wissenschaftlichen Community zugehörig als einer einzelnen Universität. Von Letzterer erwarten sie, dass sie ihnen die Ressourcen (Labore, Bücher, Büros, Personal) zur Verfügung stellt, aber sie ansonsten in Ruhe lässt, damit sie ihrer Forschung nachgehen können. Angesichts der im Grundgesetz verankerten Freiheit der Wissenschaft sind sie tatsächlich relativ frei in ihrem Handeln und müssen sich nur wenigen Anweisungen beugen (auch wenn viele Professorinnen und Professoren das sicherlich ganz anders empfinden).
Ein anderer Teil der Hybridorganisation Universität ist die klassische Verwaltung, welche dafür sorgen soll, dass alles ordnungsgemäß abläuft: dass öffentliche Mittel korrekt verausgabt werden, Personal richtig eingestellt wird, Prüfungsordnungen rechtlich korrekt aufgesetzt werden und Vieles mehr. Unweigerlich kommen sich Wissenschaft und Verwaltung in die Quere. Prominente Beispiele sind hier die Reisekostenabrechnung, Bewirtungsfragen, Abrechnung von Drittmittelprojekten, aber auch komplizierte Personalfragen innerhalb von Forschungsprojekten, bei denen die Wissenschaft sich mehr Freiheiten wünscht, als die Verwaltung zulassen kann.
Und drittens gibt es da in der Hybridorganisation noch die Leitung der Universität. In den vergangenen 25 Jahren hat diese immer mehr Befugnisse erhalten und muss Ansprüchen aus Politik und Wirtschaft gerecht werden, die Institution zum einen effizient zu leiten und zum anderen Humankapital zu produzieren, das für die komplexe Welt des 21. Jahrhunderts gerüstet ist.
Da braucht es nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass es zu Konflikten kommt und knirscht. Anders als in Unternehmen gibt es zwischen den drei Bereichen (Wissenschaft, Verwaltung, Leitung) keine klaren Hierarchien – erst recht nicht für Wissenschaftsmanagerinnen und Wissenschaftsmanager. Die Referentin für Forschungsförderung wird kaum der Professorin für Neurowissenschaften sagen können, dass sie jetzt bitte mal einen Drittmittelantrag einreichen müsse. Der Wissenschaftsmanager aus der Stabstelle "Nachwuchsförderung" wird auf Granit beißen, wenn er den Fakultäten anordnet, die Promotionsordnungen bitte sofort nach seinen Vorstellungen (Betreuungsvereinbarung, Pflichtkurse etc.) zu ändern. Ein solches Vorgehen wäre im hohen Maße sogar kontraproduktiv. Es wird Vertrauen zerstören. Eine Wissenschaftsmanagerin aus dem Präsidiumsbüro sagte dazu im Interview: Würde man die ganze Zeit nur "rumbossen", stünde man blöde da, wenn man mal selber etwas von der Verwaltung oder Wissenschaft brauche.
Um Prozesse und Projekte durchzuführen, greifen Wissenschaftsmanagerinnen und Wissenschaftsmanager daher zu persönlichen Vertrauensnetzwerken. Beim gemeinsamen Mittagessen, beim Kaffee, in der Raucherecke oder bei einem Telefonat werden Themen vorbesprochen, Informationen ausgetauscht und Sitzungen vorbereitet. Ein Wissenschaftsmanager schildert dies so: "Ich rufe die Leute an und rede mit denen, und wir sind uns sympathisch. Und dann läuft das. Das ist meine Erfahrung, dass so eigentlich fast alles läuft."
Ausloten, was geht
Wissenschaftsmanagerinnen und Wissenschaftsmanager loten auf diese Weise zwischen den einzelnen Bereichen aus, was geht und was nicht geht: Was muss aus Sicht des Justiziariats unbedingt in die Promotionsordnung? Wo ist die Fakultät bereit Kompromisse einzugehen? Was ist dem Präsidium am wichtigsten?
Wissenschaftsmanagerinnen und Wissenschaftsmanager übersetzen die sperrige bürokratische Sprache der Verwaltung für Professorinnen und Professoren und erklären wiederum der Verwaltung, was die Wissenschaft sich wünscht und wieso. Indem sie mit Hilfe ihrer Vertrauenskontakte als Übersetzer, Schlichter, aber auch als Antennen für Spannungen fungieren, räumen sie viele Missverständnisse und potentielle Konflikte schon im Vorfeld ab. Geräuschlos sorgen sie so dafür, dass der Laden am Laufen bleibt. Persönliche Vertrauensverhältnisse dienen hier als Schmieröl, damit es im Maschinenraum Universität nicht allzu heftig knirscht und in dem spektakulären System Universität dann doch zumindest einige Dinge funktionieren.
Den Universitäten ist daher zu raten, zum einen jene Wissenschaftsmanagerinnen und Wissenschaftsmanager zu identifizieren, die sich dank ihres erarbeitenden Vertrauensnetzwerkes besonders gut in der Hybridorganisation bewegen können, und sie sollten Strategien entwickeln, um diese möglichst lange an sich zu binden. Natürlich geschieht Letzteres auch über entfristete Verträge – aber nicht nur. Wissenschaftsmanagerinnen und Wissenschaftsmanager arbeiten gern selbstbestimmt und setzen eigene Ideen und Projekte um. Die Universitäten sollten ihnen diese Freiräume geben und damit ihre Arbeit wertschätzen. Es wird sich auszahlen, denn eines ist nicht zu erwarten: dass es künftig konfliktloser an den deutschen Universitäten zugehen wird.
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rene krempkow (Freitag, 15 November 2024 19:00)
Danke, sehr schöner Gastbeitrag!
Wer noch mehr über Möglichkeiten, aber auch Grenzen des Wissenschaftsmanagements auf Basis empirischer Untersuchungen lesen möchte, findet im aktuellen Themenheft der wiss. Zeitschrift QiW vier Beiträge hierzu, welche ich dankend werterweise mit herausgegeben durfte: https://www.universitaetsverlagwebler.de/zeitschriften
S.L. (Samstag, 23 November 2024 11:48)
Lieber Jan,
ganz herzlichen Dank für deinen Gastbeitrag, welcher mir nach inzwischen vielen Jahren an der Universität noch einmal vor Augen gehalten, worauf es wirklich im Getriebe des Wissenschaftsbetriebs ankommt.
Besonders angetan hat es mir der Satz: "Geräuschlos sorgen sie so dafür, dass der Laden am Laufen bleibt." Ich musst dabei an Worte eines alten Kollegen denken, der im Rahmen seiner Verabschiedung zum Ausdruck gebracht hatte, dass man das "Laufen" wörtlich nehmen muss; im Sinne von "zu den Leuten hingehen; den persönlichen Kontakt suchen; auf eine unpersönliche und formelle Kommunikation via Mail oder Telefon verzichten". Nur auf diesem Wege können Vertrauensverhältnisse auf persönlicher Ebene entstehen und wachsen.
Dir alles Gute und viele Grüße von einem ehemaligen Kollegen.
Anja Tobinsky (Sonntag, 24 November 2024 09:27)
Ein guter Beitrag, denn er trifft den Kern einer fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Administration. Nur so gelingt es, Wissenschaftsfreiheit mit Compliance zu vereinen und nicht als Widerspruch und die in dem jeweils anderen Feld Agierenden als Kontrahenten zu sehen. Voraussetzung dafür ist aber QUALITÄT auf beiden Seiten, die Gewissheit, dass sowohl die Wissenschaft wie die Administration gute Arbeit leistet. Ob man dazu extra Wissenschaftsmanager braucht, wäre die Frage. Besser wäre ein Training der Administration und vertrauensbildende Maßnahmen durch entsprechende PE- Formate. Dann kann es dazu kommen, dass am Ende seiner Amtszeit ein Göttinger Unipräsident - nicht der amtierende- sagt, er habe gelernt, dass es auch so etwas wie Verwaltungskunst gibt, sprich, dass nicht nur die Wissenschaft exzellent ist - damals hatte Göttingen noch diesen Status- sondern auch die Admin. Vertrauen ist alles.
DD (Mittwoch, 27 November 2024 11:40)
Vielen Dank für den schönen Beitrag.
Die Position der Wissenschaftsmanager:innen an Hochschulen muss sichtbarer (gemacht) werden. Nicht selten werden sie im Verständnis der Leute (Lehrende, Hochschulleitung...) und/oder auf dem Papier (Zurodnungen, Eingruppierungen...) mit der Verwaltung gleichgesetzt. Dabei sind sie die "third space professionals", die - wie im Artikel von Herrn Lauer schön beschrieben - zwischen dem "academic" und "administrative staff" vermitteln. (Und als Expert:innen für Wissenschaftskommunikation und Transfer oft auch zwischen der Hochschule und der "Außenwelt".)
Vielleicht braucht die deutsche Sprache endlich einmal ein Äquivalent zu den "third space professionals" an Hochschulen...