Zu viele Unternehmen verlagern ihre Forschung und Entwicklung aus Deutschland weg, zeigt eine Umfrage. Wo ist der politische Alarmismus, wenn man ihn mal braucht? Ein Kommentar.

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NATÜRLICH, DER BDI ist ein Lobbyverein. Trotzdem sollte man aufhorchen, wenn der Bundesverband der Deutschen Industrie eine Befragung unter 274 großen Industriefirmen durchführen lässt und ein Fünftel dieser Unternehmen mitteilt, die Verlagerung von F&E-Bereichen ins Ausland beschlossen oder bereits umgesetzt zu haben. Noch mehr sollte einen unruhig werden lassen, wenn von den sehr großen Unternehmen ab 1000 Mitarbeiter sogar 34 Prozent Entsprechendes berichten und weitere neun Prozent angeben, sie hätten über eine Verlagerung schon nachgedacht.
Was bringt die Unternehmen dazu? 58 Prozent sagen: die Kosten. 47 Prozent führen die vermeintlich geringere Bürokratie im Ausland an und 34 Prozent eine "größere Innovationsoffenheit an ausländischen Standorten". Und: Satte zwei Drittel (64 Prozent) zeigen sich davon überzeugt, dass es ausländische Wettbewerber leichter hätten, neue Ideen und Technologien umzusetzen. 60 Prozent der Unternehmen schätzen die Chancen als gering ein, dass Deutschland seinen Wettbewerbsrückstand schnell aufholen kann. Als größte Hindernisse nennen 76 Prozent strenge gesetzliche Vorgaben, 62 Prozent lange Genehmigungsverfahren.
Es ist eine Binse, die eigentlich keiner Begründung mehr bedarf: Ein Hochlohnland mit demographiebedingt immer teureren sozialen Sicherungssystemen wird im internationalen Wettbewerb nie über den Preis gewinnen, sondern nur über einzigartige Produkte und Dienstleistungen, die kein anderer anbieten kann. Weil sie auf Highend-Forschung beruhen, auf der Entwicklung ungewöhnlicher Ideen und Konzepte.
Das ist der Grund, warum zu Recht so viel darüber diskutiert wird, wie der "Transfer" besser funktionieren kann in Deutschland, also die Übertragung von Ergebnissen der Grundlagenforschung in Wirtschaftsleistung. Genau das aber ist vor allem die Aufgabe der für Forschung und Entwicklung zuständigen Abteilungen in der Industrie.
Was den Unternehmen
am meisten Sorgen macht
Besonders sorgen sich die befragten Unternehmen laut BDI um die Abhängigkeit von außereuropäischen Anbietern bei zentralen digitalen Schlüsseltechnologien wie Cloud-Systemen und Künstlicher Intelligenz. Europa müsse hier verstärkt eigene Kompetenzen und Produktionskapazitäten aufbauten, sagen zwei Drittel der Firmen – und ebenso viele berichten, dass sie derzeit selbst auf außereuropäischer Anbieter zurückgreifen müssten, vor allem weil europäische Alternativen fehlten.
Ein gefährlicher Teufelskreis: Weil Deutschland zu wenig Hightech-Innovationen bietet, zieht es die Unternehmen mit ihren Innovations-Abteilungen dorthin, wo die Dynamik schon jetzt größer ist. Wenn die F&E-Abteilungen abwandern, wandert der Wohlstand von morgen mit ab, und am Ende bleibt Deutschland doch nur noch übrig, über den Preis zu konkurrieren. Mit entsprechenden Folgen für Löhne und soziale Sicherungssysteme.
Warum aber verursacht eine solche Umfrage dann in der Politik nicht mehr Aufregung? Warum ist sie, erschienen schon vor gut zwei Wochen, von Öffentlichkeit und Medien weitgehend ignoriert worden? Die Antwort, dass die furchtbare Migrationsdebatte und die Fixiertheit der demokratischen Parteien auf die AfD alles überlagern, ist nur eine Zustandsbeschreibung, bietet aber keine Erklärung – wenn zugleich Wählerumfragen zeigen, dass sich die Menschen in Deutschland viel mehr um den Zustand der Wirtschaft Gedanken machen als um Einwanderung.
Noch absurder wird es, wenn mehrere Parteien das einst für 2025 ausgegebene und meilenweit verfehlte 3,5-Prozentziel vor der Wahl aufs Neue beschwören, also die Erhöhung der F&E-Investitionen auf 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Denn selbst wenn, was angesichts von Wirtschaftskrise und steigenden Verteidigungsausgaben nicht absehbar ist, die staatlichen Forschungsausgaben steigen würden, zwei Drittel der 3,5 Prozent müssten von der Industrie kommen. Einfach weil die schon jetzt für zwei Drittel der deutschen F&E-Quote verantwortlich ist.
Vor allem bräuchte es ein
in sich stimmiges Konzept
Was bräuchte es, neben mehr Aufmerksamkeit, um das Steuer herumzuwerfen? Vieles. Vor allem aber ein in sich stimmiges Konzept. Dazu gehörte, Forschung und Innovation nicht noch stärker einzuschränken, als es der EU-Rahmen mindestens vorgibt, das Gleiche gilt für die deutsche Auslegung der europäischen Datenschutz-Grundverordnung. Denn die Sache mit den Kosten ist so: Bürokratie und Regeldichte drehen an der Kostenschraube, nicht die Gehälter, die für schlaue Köpfe zu Recht fällig werden. Eine verbesserte steuerliche Forschungszulage kann nicht einmal in Ansätzen reparieren, was schlechte Rahmenbedingungen vorher kaputtgemacht haben.
Und besser als neue Innovationsförderprogramme mit der Gießkanne wäre ein großer Aufschlag in Schlüsselbranchen wie der KI. Wie wäre es, wenn der Bund hier in Zusammenarbeit mit der Industrie an einer Stelle einmal richtig klotzen würde, womöglich aufbauend auf einem KI-Infrastrukturprogramm für die Wissenschaft, wie es jüngst die Landeswissenschaftsminister gefordert haben?
Das aber ginge nur mit einer staatlichen Gesamtstrategie zwischen Bund und Ländern, zwischen Innovations- und Forschungsförderung, zwischen Industrie und öffentlichem Forschungssektor. Und nur dann, wenn man den Unternehmen für ihre Investitionen neben staatlicher Unterstützung vor allem bessere Rahmenbedingungen und weniger Regeln garantieren würde. Ein Grund mehr, nebenbei gesagt, dass die nächste Bundesregierung endlich ein Bundesministerium für Forschung und Innovation einrichtet.
Aber stattdessen werden viele jetzt wieder darauf verweisen, dass Deutschland sich ja noch im oberen Feld der Industrieländer befinde beim F&E-Anteil am Bruttoinlandsprodukt. Und dabei übersehen, dass ein großer Brocken davon aus den Forschungsabteilungen weniger Automobil-Großkonzernen stammt, die jetzt in teilweise existentiellen Krisen stecken. Auch deshalb, weil sie ihre Innovationsanstrengungen lange auf vergangene Technologien konzentriert haben. Und auch sie gehen um das Steuer herumzuwerfen, mit ihren Hightech-Abteilungen dorthin, wo die Bedingungen besser sind.
Solange also die Politik keine Antwort findet auf diesen Abwanderungstrend, im Gegenteil sogar vorzieht, ihn weitgehend zu ignorieren, bewegen wir uns nicht in Richtung Hochtechnologie-, sondern Niedriglohnland.
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Wolfgang Kühnel (Samstag, 08 Februar 2025 10:26)
"Denn die nur 7,3 Prozent unbefristete Arbeitsverträge nach der Promotion stehen laut BuWiK 74 Prozent in der Privatwirtschaft gegenüber. Soll heißen: Entscheiden sich die frisch Promovierten, der Wissenschaft den Rücken zu kehren, werden sie dort zehnmal so häufig mit einem Dauerjob belohnt."
So stand es kürzlich hier unter der Überschrift "Arbeiten in der Wissenschaft". Und der Dauerjob in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung wird dann ins Ausland verlegt? Vielleicht nach China?
Bemerkenswert ist auch, dass nicht primär die Fremdenfeindlichkeit der Deutschen (die ausländische Fachkräfte abschrecken könnte) als Grund genannt wird, sondern die typisch deutsche Bürokratie.
Schöneberger (Sonntag, 16 Februar 2025 22:19)
Die fehlende Aufmerksamkeit für dieses zentrale Zukunftsthema spiegelt sich auch in den fehlenden Reaktionen hier im Blog wieder. Wie der Vorredner bezweifle ich aber auch, dass Bürokratie der zentrale Faktor ist (welche Rolle soll die DSGVO für deep tech Innovationen spielen?).Hier eine etwas polemisch formulierte Hypothese: Was mir im MINT-Bereich insb. bei "native" Nachwuchswissenschaftlern im Vergleich zu z.b. chinesischstämmigen Kolleg*innen oft auffällt ist ein fehlender curiosity-driven mindset, fehlende Leistungsbereitschaft und generell Priorisierung von me time bzw. Familie, die zu Lasten der Arbeitsmotivation geht. Als Firma würde ich bei diesem HR-Pool die F&E tendenziell auch eher in eine Umgebung mit motivierten HR-Pool verlagern.