Gehört ein Vertreter der Wissenschaft an den Kabinettstisch? Ja, sagen 76 Prozent der Deutschen – und plädieren zugleich mehrheitlich für einen neuen Zuschnitt des bisherigen Ministeriums für Bildung und Forschung.

Bild: moritz320 / Pixabay.
ZWEI WISSENSCHAFTSPOLITISCHE FORDERUNGEN sind in den unzähligen Papieren der Forschungsorganisationen, Wissenschaftsverbände und Lobbygruppen zur Bundestagswahl immer wieder aufgetaucht und in der Szene breit diskutiert worden.
Erstens: Ein wissenschaftlicher Chefberater, ein sogenannter "Chief Scientific Advisor", sollte am Tisch des nächsten Bundeskabinett sitzen und, wie es zuletzt der Wissenschaftsratsvorsitzende Wolfgang Wick hier im Blog formulierte, der Wissenschaft Stimme und Gewicht verleihen". Als Vorbilder gelten hier die USA oder Großbritannien, doch, so Wick, werde ein solcher Chefberater nur im Rahmen einer "klugen Gesamtkonstruktion" wirklich wirksam werden können.
Zweitens: Das BMBF sollte neu zugeschnitten werden. Für die Bewältigung der großen Transformationsprozesse, postulierte etwa die Allianz der Wissenschaftsorganisationen, brauche es "die stärkere Priorisierung und Verzahnung von Wissenschafts- und Innovationspolitik. Daher sollten Forschung, Lehre und Innovation in einem Ministerium vereint werden."
Was die Allianz nicht ausführt: Eine solche Neuordnung würde zusätzlich die Option eröffnen, ein eigenständiges Bundesbildungsministerium zu gründen, und zwar unter Hinzunahme aller Referate für Kinder und Jugend aus dem bisherigen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).
93 Prozent der Unter-30-Jährigen wollen
den "Chief Scientific Advisor"
Im Januar habe ich hier im Blog ausgeführt, dass der Bund damit eine Entwicklung nachvollziehen würde, die in der Mehrheit der Länder längst stattgefunden hat: Nur noch in zwei Landesregierungen liegt die Zuständigkeit für Bildung und Wissenschaft in einem Haus, während zehn Landesministerien zugleich für Bildung und Jugend verantwortlich sind. Ein solches Bundesbildungsministerium könnte die gesamte Bildungskette von den Kitas über die Schule und den Ganztag bis hin zur beruflicher Bildung und Weiterbildung abdecken.
Interessante Überlegungen, signalisierten die verantwortlichen Bildungs- und Wissenschaftspolitiker im Hintergrund – und wiesen darauf hin, dass die Zuschnitte von Ministerien und die personelle Ausgestaltung der nächsten Bundesregierung wie üblich ganz am Ende der Koalitionsverhandlungen liegen dürften – die nach dem Abschluss der Sondierungen von Union und SPD jetzt überhaupt erst starten sollen. Manch einer merkte dann noch skeptisch an, dass der auf der neuen Regierung lastende Handlungsdruck zu hoch sein könnte, um wichtige Zeit mit der internen Umorganisation von Ministerien verbringen zu können.
Eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Telekom-Stiftung, die dem Wiarda-Blog exklusiv vorab vorlag, zeigt nun: Sowohl für die Einrichtung eines Chief Scientific Advisors als auch eines eigenständigen Bundesbildungsministeriums gibt es eine breite Zustimmung der bundesdeutschen Öffentlichkeit.
Satte 76 Prozent der Befragten gaben an, "dass Wissenschaft und Forschung stärker von der Bundesregierung in ihre Entscheidungen einbezogen werden und die Position eines solchen wissenschaftlichen Chefberaters eingerichtet wird", berichtet das Meinungsforschungsinstitut "forsa", das Anfang März 1001 repräsentativ ausgewählte Einwohner ab 18 befragt hatte.
Im Westen lag die Zustimmung mit 77 Prozent zehn Prozentpunkte über dem Osten, von den Unter-30-Jährigen wünschten sich bundesweit sogar 93 Prozent den "Chief Scientific Advisor", bei den mindestens 60-Jährigen waren es immerhin noch 70 Prozent.
Das Problem mit dem
eigenständigen Bildungsministerium
Bei der Frage nach dem künftigen BMBF-Zuschnitt fielen die Ergebnisse ebenfalls pro Reform aus, obgleich nicht ganz so deutlich. 64 Prozent der Befragten waren für ein Ministerium "ausschließlich für Bildung", während 29 Prozent bei den bisherigen Zuständigkeiten für Bildung, Forschung und Wissenschaft bleiben wollen.
Schon die Frageformulierung macht hier die Interpretation indes schwieriger. Ein Bundesministerium "ausschließlich für Bildung" wird es definitiv nicht geben können – schon deshalb, weil die Zuständigkeiten für Bildung im BMBF in einer einzigen, allerdings großen Abteilung ("Allgemeine und berufliche Bildung; Lebensbegleitendes Lernen") konzentriert sind. Selbst die oben beschriebene Fusion mit den entsprechenden BMFSFJ-Referaten wäre immer noch vom Umfang so wenig, dass die Versuchung groß wäre, bei einer Konzentration des BMBF auf Forschung, Innovation und Technologie die Bildungsabteilung einfach dem bestehenden BMFSFJ zuzuschlagen.
Eine solche Zusammenlegung widerspräche allerdings diametral der Zielrichtung der "forsa"-Umfrage: Die Leute sind für ein eigenständiges Bildungsministerium, weil sie, davon kann man ausgehen, mehr Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit für das Thema wollen. Was in einem auch für Familien, Senioren und Frauen verantwortlichem Ministerium, bei dem das "J" für Jugend aktuell ganz am Ende steht, definitiv nicht gegeben wäre. Der im Sondierungspapier von Union und SPD enthaltene Plan, das Milliarden-Startchancenprogramm auf die Kitas auszuweiten, liefert ein weiteres strategisches Argument, Bildung und Jugend zusammenzudenken und in einem unabhängigen Ministerium mit stark wachsendem Budget zu vereinen.
Derweil können die Befürworter eines neuen BMBF-Zuschnitts zugunsten von Forschung und Innovation grundsätzlich ebenfalls Honig aus den Zahlen saugen: Die Bereitschaft der Bevölkerung, neue Strukturen gutzuheißen, ist groß. Bei Frauen (68 Prozent für ein eigenständiges Bildungsministerium) größer als bei Männern (60 Prozent), bei den Unter-30-Jährigen (72 Prozent) ausgeprägter als bei 60+ (60 Prozent).
Die Frage nach dem Zuschnitt von Ministerien mag am Ende von Koalitionsverhandlungen liegen. Doch wissen die Parteispitzen schon jetzt, dass der öffentliche Rückenwind für strukturelle Reformen in der Wissenschafts- und Bildungspolitik erstaunlich stark wäre.
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Reisender (Donnerstag, 13 März 2025 17:57)
Mangelt es der Wissenschaft wirklich an Einfluss in der Politik? Ich glaube es ist eher umgekehrt. Es mangelt der Politik an Einfluss und Kontrolle bei der ordnungsgemäßen Verwendung von Steuergelder.
Das wäre meine Bewertung wenn ich mir die Nachrichten zur FhG letztes Jahr oder der jüngsten Infos zur MPG anschaue…
Dreibezirkeeck (Sonntag, 16 März 2025 07:56)
Die Trennung von Bildung und Wissenschaft leuchtet mir grundsätzlich ein, verschiebt den Fokus aber weiter auf die außeruniversitäre Forschung (die hauptsächlich in Verantwortung des Bundes liegt). Universitäten bilden und forschen und diese Dualität würde dann noch stärker als bisher vernachlässigt.