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Im Ausland studieren trotz Corona?

Welche Effekte hatte die Pandemie auf die Studierendenmobilität? Und was unterscheidet die Situation in Deutschland von der in Großbritannien, in Australien und den USA? Erstmals liegen genügend Daten vor, um die vier wichtigsten Gastländer zu vergleichen. Ein Zwischenfazit von Jan Kercher.

Foto: Gerd Altmann / Pixabay.

GESTERN HAT DAS US-AMERIKANISCHE "Institute of International Education" (IIE) die Zahlen der an US-Hochschulen eingeschriebenen internationalen Studierenden im Studienjahr 2020/21 veröffentlicht. Damit liegen nun zu den vier wichtigsten Gastländern weltweit (USA, das Vereinigte Königreich, Australien und Deutschland) Zahlen vor, die eine belastbare Einschätzung der Corona-Effekte auf die internationale Studierendenmobilität zulassen. Zeit für ein erstes Zwischenfazit: Welche generellen Entwicklungen lassen sich beobachten? Und welche länderspezifischen Effekte zeigen sich?

 

 

Länderübergreifende Auswirkungen

 

Erstens: Die sogenannte Credit Mobility litt stärker als die Degree Mobilty. Die Zahl der Studierenden, die im Rahmen ihres Studiums im Heimatland für ein Semester oder Praktikum ins Ausland gehen, ist deutlich stärker eingebrochen als die Zahl der Studierenden, die ein gesamtes Studium im Ausland absolvieren. Das ist nicht weiter verwunderlich: Ein Auslandssemester oder -praktikum ist schneller abgesagt oder verschoben als ein seit langem geplantes Masterstudium im Ausland. Zudem: Ein digitales Fernstudium, das viele Hochschulen wegen Corona als Option für internationale Studierende einführten, mag als Einstieg bei einem längerfristigen Auslandsaufenthalt akzeptabel sein, ein rein virtuelles Auslandssemester oder -praktikum hingegen scheint für viele Studierende kein ausreichender Ersatz für den Präsenzaufenthalt an der Gasthochschule gewesen zu sein.

 

Zweitens: Das Bachelorstudium ist stärker von den Corona-bedingten Rückgängen der Studierendenzahlen betroffen als das Masterstudium. Auch hierfür lassen sich plausible Gründe anführen: So dürfte sich ein großer Teil der internationalen Studienanfängerinnen und -anfänger, die sich im Studienjahr 2020/21 neu in einen Masterstudiengang eingeschrieben haben, bereits vorher im Gastland aufgehalten haben, etwa um dort ein Bachelorstudium zu absolvieren. Womit Einreisehürden für sie entfielen. Durch Corona dürfte sich sogar die Motivation an ein Bachelorstudium im Ausland direkt ein Masterstudium im selben Gastland anzuhängen, erhöht haben. Denn: Mitten in der Corona-Pandemie nach einem Job zu suchen, war aus Sicht der meisten frisch graduierten Hochschulabsolventinnen und -absolventen sicherlich keine erfolgversprechende Handlungsoption. Und eine Rückkehr in ihr Heimatland wäre für einen Teil der Betroffenen vermutlich mit größeren gesundheitlichen Risiken verbunden oder teilweise – aufgrund strenger Aus- oder Einreisebeschränkungen – gar nicht möglich gewesen.

 


Jan Kercher, 41, ist Experte für Daten und Studien zu Hochschulinternationalisierung und akademischer Mobilität beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). Unter anderem ist er für das jährlich erscheinende Datenkompendium "Wissenschaft weltoffen" zuständig und leitet das Projekt "Benchmark internationale Hochschule", eine regelmäßige und deutschlandweite Umfrage zur Studierendenmobilität in Deutschland.
Foto: Eric Lichtenscheidt.



Damit enden aber schon die länderübergreifenden Gemeinsamkeiten. Je nach Herkunfts- und Gastland der Studierenden hat sich die Pandemie sehr unterschiedlich auf die Studierendenmobilität ausgewirkt. Einerseits liegt dies an den unterschiedlich Ein- und Ausreisebeschränkungen: Australien etwa hat mit einer sehr strengen und langfristigen Einreisesperre (selbst für die eigenen Staatsangehörigen) auf Corona reagiert, auf der anderen Seite des Spektrums stehen Länder wie Deutschland, die nur für einen sehr kurzen Zeitraum grundsätzliche Einreisesperren hatten und dann sehr schnell Sondergenehmigungen für die Einreise verschiedener Personengruppen, zum Beispiel für Studierende und Forschende, einführten. In den Herkunftsländern kam es vor allem auf die Corona-Situation vor Ort an, die die Entscheidung für oder gegen einen Gang ins Ausland geprägt haben. Das dürfte der Grund sein, warum es beispielsweise in Deutschland im Wintersemester 2020/21 zu einem deutlich geringeren Rückgang bei den Studienanfängerinnen und -anfängern aus Indien kam als bei denjenigen aus China.

 

 

Die Entwicklung in den vier wichtigsten Gastländern

 

Besonders den USA hat die Corona-Pandemie in Sachen Studierendenmobilität einen schweren Schlag versetzt. Laut den soeben veröffentlichten IIE-Daten sank die Gesamtzahl internationaler Studierender im Studienjahr 2020/21 um 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Noch deutlicher wird der Corona-Effekt, wenn man nur die neu eingeschriebenen Studierenden betrachtet, hier betrug der Rückgang 46 Prozent. Auffällig ist auch hier der massive Rückgang von 64 Prozent bei der Credit Mobility und das deutlich geringere Minus bei der Degree Mobility (- 13 Prozent). Ein direkter Vergleich von Bachelor- und Masterstudium ist für die USA nicht möglich, da die Zahlen zum Masterstudium vom IIE nicht separat berichtet werden, sondern nur gemeinsam mit den Zahlen der internationalen Promovierenden (sogenannter Graduate-Bereich).

 

Für das Vereinigte Königreich liegen bislang keine amtlichen Studierendendaten der "Higher Education Statistics Agency" (HESA) für das Studienjahr 2020/21 vor, die alle an den britischen Hochschulen eingeschriebenen internationalen Studierenden im Land erfassen. Ersatzweise lassen sich jedoch die Zahlen des "Universities & Colleges Admissions Service" analysieren, die zumindest alle neu zugelassenen internationalen Bachelorstudierenden im Vereinigten Königreich erfassen, die dort auch einen Abschluss anstreben. Der überraschende Befund: Bei den im Jahr 2020 zugelassenen internationalen Bewerberinnen und Bewerbern zeigt sich kein negativer Corona-Effekt im Vergleich zum Vorjahr. Im Gegenteil: Die Zahl der zugelassenen internationalen Bachelorstudierenden stieg sogar um rund elf Prozent. Auf dieser Basis lässt sich prognostizieren, dass auch die Gesamtzahl der internationalen Studierenden im Vereinigten Königreich im Studienjahr 2020/21 gestiegen ist, insbesondere, da die Zahl der neu eingeschriebenen Masterstudierenden mit hoher Wahrscheinlichkeit noch stärker hochgegangen sein dürfte als im Bachelorstudium. 

 

In Australien kam es im Jahr 2020 zu einem Rückgang der Gesamtzahl internationaler Studierender: um rund fünf Prozent im Vergleich zu 2019. Bei den neu eingeschriebenen Studierenden betrug der Rückgang im Jahr 2020 sogar rund 23 Prozent. Dass dieser Einbruch angesichts des generellen Einreiseverbots nicht noch höher ausfiel, dürfte zumeist daran liegen, dass das Einreiseverbot erst ab dem 20. März 2020 galt und ein großer Teil der im Jahr 2020 neu eingeschriebenen Studierenden schon vorher nach Australien einreiste. Unterscheidungen zwischen Credit und Degree Mobility sowie Abschlussarten sind auf Basis der verfügbaren Daten für Australien derzeit noch nicht möglich.

 

Und was ist mit Deutschland, dem einzigen nicht-englischsprachigen Gastland unter den Top 4? Die Gesamtzahl der internationalen Studierenden stieg im Wintersemester 2020/21 im Vergleich zum Vorjahr um rund zwei Prozent während sich im Vergleich zum Vorjahr rund 22 Prozent weniger internationale Studierende neu einschrieben (Sommersemester 2020 plus Wintersemester 2020/21). Das Minus bei den Einschreibungen lag vor allem am massiven Rückgang bei der Credit Mobility: 54 Prozent weniger Gast und Austauschstudierende (vor allem über Erasmus) kamen im Sommersemester 2020. Detaillierte Daten zum Wintersemester 2020/21 liegen noch nicht vor. 

 

Dabei wirkten sich die Rückgänge bei der Credit Mobility kaum auf die Gesamtzahl der internationalen Studierenden im folgenden Semester aus, weil der größte Teil der entfallenen Studienanfänger ohnehin nur für ein Semester in Deutschland geblieben und danach wieder an die Heimathochschule zurückgekehrt wäre. Außerdem stellen die internationalen Gast- und Austauschstudierenden nur rund acht Prozent aller internationalen Studierenden in Deutschland. Weil die Zahl der neu eingeschriebenen internationalen Regelstudierenden nicht ähnlich stark abstürzte wie bei den Gast- und Austauschstudierenden, sondern nur um etwa zehn Prozent zurückging, gab es keinen spürbaren und nachhaltigen Effekt auf die Gesamtstudierendenzahl. 

 

Zum Tragen kommt hier auch die bei den länderübergreifenden Entwicklungen angedeutete Entwicklung: Viele Regelstudierende dürften wegen der Pandemie direkt nach dem Bachelor – und anders als ursprünglich geplant – ein Masterstudium aufgenommen haben. Bei anderen Studierenden dürfte sich der Studienabschluss durch die Herausforderungen des digitalen Studiums verzögert haben – auch sie blieben länger im System und in der Statistik als sonst. Woraus insgesamt folgt: Im Vergleich zu einem "Normaljahr" hat ein deutlich kleinerer Teil der internationalen Studierenden das Studiensystem verlassen – und so den Rückgang bei den Neueinschreibungen ausgeglichen.

 

 

Fazit und Ausblick

 

Das Vereinigte Königreich stellt innerhalb der vier wichtigsten Gastländer internationaler Studierender einen beachtlichen Sonderfall dar. Die britischen Hochschulen haben sich mit außerordentlichem Engagement um internationale Studieninteressierte gekümmert und teilweise sogar Charterflüge für Studierende aus wichtigen Gastländern organisiert. Mit Erfolg: Statt weniger internationale Studierende konnte Großbritannien im Corona-Jahr 2020 sogar mehr anziehen. Hilfreich dürfte dabei gewesen sein, dass das Vereinigte Königreich bei vielen internationalen Studieninteressierten als die erste (und sogar etwas günstigere) Alternative zu den USA gilt. Internationale Umfragen lassen darauf schließen, dass die anfangs sehr erfolgreiche britische Impfkampagne und die als besonders offen wahrgenommene Willkommenskultur bei vielen internationalen Studierenden zu einer Umorientierung weg von den USA und hin zum Vereinigten Königreich führte.

 

Deutschland sortiert sich zwischen den USA und dem Vereinigten Königreich ein: Wie in den USA gab es deutliche Rückgänge bei den neu Neueinschreibungen, bei der Gesamtzahl der internationalen Studierenden aber sogar einen leichten Anstieg.

 

Und wie geht es weiter? Für die USA zeichnet sich eine Trendwende für das Jahr 2021 ab. Das IIE hat gerade mehr als 860 US-Hochschulen befragt, und diese berichten von einem Anstieg der neu eingeschriebenen internationalen Studierenden im Studienjahr 2021/22 um 68 Prozent. Die Gesamtzahl der internationalen Studierenden sollen der Umfrage zufolge um immerhin vier Prozent gestiegen sein. Im Vereinigten Königreich sank die Zahl internationaler Studienbewerberinnen und -bewerber 2021 offenbar leicht im Vergleich zum Vorjahr, konkret um vier Prozent. Hierbei handelt es sich aber offensichtlich nicht um Folgen der Pandemie, sondern des Brexits: Die Zahl der Bewerberinnen und Bewerbern aus EU-Ländern brach um rund 40 Prozent ein, während bei den Nicht-EU-Herkunftsländern ein Anstieg um rund 16 Prozent zu verzeichnen war. 

 

In Australien ist im Gegensatz zu den USA noch keine Trendwende erkennbar, im Gegenteil: Der Rückgang bei den Neueinschreibungen internationaler Studierender war den neusten Zahlen zufolge 2021 mit rund 31 Prozent noch einmal stärker als im Vorjahr, dasselbe gilt für den Rückgang der Gesamtzahl der internationalen Studierenden (-16 Prozent). 

 

In Deutschland berichtete der Verein "uni-assist", der etwa die Hälfte aller deutschen Hochschulen bei der Bearbeitung von Bewerbungen aus dem Ausland unterstützt, für das aktuelle Wintersemester eine ähnliche Zahl von internationalen Bewerberinnen und Bewerbern wie vor einem Jahr. Noch keine Trendwende also, aber auch kein weiterer Rückgang. Sollten sich diese Trends bestätigen, würde Deutschland Australien voraussichtlich schon nächstes Jahr als drittwichtigstes Gastland internationaler Studierender ablösen.



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