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In Teilen enttäuschend

Der Shutdown wird verlängert bis Ende Januar. Warum viele der beschlossenen Maßnahmen richtig sind – und warum doch gefährliche Inkonsequenzen bleiben.

Menschen im Büro. Foto: Dylan Nolte / unsplash.

URSPRÜNGLICH HATTE Angela Merkel die Ergebnisse der Corona-Spitzenrunde mit den Ministerpräsidenten schon am frühen Nachmittag verkünden wollen. Doch dann wurde die Konferenz nach hinten geschoben, und die Verhandlungen zogen sich in die Länge. Es wurde gestritten und gefeilscht. Um 18.44 Uhr schließlich trat die Bundeskanzlerin ans Mikrofon. Was sie zu verkünden hatte, war im Wesentlichen das Erwartete. Und damit in Teilen eine Enttäuschung.

 

Die bis zum 10. Januar geltenden Maßnahmen sollen bis zum 31. Januar verlängert werden, zusätzlich werden die Kontaktsperren verschärft: Private Treffen sind über den eigenen Haushalt hinaus nur noch mit einer einzigen Person erlaubt. Soweit, so richtig. Weil damit endlich wie im Frühjahr eine eindeutige und leicht verständliche Regelung geschaffen wird.

 

So einschneidend wie behauptet
sind die Verschärfungen nicht

 

Doch so einschneidend, wie Merkel die heutigen Verschärfungen verkaufen wollte, waren diese dann doch nicht. Denn anders als in vielen Staaten wird es in Deutschland auch weiterhin keine grundsätzliche Beschränkung der Reisefreiheit geben. Das Einzige, worauf sich Bund und Länder einigen konnten: In Landkreisen mit einer 7-Tages-Inzidenz von über 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern werden die Länder weitere Beschränkungen erlassen, Hauptmaßnahme: Der Bewegungsradius wird auf 15 Kilometer um den Wohnort herum beschränkt, "sofern kein triftiger Grund vorliegt. Tagestouristische Ausflüge stellen explizit keinen triftigen Grund dar", heißt es im Beschluss – womit unter anderem der Skitourismus der vergangenen Wochen unterbunden werden soll. Allerdings wird die Regel für die allermeisten Kreise, wenn der bisherige Shutdown auch nur ein bisschen wirkt, gar nicht erst in Kraft treten. Anders wäre es bei der vom Kanzleramt vorgeschlagenen, aber bei vielen Ländern durchgefallenen Grenze von 100 Neuinfektionen gewesen.

 

Lasch bleiben im Vergleich zu anderen Ländern auch die Bestimmungen in Bezug auf die Arbeitswelt. Die Regierungschefs beließen es bei der "dringenden Bitte", "großzügige Home-Office-Möglichkeiten zu schaffen. Immerhin sollen Betriebskantinen geschlossen werden, wo immer die Arbeitsabläufe es zulassen – aber auch das erst zwei Monate nach dem allgemeinen Restaurant-Shutdown. Eine Homeoffice-Pflicht überall wo möglich wie in Frankreich? Fehlanzeige. Ebenso wie eine umfassende Maskenpflicht am Arbeitsplatz, sobald man nicht allein im Büro ist.

 

Geradezu skandalös ist, dass für Besucher von Alten- und Pflegeheimen weiterhin nicht flächendeckend Schnelltests vorgeschrieben werden. Immerhin lassen Bund und Länder in ihrem aktuellen Beschluss jetzt sehr deutlich werden, warum nicht: "Vielfach fehlen in den Einrichtungen die personellen Kapazitäten, solche Schnelltests vor Ort durchzuführen, obwohl die Abrechnung sowohl der Anschaffung als auch der Testdurchführung über die Testverordnung des Bundes sichergestellt ist." Die Kapazitäten fehlen wohlgemerkt bereits, um das seit Mitte Dezember Vorgeschriebene zu leisten: dass sich das Personal mehrmals pro Woche Schnelltests unterziehen muss und Besucher zumindest "in Regionen mit erhöhter Inzidenz" – bis alle Bewohner geimpft sind. 

 

Die Einrichtungen seien in der Verantwortung, eine umfassende Umsetzung der Testanordnung sicherzustellen, betonen die Regierungschefs lapidar, versprechen aber immerhin: "Unterstützend werden Bund und Länder aufbauend auf bestehenden Maßnahmen der Länder eine gemeinsame Initiative starten, um Freiwillige vorübergehend zur Durchführung von umfangreichen Schnelltests in die Einrichtungen zu bringen." Ankündigungen, die nichts daran ändern, dass die Alten- und Pflegeheime weiter von der Politik nicht den nötigen Schutz erhalten und eine vernünftige Teststrategie aufgrund fehlender Kapazitäten auf sich warten lässt. 

 

Demonstrative Konsequenz
beim Umgang mit Kitas und Schulen

 

Während Bund und Länder sich an die Arbeitswelt kaum herantrauen und, obwohl ein Großteil der Corona-Toten in Altenheimen gelebt hat, ausgerechnet bei deren Schutz aufgrund der monatelangen politischen Planungsfehler weiter inkonsequent bleiben müssen, zeigen Merkel und die Regierungschefs anderswo demonstrativ Konsequenz: bei den Bildungseinrichtungen. Kitas und Schulen sollen ebenfalls bis Ende Januar geschlossen bleiben bzw. wird die Aussetzung der Präsenzpflicht bis dahin verlängert und Distanzunterricht durchgeführt. Viel Bewegungsspielraum für Länder-Alleingänge bleibt da eigentlich nicht*. Entsprechend dem Dezemberbeschluss wäre demzufolge im Januar allein Präsenzunterricht für die Abschlussklassen möglich. Die zwischenzeitlich in der heutigen Beschlussvorlage enthaltene Ergänzung, dass die Grundschulen unter Umständen schon im Januar mit Wechselunterricht beginnen können, wurde herausgestrichen. 

 

Immerhin: Der Bund wird gesetzlich regeln, dass das Kinderkrankengeld auch im Jahr 2021 für zehn zusätzliche Tage pro Elternteil (20 zusätzliche Tage für Alleinerziehende) gewährt werden soll. Der Anspruch soll zudem jetzt auch für die Fälle gelten, wenn Schulen und Kitas pandemiebedingt geschlossen sind oder die Präsenzpflicht im Unterricht ausgesetzt ist. 

 

Weitere heute beschlossene Maßnahmen sind unter anderem eine Zwei-Test-Vorschrift für Einreisende aus Risikogebieten zusätzlich zur Quarantänepflicht. Am 25. Januar wollen sich die Regierungschefs dann erneut treffen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. 

 

Am Ende bleibt der heutige Beschluss eine Mischung aus sinnvollen Verschärfungen, halbherzigen Appellen und ärgerlichen Versäumnissen. Sie werden vermutlich reichen, um die Infektionszahlen merklich zu drücken. Doch nicht so schnell, wie es bei mehr Konsequenz möglich wäre. Und sie verteilen die Belastungen ungleichmäßig. 

 

Von den wichtigeren
Diskussionen abgelenkt

 

Dass die Politik mit einer solchen Strategie durchkommt, dass sie überhaupt so lange ohne einen effektiven Schutz der Altenheime durchkommen konnte und dass es selbst nach den heutigen Beschlüssen kein verbindliches Recht auf Homeoffice, geschweige denn eine Homeoffice-Pflicht, geben wird, hat einen wesentlichen Grund: weil anstatt über diese Themen in der Öffentlichkeit viel zu lange schon und fast schon obsessiv einseitig über die Rolle von Kindern und Schulen in der Pandemie debattiert wurde. Anstatt über eine andere Verteilung der Belastungen zwischen den Generationen. 

 

"Ein Modell wie in Belgien, Frankreich oder Irland, das Erwachsene stärker zur Senkung von Inzidenzzahlen in die Pflicht nimmt, um Kindern nicht noch einmal über Wochen den Zugang zu Bildung zu verweigern, kommt hierzulande offenbar nicht infrage", schrieben die Soziologin Jutta Allmendinger und die Volkswirtin Nicola Brandt heute Morgen in der ZEIT

 

Auch ich habe es heute Vormittag geschrieben: Als Bildungsjournalist hätte ich mir die – von mir selbst als nicht besonders wahrscheinlich eingestufte – Wendung gewünscht, dass die Regierungschefs heute schärfere Maßnahmen für Erwachsene dort, wo möglich, mit ersten Lockerungen für die Kinder (namentlich Präsenzunterricht für die Jüngsten) kombiniert hätten. Und zwar schon in der zweiten Januarhälfte. 

 

Das kann man anders sehen. Falsch ist in jedem Fall, dass in der öffentlichen Debatte der vergangenen Wochen aus einem (und beileibe nicht dem wichtigsten) Schauplatz der Pandemie, den Bildungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche, der zentrale wurde. Worüber viel wichtigere gesellschaftliche Diskussionen, etwa die zu Altenheimen und Corona am Arbeitsplatz, erschreckend unterbelichtet blieben. Die Folgen sehen wir in den heutigen Beschlüssen. Diesen Vorwurf müssen sich auch und gerade die Medien gefallen lassen. 

 

Nachtrag am 05. Januar, 22 Uhr:

Der Wortlaut des Beschlusses lasse in Bezug auf die Kitas und Schulen nur wenig Bewegungsspielraum für Länder-Alleingänge, schrieb ich am frühen Abend. Doch mehrere Regierungschefs scheinen genau diesen Spielraum zu erkennen. Und auch KMK-Präsidentin Britta Ernst: Sie sagte der Nachrichtenagentur dpa, die KMK habe sich Montag einmütig dafür ausgesprochen, dass in den Bundesländern, in denen es das Infektionsgeschehen erlaube, in einer ersten Stufe die Grundschulen zum Präsenzunterricht zurückkehren könnten. Das finde sich im Beschluss der Regierungschefs von Bund und Ländern nicht explizit wieder. "Der Beschluss bietet jedoch Spielräume, die in den Ländern entsprechend genutzt werden können", sagte die SPD-Politikerin, die im Hauptberuf Bildungsministerin in Brandenburg ist.

 

Dabei war die zwischenzeitlich in der Beschlussvorlage enthaltene Passage, dass die Grundschulen unter Umständen schon im Januar mit Wechselunterricht beginnen können, aus dem finalen Dokument herausgestrichen worden. 

 

Die Kultusministerinnen und Kultusminister sähen sich als Anwälte für gute Bildung in Deutschland, für die jede Unterrichtsstunde zähle, sagte demgegenüber Ernst.

 

Möglicherweise wird es also doch schon im Januar in einigen Ländern teilweisen Präsenzunterricht für Grundschüler geben. Die Kitas waren in vielen Ländern ja nie ganz auf Notbetrieb. Es dürfte jedenfalls spannend werden morgen, wenn mehr und mehr Landesregierungen ihre Planungen bekanntgeben. 

 

Wenn darin tatsächlich Präsenzunterricht für die jüngsten Schüler enthalten sein sollte, was ich ja begrüßen würde, müssten die Ministerpräsidenten allerdings auch erklären, warum sie den heutigen im Wortlaut sehr eindeutigen Beschluss überhaupt so mitgetragen haben. 



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Kommentare: 1
  • #1

    Working Mum (Mittwoch, 06 Januar 2021 07:32)

    Dass aus dem bezahlten Sonderurlaub für Eltern jetzt nur eine Aufstockung der Kinderkranktage geworden ist, finde ich angesichts der Belastungen, die den Familien fortgesetzt aufgebürdet werden, eine Frechheit. Zum einen trifft es finanzschwache Familien besonders, wenn statt des vollen Lohns nur Krankengeld gezahlt wird. Zum anderen wäre die Aufstockung der Kinderkranktage ohnehin - wie schon in 2020 - erforderlich gewesen, weil die Kinder aufgrund von Erkältungssymptomen bei geöffneten Bildungseinrichtungen natürlich deutlich häufiger zu Hause bleiben müssen als in normalen Jahren. Wenn diese Tage jetzt schon im Januar für die Schließungen verbraucht werden müssen, werden viele Eltern den Rest des Jahres über vor großen Problemen stehen.