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Es reicht

Deutschland debattiert über die erneute Schließung von Kitas und Schulen und beruft sich auf die angeblich so viel größere Pandemiedynamik unter Kindern und Jugendlichen. Diese Argumentation ist nicht faktenbasiert – und sie lenkt davon ab, wer vor allem für die Eindämmung des Virus verzichten muss: die Erwachsenen.

KINDER UND JUGENDLICHE treiben die Pandemie? Nun lassen wir mal kurz die aktuelle Aufregung weg und schauen auf die Zahlen. Denn bei deren nüchterner Betrachtung stellt sich die Sache plötzlich ganz anders dar, und man kann sich tatsächlich wieder aufregen. Aber anders.

 

Zunächst die Meldezahlen. Über die hatte ich gestern bereits berichtet. In der vergangenen Kalenderwoche haben sich so viele Kitakinder nachweislich mit dem Coronavirus infiziert wie nie zuvor seit Beginn der Pandemie. Das Robert-Koch-Institut (RKI) gibt ihre Zahl heute mit 4013 an, das sind 34 Prozent mehr als in den sieben Tagen davor. Der bisherige Höchststand war auf dem Höhepunkt der zweiten Welle im Dezember mit 3114 neuinfizierten Kleinkindern erreicht worden.

 

Auch bei den 5- bis 14-Jährigen gab es in der vergangenen Woche erneut stark Zuwächse bei den Meldezahlen. Das RKI verzeichnete in dieser Altersgruppe 8841 Neuinfektionen, was im Vorwochenvergleich einem Plus von gut 35 Prozent entsprach.

 

In den vergangenen vier Wochen sind die vom RKI gemeldeten wöchentlichen Neuinfektionen bei den 0- bis 4-Jährigen damit um 192 Prozent gestiegen. Bei den 5- bis 14-Jährigen betrug das Plus 182 Prozent. Enorm. Weit an der Spitze aller Altersgruppen.

 

Nun der Blick auf die Testhäufigkeiten. Die haben in der vergangenen Kalenderwoche bei den Kindern und Jugendlichen nämlich ebenfalls einen weiteren Riesensprung nach oben gemacht. O- bis 4-Jährige sind jetzt nach den Über-80-Jährigen die am häufigsten getestete Altersgruppe. Die 5- bis 14-Jährigen liegen inzwischen auf dem Niveau sämtlicher Altersgruppen zwischen 14 und 79. Und auch hier wieder der Vergleich zu vor vier Wochen: Das Testwachstum betrug bei den Kitakindern 238 Prozent. Bei den Schulkindern 219 Prozent.


Quellen: RKI. Gemeldete Neuinfektionen SurvStat@RKI 2.0 (Datenbankabfrage) und Laborbasierte Surveillance von SARS-CoV-2, Wochenbericht vom 23. März 2021. Zahlen aus den Grafiken extrahiert.


Mit anderen Worten: Die Zahl der Tests stieg noch deutlich stärker als die Zahl der Neuinfektionen. Gleichzeitig sanken die Positivquoten, also der Anteil positiv getesteter Personen, bei den Kindern und Jugendlichen zum dritten Mal in Folge – und gegen den gesamtgesellschaftlichen Trend. 

 

Die 0- bis 4-Jährigen haben mit 4,9 Prozent Positivquote inzwischen den niedrigsten Wert aller Altersgruppen. Die 5- bis 14-Jährigen kommen auf 7,6 Prozent, was ebenfalls unter dem Bevölkerungsschnitt von 8,26 Prozent liegt.

 

Und jetzt der Gegenschnitt. Bei den 20- bis 79-Jährigen stiegen die Neuinfektionen in der vergangenen Kalenderwoche um knapp 28 Prozent. Also um sechs bis sieben Prozentpunkte langsamer als bei den Kindern und Jugendlichen. Wie schon in der Vorwoche.

 

Doch sind diese Werte vollkommen anders einzuordnen – denn während die Tests bei den Kindern und Jugendlichen binnen sieben Tagen um 40 bis 45 Prozent, binnen 14 Tagen sogar um das Doppelte stiegen und, siehe oben, parallel die Positivquoten sanken, blieben die Testzahlen bei den 15- bis 79-Jährigen nahezu stabil (pro Woche jeweils etwa +3 Prozent).

 

Eine Dynamik bei den gemeldeten Neuinfektionen, die ohne nennenswert mehr Tests fast so stark ist wie bei den massiv zusätzlich getesteten Kindern und Jugendlichen: Das ist bemerkenswert und deutet angesichts der stark steigenden  Positivquoten ausschließlich zwischen 15 und 79 darauf hin, dass dort die Pandemie so richtig abgehoben hat in den vergangenen Wochen. In der Mitte der Gesellschaft. 

 

Doch was macht diese Mitte der Gesellschaft? Diskutiert über die so krass zunehmenden Fälle unter Kindern und Jugendlichen. Versteigt sich gar zu der These, damit sei bewiesen, dass diese jetzt doch genauso ansteckend seien wie Erwachsene. Weshalb es sogar bei geteilten Klassen unverantwortlich sei, die Schulen offenzuhalten. Städte und Landkreise beantragen die Schließung, bekommen sie teilweise sogar bewilligt – lassen aber die Leute weiter zum Friseur, in den Baumarkt oder zum Einkaufen mit Termin.

 

Sie merken, jetzt entsteht bei mir aus der nüchternen Betrachtung heraus neue Aufregung. Aber anders. Es ist die Aufregung über eine gesellschaftliche Debatte, die mal wieder in Schieflage gerät. Ist das der Dank für die zusätzlichen Tests an Kitas und Schulen, die mehr Sicherheit an den Bildungseinrichtungen bringen sollen?

 

Dabei ist klar: Der Weg zu offenen Kitas und Schulen führt über regelmäßige Tests. Das hat eine Bedingung und zwei Konsequenzen. Die Bedingung: Bund und Länder stehen in der Pflicht, genug Schnelltests zu organisieren. Die Konsequenzen: Die Meldezahlen bei den Jüngsten werden zunächst weiter steigen. Das muss die Republik dann aber auch emotional aushalten können. 


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Kommentare: 7
  • #1

    Working Mum (Mittwoch, 24 März 2021 13:01)

    Vollste Zustimmung. Und bei diesen gestiegenen Testhäufigkeiten sind die Schnell- und Selbsttests ja noch gar nicht erfasst. Es war doch völlig klar, dass bei einem solchen Anstieg von Testungen auch mehr Infektionen entdeckt werden. Dafür werden die Tests ja schließlich gemacht.

  • #2

    Susanne (Mittwoch, 24 März 2021 16:06)

    Ich bin so froh, dass Sie sich immer wieder so fundiert mit dieser Thematik auseinandersetzen. Im ganzen Corona-Chaos ist bei Ihnen eine klare Linie erkennbar. Und ich teile die Sorge um die junge Generation, die gezwungen wird, die Lasten der Pandemie überproportional zu tragen.

  • #3

    Allia Hammami (Mittwoch, 24 März 2021 18:25)

    Danke für die differenzierte Betrachtung. Ich sehe es so: solange die Regierung an diesem Inzidenzfetisch festhält, solange wird sich transparenteres Erfassen von Infektionen gegen die untersuchteGruppe richten. Es wird unter der o.g. Vorgabe mitnichten zu mehr Freiräumen führen. Es ist richtig, für eine differenziertere Betrachtungzu werben. Aber der sinnvolle Umgang mit Ergebnissen ist zuerst zu denken und medial zu transportieren und zwar von den bildungspolitisch Verantwortlichen.

  • #4

    T. (Donnerstag, 25 März 2021 07:43)

    In Frankreich und England und vielen anderen Ländern ist alles zu- aber die Schulen sind konsequent offen. In Berlin sind die Kinder der Mittelstufe inzwischen fast 4 Monate zu Hause, das Homeschooling ist ein schlechter Witz. Für die anderen besteht die Beschulung zu einem guten Teil nur aus sehr wenigen Stunden. Der Preis für unser Land, wenn die nächste Generation keine Spitzenforscher und Denker hervorbringt und im internationalen Vergleich weiter zurückfällt, wird noch nicht diskutiert.

  • #5

    Dr. Oliver Locker-Grütjen (Donnerstag, 25 März 2021 10:35)

    Wo bleiben Kinder?

    Kinder, Jugendliche und junge Erwachsenen müssen in der Pandemie-Politik Gehör und Berücksichtigung finden. Man sucht in dem Bund-Länder-Beschluss vom 22. März 2021 vergeblich nach einem Konzept, den Jüngeren in unserer Gesellschaft zeitnah wieder Perspektiven zu eröffnen – Perspektiven, die diese dringend benötigen. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene haben bislang enorm viel leisten und aushalten müssen.

    Die psychologischen und physiologischen Folgen einer emotionalen Verarmung sind bereits sichtbar und werden noch lange Zeit Auswirkungen haben. Wissenschaftliche Studien sowie eindringlich mahnende Worte von vielen Kinderärzt*innen, Pädagog*innen, Neurobiolog*innen und Psycholog*innen warnen bereits vor nachhaltigen Schäden bei Kindern. Diese werden uns noch viele Jahre begleiten und immense gesellschaftliche Kosten verursachen. Die Schäden sind nicht unmittelbar sichtbar, was offensichtlich dazu führt, dass diese von den Entscheidungsträger*innen nicht vorrangig behandelt werden. Dabei leiden schon jetzt viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene – sie gehören, um es überspitzt zu sagen, auf die emotionale und psychische Intensivstation.

    Bislang wurden Kinder, Jugendliche sowie junge Erwachsene in den Bildungsstrategien und Impfkonzepten von Bund und Ländern selten erwähnt und wenig berücksichtigt. Spätestens seit dem Wirken der erheblich gefährlicheren Mutationen wie B.1.1.7 findet jedoch in der Wissenschaft ein Umdenken statt. Es mehren sich die Zeichen nicht nur für eine erheblich erhöhte Ansteckungswahrscheinlichkeit, sondern auch für erheblich schwerere Verläufe der Krankheit bei Kindern und Jugendlichen. Gerade bei dieser Gruppe besteht die Gefahr einer Immunüberreaktion („PIMS“), die durch die Infektion mit Covid-19 ausgelöst werden kann.

    Vielleicht sollten wir auch einmal bedenken, wer die BAZOOKAS von Minister Scholz letztlich bezahlen MUSS! Wenn wir diese Generation jetzt nicht schützen, (aus)bilden und stützen, dann ist niemand mehr übrig für diese Generationenaufgabe!

    Kinder und Jugendliche brauchen endlich Gehör in diesen Runden!

  • #6

    Working Mum (Donnerstag, 25 März 2021 13:00)

    Das Saarland plant für die Zeit nach Ostern offenbar weitere Öffnungsschritte als "Modellregion". Dabei soll die Öffnung von Fitnessstudios, Kinos und Außengastronomie fast zwei Wochen vor weiteren Öffnungsschritten bei den Schulen erfolgen. So viel bleibt also übrig von der viel beschworenen Priorisierung der Bildungseinrichtungen.

  • #7

    Lena (Donnerstag, 25 März 2021 15:47)

    Danke für die fundierte Aufbereitung der Zahlen! Jedem Statistiker und Marktforscher müssen sich aktuell die Haare zu Berge stehen auf welcher Zahlenbasis solch weitreichende Entscheidung wie im letzten Jahr getroffen werden.