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Milliarde um Milliarde

Die Geschichte der im Bau befindlichen Beschleunigeranlage FAIR ist eine Geschichte mangelhaften Projektmanagements, immer neuer Verzögerungen und atemberaubender Kostensteigerungen. Doch was sich jetzt abzeichnet, dürfte alles Gewesene in den Schatten stellen. Zeit für das Bundesforschungsministerin Stark-Watzinger, nach fast 20 Jahren die Reißleine zu ziehen?

FAIR-Baustelle in Darmstadt (Mai 2022). Foto: GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung/D.Fehrenz.

DIE AMBITIONEN SIND GEWALTIG. "Geheimnisse über den Aufbau und die Entwicklung des Universums lüften, das wollen Forschende mit Experimenten an der Beschleunigeranlage FAIR in Darmstadt", steht auf der Website des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung, auf dessen Gelände "Facility for Antiproton and Ion Research" als internationales Gemeinschaftsprojekt entsteht. Dazu soll FAIR die Bedingungen nachahmen, wie sie in großen Planeten, in Sternen und während Sternexplosionen herrschen. Mit extrem hohen Temperaturen, Drücken oder Dichten.

 

Auch das dafür nötige Bauvorhaben ist gewaltig. Zwei Millionen Kubikmeter Erde werden bewegt, so viel wie für 5000 Einfamilienhäuser. Die 600.000 Tonnen Beton, die verbaut werden, entsprächen dem Bedarf von acht neu gebauten Fußballstadien, rechnen die FAIR-Bauherren vor, und mit den 65.000 Tonnen Stahl könne man neun Eiffeltürme bauen. 

 

Dafür vergingen zwischen Plan und Einweihung des Pariser Wahrzeichens in den 1880ern auch gerade mal fünf Jahre. Seit dem Beschluss des Bundesforschungsministeriums, FAIR in Angriff zu nehmen, sind dagegen schon fast 20 Jahre verstrichen. Und 15, seit die Bundesrepublik Deutschland, das Bundesland Hessen und neun weitere europäische Staaten das FAIR-Communique unterzeichnet haben.

 

Ursprünglich sollten erste Experimente 2012 starten, die gesamte Beschleunigeranlage 2015/16 einsatzbereit sein. Doch regelmäßig gab es in den vergangenen zehn Jahren immer neue Hiobsbotschaften. Parallel zu den immer drastischeren Verzögerungen explodierten die Kosten. Zuletzt wurde das Jahr 2027 als Zeitpunkt der Fertigstellung genannt. Anfang August räumte Jörg Blaurock, Geschäftsführer von GSI und FAIR, zudem ein, dass es  die nächste Kostenerhöhungsrunde geben werde. Das sei "durch die Gesamtsituation zu erwarten", sagte er der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf Inflation, Krieg in der Ukraine, Corona und Lieferengpässe".

 

2019 hatten die Prüfer des Bundesrechnungshofs
noch 2,5 Milliarden Baukosten als Äußerstes befürchtet

 

Erst allmählich werden die Dimensionen der neuerlichen Misere deutlich, die sich da abzeichnet. Projektinsider berichten, dass allein die Baukosten auf mindestens vier Milliarden Euro ansteigen dürften – was einer Versechsfachung der 2005 veranschlagten Summe (700 Millionen Euro)entsprechen würde. Die damals allerdings wohl bewusst klein gerechnet war – um überhaupt die politische Unterstützung für das Projekt zu bekommen. So oder so entspricht die inzwischen befürchtete Steigerung der Baukosten fast dem Zwanzigfachen der amtlichen Inflation im gleichen Zeitraum. Während die Prüfer des Bundesrechnungshofs noch 2019 vor 2,5 Milliarden als dem Äußersten gewarnt hatten. 2020 hatte das Bundesforschungsministerium die aktuelle Schätzung der Gesamtinvestitionen bereits mit 3,1 Milliarden angegeben, doch auch das, ist jetzt klar, war nur ein weiterer Zwischenschritt.

 

Das BMBF will die vier Milliarden auf Anfrage nicht bestätigen und verweist stattdessen auf eine bevorstehende neue Kostenschätzung, die demnächst in Auftrag gegeben werden soll. 

 

Doch selbst diese Explosion bei den Bauinvestitionen nimmt sich vergleichsweise harmlos aus im Vergleich zu dem Kostenschock, der zusätzlich bei der Finanzierung des laufenden Betriebs droht. Hier ist im Projekt mittlerweile von anfänglich 300 bis 400 Millionen Euro pro Jahr die Rede. Gegenüber dem Wert, den das BMBF noch Ende 2019 auf eine parlamentarische Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion hin genannte hatte (235 Millionen), eine satte Steigerung um weitere bis zu 70 Prozent.

 

Was die Sache noch dramatischer macht: Offenbar sind weder in den vier Milliarden Baukosten noch in den bis zu 400 Millionen Euro an jährlichen Betriebskosten die Energie-Kostensteigerungen infolge des Ukraine-Kriegs bereits abgebildet. Wie auch? Dazu müsste man die weitere Preisentwicklung bei Strom erstmal kennen. Fest steht indes: Teilchenbeschleuniger gehören zu den energieintensivsten Forschungsanlagen überhaupt. 

 

FAIR allein ist viermal so teuer, wie die zwei neuen
ostdeutschen Großforschungszentren werden dürfen

 

Zur Entwicklung der Betriebskosten will sich das BMBF ebenfalls nicht äußern, sondern kündigt auch hierzu neue Schätzungen an, die von unabhängigen Stellen erstellt werden sollen. 

 

Um die finanziellen Dimensionen von FAIR einordnen zu können, hilft der Vergleich mit einer jüngsten Erfolgsmeldung aus dem Haus von Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP): Die Entscheidung zur Gründung von zwei Großforschungszentren in der Lausitz und im mitteldeutschen Revier ist gefallen. Insgesamt 2,4 Milliarden Euro sollen bis 2038 fließen, die Zentren sollen Stark-Watzinger der deutschen Forschungslandschaft "insgesamt starke neue Impulse auf Topniveau geben, um die Herausforderungen unserer Zeit anzugehen". 

 

Die 2,4 Milliarden sind ein gutes Viertel dessen, was für FAIR bis 2038 fließen würde für Bau und Betrieb, bliebe es bei den jetzt vermuteten Kostensteigerungen. Wovon angesichts der Energie-Inflation kein Experte ausgeht. Allerdings geht auch kein Projektinsider davon aus, dass tatsächlich der offizielle Planungsstand, der noch der FAIR-Website zu entnehmen ist, zu halten ist. Der sah erste Experimente voraussichtlich für 2025 vor und der Bauabschluss 2027. Je später es wird, desto später werden natürlich auch die vollen Betriebskosten fällig.

 

Inzwischen scheint nicht nur die 2027-Komplettfertigstellung Makulatur. Seit dem Ukraine-Krieg wagt keiner mehr eine Prognose, wann es überhaupt soweit sein wird. Denn wie das BMBF auf Anfrage bestätigt: "Russland liefert wesentliche Komponenten für relevante Ausbaustufen von FAIR." Welche genau das sind, sagt das Ministerium nicht. Doch aus dem Projekt ist zu hören, dass es sich um die supraleitenden Magneten des im Bau befindlichen 1,1 Kilometer langen Hauptrings handeln soll. 

 

Deutschlands 
FAIR-Hauptpartner: Russland

 

Das setzt dem seit bald zwei Jahrzehnten dauernden Desaster die Krone auf: Aus Deutschlands FAIR-Hauptpartner wird ein Totalausfall. Russland, das bislang 17,5 Prozent der Kosten trug und noch dazu eine besondere Expertise bei Beschleunigeranlagen besitzt, wurde in den Wochen nach seinem Angriff auf die Ukraine aus FAIR ausgeschlossen. Geschäftsführer Blaurock sagte bei der Grundsteinlegung für das Kontrollzentrum des Hauptrings Ende März: "Wir wären nicht ein großer wissenschaftlicher und technologischer Standort, wenn wir nicht sofort anfangen würden, Alternativen zu finden und zu bearbeiten, und das tun wir derzeit."

 

Aber wie lange wird das dauern? Und was wird, was darf das kosten? Denn die eigentlich entscheidende Frage lautet: Wann ist eigentlich die Grenze des den Steuerzahlern Zumutbaren erreicht? Reicht für den Weiterbau noch das Argument, dass FAIR eines "der größten und komplexesten" Vorhaben der internationalen Spitzenforschung werden soll? Ist FAIR tatsächlich noch so einzigartig in seinem Forschungsbeitrag, wie Wissenschaftler es der geplanten Anlage einst bescheinigt haben? Damals, als das BMBF entschied, der Empfehlung des Wissenschaftsrats nachzukommen und die Anlage mit internationalen Partnern zu bauen? Das war im Frühjahr 2003. Zwei Jahrzehnte sind Äonen in der Welt der Teilchenphysik. Ist die Zeit womöglich über die wissenschaftlichen Ambitionen von damals hinweggegangen, während den Beteiligten das Projekt immer weiter über den Kopf wuchs? 

 

Fragen, die sich mit FAIR vertraute Wissenschaftler seit Jahren stellen. Doch am Ende hatte das BMBF, das mit zwei Dritteln den Löwenanteil aller Investitionen trägt, noch immer jede neue Kostensteigerung akzeptiert. Grummelnd zwar und unter Berufung auf immer neue Obergrenzen, die schon bald Makulatur waren. Doch waren weder Johanna Wanka (2013 bis 2018) noch Anja Karliczek (2018 bis 2021) bereit oder in der Lage, ernsthafte Konsequenzen zu ziehen. Sie schickten ihre Beamten zu Nachforschungen nach Darmstadt und reichten das Problem FAIR dann doch wie eine heiße Kartoffel an ihre jeweilige Nachfolgerin weiter.

 

Zum wiederholten Male haben die im sogenannten FAIR-Council organisierten Projektpartner jetzt eine externe Kommission mit der Durchleuchtung von FAIR beauftragt. Zum wiederholten Male wird sie geleitet von Rolf-Dieter Heuer, der von 2009 bis 2015 Generaldirektor des CERN war, dem weltweit größten Forschungszentrum für Teilchenphysik in der Nähe von Genf. "Dabei soll die Frage geklärt werden, welche wissenschaftlich sinnvollen Zwischen-Ausbaustufen vor dem Hintergrund der bereits investierten Mittel kurzfristig realisiert werden können. Ziel ist, trotz der globalen externen Risiken, kurzfristig mit dem Start exzellenter wissenschaftlicher Experimente beginnen zu können", teilt das BMBF mit. Was auch immer fast 20 Jahre nach dem FAIR-Initialbeschluss "kurzfristig" heißt.

 

Was macht Forschungsministerin
Bettina Stark-Watzinger?

 

Schon das erste Gutachten unter Heuers Leitung fiel Anfang 2015 so vernichtend aus, dass die damaligen Geschäftsführer gehen mussten. Auch legte die Kommission damals laut Süddeutscher Zeitung nahe, die Anlage um wesentliche Teile zu verkleinern. Letzteres sei jedoch für die Partnerländer inakzeptabel gewesen. Dafür, so versprach die FAIR-Geschäftsführung, würden künftig Kontrollmechanismen weitere Fehlentwicklungen bei der weiteren Umsetzung von FAIR verhindern. Und eine "kritische Kostenanalyse" sollte weitere Mehrkosten ersparen. 

 

Immerhin befand die Heuer-Kommission damals bei aller Kritik an Projektorganisation und Management, dass FAIR wissenschaftlich sehr gut zu bewerten sei, der sogenannte "Science Case" also weiter gegeben gewesen sei. 

 

Das sei auch 2019 noch so gewesen, bei der letzten durch ein international besetztes Expertengremium durchgeführten Begutachtung, betont Ministerin Stark-Watzinger als Antwort auf die Frage, ob durch die veränderte politische Situation mit Russland und angesichts der weiteren Kostensteigerungen jetzt nicht der Zeitpunkt sei, das Projekt FAIR zu beenden. Der damalige Review-Prozess habe "eindeutig die wissenschaftliche Einmaligkeit und Bedeutung der mit FAIR möglichen Forschung betont, die auch bei verspäteter Fertigstellung erhalten bleibt".

 

Aber was heißt das für die Zukunft? Stark-Watzinger gibt sich entschlossen: "Das BMBF wird Investitionen in weitere Ausbaustufen des FAIR-Projektes nur unterstützen, wenn durch das aktuelle Review eindeutig bestätigt wird, dass damit weiterhin weltweit einzigartige, relevante und exzellente Experimente durchgeführt werden können." Eine Entscheidung über die Zukunft von werde "im Lichte der Ergebnisse" des neuerlichen Reviews und im Dialog mit den internationalen Partnern getroffen werden. Eine Überlebensgarantie klingt anders.

 

Der erste Entwurf des Gutachtens sollte dem FAIR-Council schon vergangene Woche vorgelegt werden. Im Anschluss geht der Bericht an die internationalen Gesellschafter. Die sollen im Dezember beschließen, wie es weitergeht: Das Zauberwort heißt "Modularisierung", eine Aufteilung des Vorhabens in noch zu realisierende Teile und deren Reihenfolge. Daraufhin soll es "im Laufe des Jahres 2023 die neuen Schätzungen für die Investitions- und Betriebskosten" geben, sagt das BMBF. Das klingt eher nach dem Versuch, von dem Projekt und dem bereits geflossenen Geld zu retten, was noch zu retten ist. 

 

Was FAIR mehr kostet, werden andere
Forschungsfelder weniger haben

 

Derweil fragen sich Forscher gerade in der Helmholtz-Gemeinschaft, ob die Misere nicht längst viel zu groß ist, um die Konsequenzen noch vorrangig von der fachlichen Begutachtung durch andere Physiker abhängig zu machen. "Gibt es überhaupt eine Kostengrenze, bei der eine verantwortliche Bundesregierung bereit ist, die Reißleine zu ziehen?", fragt ein einflussreicher Helmholtz-Forscher aus einem anderen Forschungsfeld. "Oder kann die Großphysik mal wieder damit rechnen, angesichts der bereits investierten Summe too bis to fail zu sein? Kann sie einmal mehr auf die Konfrontationsscheu der aktuell verantwortlichen Bundesforschungsministerin vertrauen, der diesmal als vermeintliche Lösung die Modularisierung präsentiert wird?" 

 

Klar ist: Was FAIR mehr kostet, werden andere weniger haben. Gerade die übrigen 18 Mitglieder von Deutschlands größer Forschungsorganisation fürchten, als Helmholtz-Zentren angesichts für die schon jetzt enormen und noch dazu unkalkulierbaren Betriebskosten in Mithaftung genommen zu werden. Und wenn nicht die Helmholtz-Gemeinschaft blutet, dann dürften das andere Posten im Haushalt eines Bundesforschungsministeriums, das zuletzt ohnehin schon wegen seiner Kürzungspläne in der Kritik stand. 

 

Ein besonderes Interesse daran, dass FAIR nicht eingemottet wird, hat naturgemäß das Sitzland Hessen. Dessen Wissenschaftsministerin Angelika Dorn (Grüne) sagt auf Anfrage, mit der erneuten Evaluation "wollen wir eine fundierte Grundlage für die derzeitige herausfordernde Situation schaffen. Wir versprechen uns von den Ergebnissen des Reviews Vorschläge für eine herausragende, wissenschaftlich konkurrenzfähige wie, unter den gegebenen Umständen, realisierbare Anlage." Doch was sind die gegebenen Umstände? Und was rechtfertigen sie noch?

 

Schon Ende Oktober wollen die Gesellschafter laut BMBF in einer außerordentlichen Sitzung beschließen, ob der Bericht der Heuer-Kommission "ganz oder teilweise veröffentlicht wird". Als gäbe es zur totalen Transparenz noch eine Alternative. 


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Kommentare: 4
  • #1

    René Krempkow (Donnerstag, 13 Oktober 2022 11:14)

    Na prima! ;-) - Und Forschung zu solchen für die zukünftige Entwicklung Deutschalnd offenbar vom BMBF als unwichtig erachteten Themen wie: Rechtsextremismus und Rassismus; Gesellschaftliche Auswirkungen der Corona-Pandemie; BioTip - Kipppunkte, Dynamik und Wechselwirkungen von sozialen und ökologischen Systemen usw. wurden wg. eines um etliche Größenordnungen kleineren Einparungsbetrages willen gekürzt bzw. nicht weiter gefördert (siehe dazu auch Gastbeitrag im Wiarda-Blog vom Folgetag 12.10.2022, bzw. zuletzt davor zu diesem Thema vom 26.08.2022, in: https://www.jmwiarda.de/2022/08/26/h%C3%A4ngepartie-bis-2023/).

    Aber es gibt ja immerhin noch die Chance, dass sich die künftigen Prioritäten des BMBF sich nicht (mehr) v.a. an too-big-to-fail-Überlegungen orientieren...

  • #2

    Forschungsreferent (Freitag, 14 Oktober 2022 17:51)

    Ich sage nur: Sunk costs! Und im Alltag streite ich mich mit Projektträgern des BMBF/Bundes darüber, ob der Arbeitgeber-Anteil nun 1,3 oder 1,285 des Arbeitnehmer-Brutto sein darf. Da zählen wir dann zeitaufwändig Erbsen und sparen nach Tagen der Abstimmung (und Arbeitskosten) einen kleinen Betrag bei der Bewilligung. Da werfen wir dann so richtig Energie rein. Es ist zum Verzweifeln! Wo ist der Reset-Knopf?

  • #3

    Good Laugh (Freitag, 04 November 2022 08:17)

    Laien- und stümperhaft. Sehr amüsant zu lesen, danke!

  • #4

    Erwin Müller (Mittwoch, 01 März 2023)

    Wenn man bedenkt, dass das ursprünglich vom Wissenschaftsrat empfohlene Projekt von einer Gesamtsumme von 675 Mio. € ausging .....