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Politische Spielchen, klassische Bedenken und die nackte Not

Anja Karliczek und ihre Länderkollegen streiten immer noch um die Corona-Nothilfe für Studierende. Den Betroffenen geht währenddessen die Zeit aus.

Foto: pxhere.

BUND UND LÄNDER liefern sich seit Tagen einen zum großen Teil öffentlich ausgetragenen Schlagabtausch über die Nothilfe für Studierende, die durch Corona in finanzielle Schieflage geraten sind. Weil sie ihre Nebenjobs zum Beispiel in Kneipen, Läden oder Kinos von einem Tag auf den anderen verloren haben. Weil ihre Eltern auf Kurzarbeit sind und ihnen nicht mehr so viel zahlen können wie bisher. Die Finanznot hat viele Ursachen und trifft in besonderem Maße internationale Studierende, die Deutschlands soziales Netz kaum auffängt und deren Heimatländer oftmals noch viel schlimmer mit Corona zu kämpfen haben als die Bundesrepublik.

 

Über die Notlage an sich ist sich Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) mit ihren 16 Länderkollegen einig – auch in der Frage, dass man dringend etwas tun muss. Warum dann dauert das so lange? Oberflächlich betrachtet geht es um den Streit, wer das Hilfsprogramm administrieren kann: die Darlehenskassen oder die BAföG-Ämter der Studiendenwerke oder doch eher die öffentliche KfW-Bankengruppe? Es geht auch um die Frage, ob die Nothilfe nur ein zinsloses Darlehen umfassen sollte oder, was die Länder und Studierendenverbände fordern, mindestens teilweise (oder ausschließlich) einen Zuschuss, der nicht zurückgezahlt werden muss.

 

Karliczek lehnt einen Zuschuss bislang kategorisch ab. Aus ihrem Ministerium ist zu hören, ein Zuschuss würde Studierende gegenüber Hartz-IV-Beziehern ungerechtfertigt bevorteilen, weil für letztere auch nur eine Darlehensmöglichkeit zur Verfügung stehe. Vielleicht ist das ja der eigentliche Kern des Konflikts: Fürchtet die Ministerin öffentliche Kritik nach dem Motto: Den Studierenden geht’s ohnehin viel zu gut, jetzt bekommen sie auch noch Geld hinterhergeworfen? Einige ihrer Länderkollegen zumindest vermuten genau das: Schließlich habe die Ministerin schon bei so vielen Gelegenheiten als ihre eigentliche Sorge durchblicken lassen, dass die berufliche Ausbildung und die Auszubildenden im Vergleich zu akademischen Bildungswegen zu kurz kommen könnten.

 

Womöglich ist eine solche Interpretation etwas eindimensional, zumal die Vermutung, ein reiner Zuschuss könnte trotz Bedürftigkeitsprüfungen auch zu Mitnahmeeffekten führen, angesichts zunehmender Berichte über Betrugsfälle bei den Kleinstunternehmer-Soforthilfen in Berlin oder NRW tatsächlich nicht ganz von der Hand zu weisen ist.

 

Doch das umgekehrte Risiko ist viel größer: dass ausgerechnet die bedürftigsten Studierenden aus der Angst, sich zusätzlich zu verschulden, auf die dringend benötigte Hilfe verzichten. Der Vorschlag der Länder, deshalb Darlehen und Zuschuss zu kombinieren, scheint hier auch eine kluge Abwägung der verschiedenen Risiken zu sein.

 

Bei allem Verständnis für die üblichen politischen Spielchen zwischen Bund und Ländern, für berechtigte oder weniger berechtigte Bedenken: Den betroffenen Studierenden geht die Zeit aus. Und das Geld.

 

Dieser Kommentar erschien zuerst im Newsletter ZEITWissen3.



Nachtrag am 21. April:

 

Während Bund und Länder streiten, legen weitere Landeswissenschaftsministerien eigene Soforthilfe-Programme für Studierende auf. Brandenburgs Ressortchefin Manja Schüle (SPD) teilte mit, Antragsteller könnten als Überbrückungsmaßnahme kurzfristig monatliche Darlehen von 500 Euro für maximal zwei Monate erhalten. Dafür stünden 25 Millionen Euro bereit. Die Administration des Programms übernähmen die beiden Brandenburger Studentenwerke. Um eine schnelle Auszahlung zu garantieren, werde die Bedürftigkeit der Studierenden lediglich anhand weniger Kriterien geprüft. Schüle sagte, es sei "enttäuschend", dass die Verhandlungen mit dem Bund bislang nicht zum Erfolg geführt hätten. "Ich appelliere an den Bund, seiner Verantwortung im Rahmen des BAföG gerecht zu werden und endlich gute Lösungen im Sinne der Studierenden auf den Tisch zu legen."

 

Brandenburger Studierendenvertreter sprachen von einem "Schritt in die richtige Richtung". Eine nicht zurückzuzahlende Soforthilfe sei aber weiterhin bedarfsgerechter.

 

Auch die Bundes-SPD erhöhte Anfang der Woche den Druck auf Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU).  Die Sozialdemokraten seien "erstaunt" darüber, mit welchem "Beharrungsvermögen" Bundesbildungsministerin Anja Karliczek sich dagegen stemme, Studenten "wirkliche und unbürokratische Hilfen zu gewähren", sagte SPD-Vizefraktionschefin Bärbel Bas dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der bildungs- und forschungspolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion, Oliver Kaczmarek, wiederholte seine Forderung, das BAföG für die Zeit der Corona-Krise für in Not geratene Studierende zu öffnen. Die Botschaft an Karliczek, die vor dem Wochenende die dafür nötige Gesetzesänderung als zu langwierig abgelehnt hatte, war offensichtlich: Die SPD-Fraktion als GroKo-Koalitionspartner wäre für das nötige Tempo zu haben.

 

Bildungsexperten rechnen derweil noch diese Woche mit einer Richtungsentscheidung, wie und wann es mit den Nothilfen weitergeht: ob die von Karliczek angestrebte reine Darlehenslösung per KfW-Bankengruppe kommt – oder ob doch auf die BAFöG-Ämter zurückgegriffen wird, wie auch die Länder fordern. Auch Koalitionsausschuss und Bundestag werden sich mit dem Thema beschäftigen – und auch mit der Frage, ob dann eventuell doch noch analog zur Ausbildungsförderung eine Mischung aus Darlehen und nicht rückzahlbaren Zuschuss kommt.

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