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Was heißt hier "kurzfristig"?

100 Millionen Euro Soforthilfe aus dem Digitalpakt haben Bund und Länder den Schulen versprochen – wie genau ist damit den Schulen geholfen, und was heißt sofort?

Foto: pixabay.

DAS WORT HAT in der Coronakrise einen guten Klang: Sofortprogramm. Vor einem guten Monat verkündeten Bund und Länder ein weiteres davon: 100 Millionen Euro sollten als "kurzfristige Hilfen" aus dem insgesamt 5,5 Milliarden Euro schweren Digitalpakt in den "schnellen" Auf- und Ausbau von Online-Plattformen gehen, um den digitalen Unterricht in Zeiten von Schulschließungen zu erleichtern.

 

Die exzessive Verwendung von Adjektiven wie "kurzfristig", "rasch" oder "schnell" hat damit zu tun, dass beim Digitalpakt ansonsten kaum etwas schnell geht. 2016 den Ländern erstmals angeboten, flossen nach langem föderalen Hin und Her im Herbst 2019 die ersten Gelder – zunächst tröpfchenweise. Ein halbes Jahr später sind immer noch nur etwa 150 Millionen Euro (2,7 Prozent der Gesamtsumme) bewilligt – wieviel davon in den Ländern tatsächlich bereits ausgegeben, investiert, verbaut wurde, lässt sich durch die Summe der Zuwendungen noch nicht sagen. 

 

Was vor Corona nur politisch ein Unding war, ist seit der Pandemie bildungspolitisch kaum mehr zu erklären, geschweige denn zu verantworten. Deshalb hatten Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) und KMK-Präsdentin Stefanie Hubig (SPD) ja so einen Druck, sich auf die "kurzfristigen Hilfen" zu einigen – was nebenbei ihrem öffentlichen Eingeständnis gleichkommt, dass der Digitalpakt auch ihrer Meinung zufolge allzu schwerfällig geraten ist. Dabei hatte Karliczek auch, als die Bund-Länder-Vereinbarung im März 2019 endlich unter Dach und Fach war, bei jeder Gelegenheit gesagt, dass es jetzt "rasch" gehen müsse mit seiner Umsetzung.

 

Neben dem Tempo hatte die 100-Millionen-Soforthilfe vom 19. März eine zweite Besonderheit: Nicht nur Infrastruktur kann damit finanziert werden, sondern auch – bis Ende 2020 befristet – die Anschaffung von Bildungsinhalten. Vor allem die Finanzierung von Lizenzen privatwirtschaftlicher Anbieter und Online-Plattformen, aber auch die Entwicklung neuer digitaler Lernmaterialien konnten bislang nicht mit Mitteln aus dem Digitalpakt abgedeckt werden.

 

Die FDP wollte es per schriftlicher
Anfrage genauer wissen 

 

Aber was genau lässt sich jetzt mit den 100 Millionen machen, und inwiefern bedeuten sie wirklich eine Erleichterung in der Coronakrise? Ende März teilte das BMBF dazu mit, "letzte Details" müssten noch geklärt werden. Vergangenes Wochenende dann nannte Karliczek als ein erstes konkretes Beispiel das länderübergreifende Medienportal "Sodix". Die Länder, sagte die Ministerin der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS), hätten "nach unserer Zusage rasch ein länderübergreifendes Projekt zur Entwicklung und Inbetriebnahme eines gemeinsamen Sofortportals für frei zugängliche Bildungsmedien sowie zum weiteren Ausbau einer technischen Plattform der zukünftigen ländergemeinsamen Bildungsmedieninfrastruktur entwickelt" – Sodix. Damit werde "rasch" ein länderübergreifendes Medienportal auf- und ausgebaut, das sowohl von Lehrern als auch Eltern und Schülern genutzt werden könne.

 

Doch die FDP wollte noch genauer wissen, was mit den 100 Millionen geht und was nicht– per schriftlicher Anfrage an die Bundesregierung. Deren Antwort liegt jetzt vor. Der parlamentarische Staatssekretär im BMBF, Thomas Rachel (CDU), verweist gegenüber der stellvertretenden FDP-Fraktionsvorsitzenden Katja Suding auf die Bund-Länder-Verwaltungsvereinbarung zum Digitalpakt, deren Logik ja auch bei der Soforthilfe gilt – was die Frage nach dem Tempogewinn doch recht deutlich aufwirft. Wieviel von den 100 Millionen "sofort" – innerhalb der ersten vier Wochen ausgegeben wurden, – konnte die Bundesregierung nicht beantworten – über den Mittelabfluss beim Digitalpakt werde nur zweimal im Jahr, zum 15. Februar und zum 15. August, an den Bundestags-Haushaltsausschuss berichtet.

 

Die neuen Möglichkeiten, mit den "kurzfristigen Hilfen" Bildungsinhalte anzuschaffen, sind zudem stark begrenzt, wie Rachel ausführt: "Die Bildungsinhalte sind als unmittelbar verbundene, befristete Ausgaben im Zusammenhang mit Investitionen der Länder und Kommunen zu sehen." Sie seien daher nur förderfähig, "wenn diese auf über den DigitalPakt geförderten Infrastrukturen laufen und somit eine unmittelbare Verbundenheit zu diesen Investitionen besteht." Ein reiner Lizenzerwerb auf Schulebene "ohne Verbindung zu einer geförderten Landesinfrastruktur" sei nicht förderfähig. Erklären diese Einschränkungen, warum Karliczek beim Ausbau der staatlich geförderten HPI-Schul-Cloud so pusht – zur Empörung der HPI-Konkurrenten?

 

Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Suding sagt: "Das, was Bund und Länder Öffnung des Digitalpakts nennen, ist Augenwischerei. Wenn mit den 100 Millionen Euro nur digitale Lernmittel angeschafft werden können, die auf durch den Digitalpakt geförderter Infrastruktur laufen, sind wir nicht einen einzigen Tag schneller. Das ist keine Soforthilfe." Denn die Infrastruktur aus Plattformen und Geräten fehle ja nach wie vor. 

 

Nach dem "mühsamen Ringen um den Digitalpakt und den viel zu komplizierten Antragsverfahren", warnt Suding, bestehe nun die Gefahr, dass die "Scheinöffnung" das Vertrauen in die Bundes- und Landesregierungen erschüttern werde, dass sie die Digitalisierung an den Schulen tatsächlich voranbringen wollten. "Das ist desaströs, nicht nur in der Krise, sondern auch darüber hinaus." Es seien unkomplizierte Verfahren nötig, um die Digitalpakt-Gelder für digitale Lernmittel zu nutzen, die sofort an den Schulen eingesetzt werden können. Wann? Natürlich benutzt auch Suding das arg strapazierte Digitalpakt-Zauberwort: "Rasch". 



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Kommentare: 2
  • #1

    Kay Gollhardt (Medienanbieter Filmsortiment.de) (Samstag, 02 Mai 2020 14:23)

    In der Hoffnung, dass hier auch Entscheidungsträger mitlesen:

    Die Politik erkennt momentan nicht wie die Soforthilfe aussehen müsste, die dieses Land jetzt braucht. OER/Sodix ist "nice to have" aber mehr auch nicht. Freie Bildungsmedien klingt ganz toll, aber niemand evaluiert Umfang und Qualität. Meiner Meinung nach ein Hype, der nach hinten losgeht (weil das Potenzial überschätzt wird), wenn man nicht parallel die vorhandenen Kaufmedien der privatwirtschaftlichen Anbieter fördert.
    Bei den Kaufmedien ist es so: 20.000 digitale Kauf-Medien hostet die Firma Antares (Kiel). Diese digitalen Bildungsmedien können die Länder sofort allen Lehrern und Schülern im ganzen bundesgebiet lizenzieren! Man kann mit diesen Qualitätsmedien sämtliche Lehrpläne abdecken. Bisher liegen die Medien nur apothekenartig lizenziert hier und da als kommunale Lizenzen vor. Es gibt viel zu wenig Landeslizenzen von diesen Medien. Der Grund hierfür ist, dass die Länder in der Vergangenheit kaum gewillt waren Landeslizenzen im notwendigen Umfang zu erwerben um dadurch Bildungsgerechtigkeit/Mediengerechtigkeit herzustellen. In Deutschland müssen Kommunen die digitalen Bildungsmedien erwerben und die Etats sind über Jahre knapp gewesen und viele Kommunen sind klamm.
    Wenn nun die Förderung dieser Inhalte (Landeslizenzen) an der Technik scheitert, dann fördert um Himmels willen den Ausbau der Server von Antares. Wer ein bisschen googelt wird sehen, dass sämtliche staatliche Bildungsserver in die Knie gegangen sind, als plötzlich alle Schüler/Lehrer die staatlichen Plattformen nutzen wollten (z.B. Mebis). Der Playout dieser Medien ist ein essentieller Hintergrunddienst, den der Digitalpakt jetzt finanzieren muss. Wenn nach den Sommerferien diese Qualitätsmedien nicht den Lehrern und Schülern in der Breite zur Verfügung steht, hat das BMBF, und die KMK in meinen Augen Ihren Job verfehlt. Es ist noch genug Zeit jetzt die Weichen zu stellen um diese Medien zu lizenzieren.

  • #2

    Kay Gollhardt (Samstag, 02 Mai 2020 14:26)

    Nachtrag:
    Wer sich selbst ein Bild von der Fülle der Medien machen will, schaut hier: https://views.edupool.de/

    Es handelt sich um das Sichtunsgportale der staatlichen Medienzentren.