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Wenn Gleichbehandlung Ungleichheit schafft

Seit langem ist es ein prägendes Prinzip im Bildungssystem: Wer hat, der bekommt immer mehr. In der Coronakrise galt das auch für Luftfilter, Lehrerlaptops und digitale Lernplattformen, zeigt eine repräsentative Umfrage unter Lehrkräften. Kann eine Ampel-Koalition endlich für mehr Gerechtigkeit sorgen?

Bild: Bruno Germany / Pixabay.

ES SIND ERGEBNISSE, die niemanden überraschen sollten. Eine repräsentative Umfrage unter Lehrern zeigt, dass Schülerinnen und Schüler aus ärmeren Gegenden nicht nur mit größeren Lernlücken und psychosozialen Problemen aus den Schulschließungen gekommen sind. Sondern dass ihre Schulen gleichzeitig deutlich schlechter ausgestattet sind, um mit der nächsten Corona-Welle umgehen zu können.

 

Rund 1000 Lehrkräfte hat das Meinungsinstitut Forsa befragt, die Zahlen wurden gestern als "Schulbarometer Spezial" auf dem Deutschen Schulportal veröffentlicht. Unter anderem diese hier: 17 Prozent der Unterrichtsräume sind mit Luftfiltergeräten ausgestattet an Schulen, wo weniger als ein Viertel der Familien auf Sozialtransfers angewiesen ist. An Schulen mit einer höheren Quote von Transferempfängern sind es nur zwischen sieben und 12 Prozent der Räume. 

 

Wo die Eltern am ärmsten sind, haben nur 59 Prozent der Schulen ein verbindliches Konzept für möglichen Fern- oder Hybridunterricht, an den besser situierten Schulen sind es 70 Prozent. Brennpunktschulen haben auch deutlich seltener digitale Lernplattformen, weniger Laptops für die Lehrkräfte und weniger oft ausreichend starke Internetverbindungen. Wo die meisten Eltern staatliche Unterstützung erhalten, haben nur 49 Prozent der Schulen die technische Möglichkeit, Videounterricht durchzuführen. Wo es den Eltern finanziell am besten geht, sind es 65 Prozent.

 

Und so geht es weiter. Man darf aus den Ergebnissen nicht den Umkehrschluss ziehen, dass an Schulen in wohlhabenderen Stadtteilen und Regionen alles super ist, auch dort sind die Ausstattungsmängel, wie sie von den Lehrkräften berichtet werden, teilweise eklatant.

 

Nur neun Prozent der Lehrer sehen ihre Schulen
diesmal "sehr gut" auf Fernunterricht vorbereitet

 

So sehen heute nur neun Prozent aller Lehrkräfte ihre Schulen technisch und von der Ausstattung mit digitalen Medien "sehr gut" auf möglichen Fernunterricht vorbereitet – gegenüber sechs Prozent im April 2020. Und immer noch 47 Prozent sagen, ihre Schulen seien "weniger gut" oder "schlecht" vorbereitet – gegenüber 66 Prozent vor anderthalb Jahren.

 

Nur: Es gibt Schulen in Kommunen, die es sich leisten können, ein bisschen mehr draufzulegen. Wo die Eltern im Zweifel über den Förderverein selbst dringend nötige Geräte organisieren oder, insofern ihnen das erlaubt wird, auf eigene Rechnung Luftfilter anschaffen. Um den Sinn oder Unsinn einer solchen Anschaffung geht es hier nicht. Es geht darum, dass die einen Schulen mehr Möglichkeiten haben als die anderen. Obwohl letztere meist viele der Schüler besuchen, die besonders auf Unterstützung angewiesen wären.

 

Wo mehr als die Hälfte der Familien staatliche Hilfen brauchen, berichten 35 Prozent der Lehrer, dass deutlich weniger Schüler im vergangenen Schuljahr die Lernziele erreicht hätten – im Vergleich zu 19 Prozent an den Schulen mit weniger als 25 Prozent Sozialtransfer-Anteil. Und gefragt, wie groß der Anteil ihrer Schüler ist, die deutliche Lernrückstände aufweisen, antworten in ärmeren Gegenden weniger als ein Drittel der Lehrer: weniger als 30 Prozent. In reicheren Gegenden sagen das aber zwei Drittel.

 

Schluss mit dem
Gießkannenprinzip

 

Die Ampel-Verhandlungsführer haben angekündigt, Kitas und Schulen auch bei hohen Inzidenzen nicht mehr schließen zu wollen. Sie sollten dabei bleiben, selbst wenn aus dem bürgerlichen Lager die Widerstände dagegen wachsen. Denn diejenigen, die dann protestieren, haben ihre Kinder oft auf Schulen, die erneut besser auf Fernunterricht vorbereitet sind.

 

Außerdem haben SPD, Grüne und FDP versprochen, dass der Bund Schulen künftig dauerhaft fördern wird. Sie wollen den Digitalpakt auf Dauer stellen und endlich Schluss machen mit dem Gießkannenprinzip. Soll heißen: Schulen in benachteiligten Vierteln und Regionen sollen besonders unterstützt werden. Es wäre die Anerkenntnis, dass vor allem die vermeintliche Gleichbehandlung aller Schulen dazu führt, dass ihre Ungleichheit perpetuiert wird.

 

Wer die von der Robert-Bosch-Stiftung in Auftrag gegebene Umfrage liest, der weiß: Für viele Kinder kommt das zu spät. Und gleichzeitig gibt es bildungspolitisch kaum eine wichtigere Zukunftsaufgabe.

 

Eine kürzere Fassung dieses Artikels erschien zuerst in meinem Newsletter vom 27. Oktober 2021.



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