· 

Sachsen muss sich entscheiden

Wissenschaft ohne Weltoffenheit ist unmöglich. International erfolgreiche Forschung wollen und gleichzeitig Menschenfeindlichkeit als "Verkürzung" verharmlosen geht daher nicht zusammen.

Stadtpanorama von Bautzen. Foto: Stephan M. Höhne, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons.

DIE WAHRHEIT IST: Sachsen ist ein weltoffenes Land. Die Wirtschaft des Freistaats lebt von ihrer Exportstärke, seine Städte sind bekannt für ihre Kunst- und Kulturszene, Sachsens Hochschulen haben nach Berlin den bundesweit höchsten Anteil internationaler Studierender. Im Sommer hat die Staatsregierung einen neuen "Maßnahmenplan zur Gewinnung internationaler Fach- und Arbeitskräfte" verabschiedet, und Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), ein früherer Bundestags-Wissenschaftspolitiker, feierte, dass zwei Großforschungszentren mit internationaler Ausstrahlung ins Land kommen.

 

Die Wahrheit ist auch: Sachsen hat ein Problem mit Menschenfeindlichkeit. Damit meine ich nicht Gewalttaten, die hier wie überall schnell verurteilt werden. Ich meine die kleinen Gesten, die nicht nur halblauten Bemerkungen des Alltags, gerichtet gegen Männer, Frauen und Kinder, die anders aussehen, sprechen oder leben, als die selbst ernannten Normalbürger es für richtig halten. Das Problem wird umso größer, wenn jene, die es haben, es gar nicht als solches erkennen können oder wollen. 

 

So wie der Bautzener CDU-Landrat Udo Witschas, der "absichtlich vor dem Weihnachtsfeste" beruhigen wollte: Man werde den Schul- und Freizeitsport nicht "für diese Asylpolitik bluten lassen". Keine Flüchtlinge in Turnhallen und auch nicht in freie Wohnungen in Mehrfamilienhäusern, denn sonst würde man "die Gefährdung des sozialen Friedens in Kauf nehmen". 

 

Andere erkannten die Witschas Video-Äußerung sehr wohl als das, was sie war. "Verheerend", sagte ein Bautzener Pfarrer. Vize-Regierungschef Martin Dulig (SPD) sprach von einer "als Weihnachtsansprache getarnten Hassrede", auch der Generalsekretär der Bundes-CDU, Mario Czaja, distanzierte sich "mit Nachdruck".

 

Ministerpräsident Kretschmer dagegen sagte, es sei "ganz offensichtlich, dass es eine Verkürzung gibt", das Video sei "völlig aus dem Zusammenhang gerissen". Als gäbe es einen Zusammenhang, der es weniger menschenfeindlich machte. 

 

Wem der Imperativ der
Menschlichkeit nicht reicht

 

Übrigens hatte Witschas nur wenige Tage vor seinem Statement einen Vorstoß der AfD im Bautzener Kreistag unterstützt. Gegenstand des dank 20 CDU-Stimmen erfolgreichen Antrags: die Streichung von Integrationsleistungen für abgelehnte Asylbewerber. Nachrichten wie diese sind es, die früher oder später im Rest der Welt ankommen und das Bild des Freistaats prägen.

 

Die Wahrheit ist indes: Die Mehrheit der Menschen in Sachsen denkt so gar nicht. Die Wahrheit ist aber auch: Das Bundesland, in der die AfD mehr Stimmen bekommt als alle Ampel-Parteien zusammen, wird sich irgendwann entscheiden müssen. Und Kretschmer, der sich so sehr für eine florierende Wissenschaft einsetzt, der so stolz ist auf Ostdeutschland einzige Exzellenzuniversität – in Dresden – ebenfalls. Weltoffenheit und Appeasement gegenüber Menschenfeinden gehen auf Dauer nicht zusammen. Weder in Sachsen noch anderswo. 

 

Und wem der Imperativ der Menschlichkeit nicht reicht: Eine aktiv verteidigte Willkommenskultur ist übrigens auch die beste, nein die einzig wirkliche Strategie zur Gewinnung internationaler Fach-und Arbeitskräfte. 

 

Dieser Kommentar erschien heute zuerst in gekürzter Fassung in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.


In eigener Sache

2023 muss die Finanzierung des Blogs endlich nachhaltig werden. Dafür brauche ich Ihre Hilfe.

 

Mehr lesen...


></body></html>

Kommentar schreiben

Kommentare: 3
  • #1

    Jan-Martin Wiarda (Montag, 02 Januar 2023 08:04)

    Liebe Leserinnen und Leser, kommentieren Sie sehr gern diesen Beitrag. Allerdings werde nur Kommentare mit nachvollziehbarem Klarnamen online stellen.

    Vielen Dank und viele Grüße
    Ihr Jan-Martin Wiarda

  • #2

    Ulrich Ingenlath (Montag, 02 Januar 2023 20:11)

    Sehr geehrter Herr Wizarda.

    Natürlich skizzieren Sie die hiesigen Verhältnisse korrekt. Vollgestopft mit Fördermitteln, seit Jahrzehnten machtpolitische Selbstverliebtheit und politische Korrumpiertheit der (zutiefst unchristlichen - sic!) sächsischen Union und ein charakterlich überforderter MP (groß geworden unter den MP Biedenkopf/Milbradt/Tillich), welcher die wichtigen Politikbereiche (Inneres / Bildung) nicht in den Griff bekommt - sich aber mit Verve immer wieder einem Kriegsverbrecher/ Kriminellen an den Hals wirft (Gemeint ist der Ex-KGB und FSB-Mann PUTIN). Meiner Auffassung nach handelt es sich bei Selbigem um einen ganz gewöhnlichen Schwerkriminellen, der in Sachsen allerdings bis heute politisch hoffiert wird.
    Die Sächsische Union ist in großen Teilen chauvinistisch, Frauen- und Migrantenfeindlich. Aus ihrem Schoß ist die AFD geschlüpft ... und seit Jahren hechelt die Sächsische Union diesem rechten Gedankengut hinterher, nur um die Macht nach 32 Jahren nicht zu verlieren.
    Eine "Willkommenskultur" werden Sie unter den hiesigen Verhältnissen nicht finden.
    Ich lebe seit drei Jahrzehnten im "Land von Welt".

  • #3

    Harald Töpfer (Mittwoch, 04 Januar 2023 09:27)

    Tja, dumm nur, dass Forderungen nach einem Entweder-oder in der Realität meist nicht umzusetzen sind. Es wird wohl auch in Zukunft bei einem Sowohl-als-auch bleiben. Ich wohne ebenfalls hier und hadere mit der Mentalität. Dem Wissenschafts- und Forschungsstandort hat die jedoch keinen Abbruch getan.
    Und ach ja, Herr Ingenrath, parteipolitisch geprägte Analysen helfen auch nicht immer weiter.