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Trennung nach 69 Jahren

Das Bundeswirtschaftsministerium macht ernst – und entzieht der AiF die Administration der Industrielle Gemeinschaftsforschung. Was bedeutet das für das traditionsreiche Förderprogramm – und was für die in der AiF organisierten Forschungsvereinigungen?

Foto: Screenshot von der AiF-Website.

ES IST ein förderpolitischer Paukenschlag, wenn auch kein ganz unerwarteter: Die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen (AiF) verliert nach 69 Jahren die administrative Zuständigkeit für die "Industrielle Gemeinschaftsforschung" (IGF), eines der wichtigsten Programme zur Forschungsförderung im deutschen Mittelstand. Dieses Jahr umfasst der IGF-Titel im Bundeshaushalt rund 197 Millionen Euro.

 

AiF-Hauptgeschäftsführer Michael-Bruno Klein schrieb vor dem Wochenende eine Mail an die 101 AiF-Forschungsvereinigungen und rund 250 Gutachter: "Heute teilte uns das BMWK mit, dass man unser Angebot zur Übernahme der Projektträgerschaft des IGF-Programms leider nicht annehmen wird und man beabsichtigt, dem DLR Projektträger den Zuschlag zu erteilen", laut Klein "eine schlechte und traurige Nachricht für die AiF und für die industrielle Gemeinschaftsforschung".

 

Für die AiF ist es das auf jeden Fall, waren AiF und IGF für viele in der Forschungsszene doch über Jahrzehnte so eng miteinander verwoben, dass sie fast Synonyme zu sein schienen. Rund 50 der 65 Mitarbeiter des AiF e.V. werden aktuell für die Umsetzung und Begleitung der IGF eingesetzt; sie alle werden, wie Klein auf Anfrage bestätigte, jetzt ihr Jobs verlieren. 

 

Der neue Projektträger soll
schon am 1. September einsteigen

 

Und das offenbar sehr schnell: Der DLR-Projektträger soll die IGF-Projektträgerschaft bereits zum 1. September übernehmen, die Phase des Übergangs und der Übergabe von AiF auf IGF soll dann bis Ende des Jahres abgeschlossen sein. 


Das BMWK, das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, das für die IGF-Finanzierung zuständig ist, übermittelt, es könne aus rechtlichen Gründen "zum jetzigen Zeitpunkt" keine Auskunft geben. "Es handelt sich um ein laufendes Vergabeverfahren, das noch nicht abgeschlossen ist", sagt BMWK-Pressesprecherin Luisa-Maria Spoo. Fast gleichlautend die Antwort des DLR-Projektträgers: "Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich die Information leider nicht kommentieren", teilt Stefanie Huland von der DLR-Unternehmenskommunikation mit. "Sobald wir eine klare Aussage haben, melde ich mich bei Ihnen."

 

Dass das BMWK eine tiefgreifende Veränderung bei der IGF wollte, hatte sich freilich seit längerem abgezeichnet. So hatte das Ministerium Ende Juni 2022 den seit 1996 laufenden Vertrag mit der AiF zur Durchführung der IGF gekündigt und mitgeteilt, dass man die Umsetzung der IGF europaweit ausschreiben werde. Europaweit. Anna Christmann, BMWK-Beauftragte für die digitale Wirtschaft und Start-ups, verwies hier im Blog auf die "europarechtliche Vorgabe, die IGF ordentlich auszuschreiben". Die AiF könne sich an der Ausschreibung genau wie andere Projektträger beteiligen. Und unabhängig, wie es mit der IGF weitergehe, bleibe die AiF "entscheidend für die Innovation im Mittelstand", fügte Christmann hinzu. 

 

Also alles halb so wild? Die Jobs, die bei der AiF wegfallen, entstehen dann halt beim DLR neu, und wer am Ende die Antragsformulare bearbeitet, das Geld austeilt und schaut, dass alles ordnungsgemäß ausgegeben wird, ist auch nicht wirklich entscheidend?

 

Eine überfällige innovationspolitische
Weichenstellung – oder eine "Demontage" der AiF?

 

Nicht, wenn es nach der AiF geht. Von einer fortgesetzten "Demontage" ist intern die Rede. Hauptgeschäftsführer Klein wiederum gibt zu Protokoll, die Arbeit der AiF sei "weit mehr" gewesen sei "als nur eine verwaltende und abarbeitende Projektträgerschaft". Das BMWK habe sich gegen eine Organisation entschieden, die die IGF aktiv mitgestaltet und konstruktiv begleitet und damit die Wirksamkeit des Programms erheblich erhöht habe. "In dem System der IGF, den AiF-Forschungsvereinigungen und AiF-InnovatorsNet bilden sich einzigartige Wertschöpfungsnetzwerke ab" – Netzwerke bestehend aus kleineren und mittleren Unternehmen, Konzernen, Startups und Forschung, die  "effizient und zielgerichtet an der Lösung der transformativen Herausforderungen" arbeiteten.

 

In dem von der AiF aufgebauten IGF-Gutachtersystem wird jeder Förderantrag paritätisch von Vertretern aus Wirtschaft und Wissenschaft bewertet, in einem mehrstufigen Verfahren, das an jene der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erinnert. "Die AiF sichert als neutraler, unabhängiger und vertrauenswürdiger Akteur die Grundlagen für die IGF", heißt es in einer externen Evaluierung der AiF aus dem März 2023, aus der Klein stolz zitiert. Diese Funktion, sei "grundsätzlich unabhängig von den entsprechenden Forschungsprogrammen; allerdings werden Forschungsprogramme entscheidend von der durch die AiF bereitgestellte Koordinierungsleistung und das damit verbundene Vertrauen begünstigt". 

 

Soweit die Evaluation. Allerdings hat das enge Verhältnis von AiF und IGF auch noch eine andere – nicht nur aus Sicht des BMWK problematische – Seite, die überhaupt erst dazu führte, dass man die bisherige Konstruktion der Dauerbeauftragung beendete. So hatte der Bundesrechnungshof (BRH) bereits 2015 in einem Bericht kritisiert, das damalige Bundeswirtschaftsministerium sei vermutlich nicht in der Lage, die erforderliche Fachaufsicht im IGF-Programm zu gewährleisten – und vermutete bei der AiF einen "Interessenkonflikt". Vor allem, weil die AIF-Mitglieder, mehr als 50.000 mittelständische Industrieunternehmen, die sich in 101 Forschungsvereinigungen zusammengeschlossen haben, Mitgliedsbeiträge an die AiF bezahlten, deren Höhe sich an der Summe der von ihnen eingeworbenen AiF-Fördermittel bemaßen. Was laut Rechnungshof bedeutete, dass die AiF einen hohen Anreiz hatte, immer alle Fördermittel zu vergeben, weil sie dann ja selbst ein größeres Budget erhalte.

 

2018 und 2019 hatte es dann staatsanwaltschaftliche Ermittlungen bei einzelnen Forschungsvereinigungen gegeben, weil der Verdacht im Raum stand, diese hätten ihre Mitgliedsbeiträge direkt mit eingeworbenen IGF-Fördermitteln bezahlt. Die Ermittlungen wurden jedoch allesamt ohne Ergebnis eingestellt. Doch schien sich die Sichtweise im Wirtschaftsministerium auf die AiF spätestens zu diesem Zeitpunkt gewandelt zu haben. Sorgen vor Haftungsfragen mit Ansprüchen gegen das Ministerium und eventuell sogar gegen einzelne Ministeriumsmitarbeiter wurden laut.

 

Die Höhe des IGF-Budgets soll derweil 2024 laut BMWK-Haushaltsentwurf von 197 auf 176 Millionen Euro sinken, das wäre weniger als 2018 – wobei anders als damals auch noch 7,5 Millionen Euro für die Finanzierung der Projektträgerschaft vorgesehen sein sollen. 

 

Zwischendurch hoffte man in der AiF, über allerlei Reformen und neue Vertragskonstruktionen um die europaweite Ausschreibung der IGF herumzukommen; Konzepte, Vorschläge und Papiere gingen hin und her zwischen AiF und Ministerium. Doch lautete die Entscheidung im BMWK: Nur die europaweite Ausschreibung der Projektträgerschaft sei "rechtssicher". Wenig später erklärte die für die IGF zuständige Abteilungsleiterin im BMWK, bislang AiF-Senatsmitglied, mit sofortiger Wirkung ihren Rücktritt aus dem Gremium: Sie wolle wegen des bevorstehenden Ausschreibungsverfahrens zur Programmadministration jeglichen Anschein der Befangenheit vermeiden.

 

Gravierende Folgen auch für
die AiF-Forschungsvereinigungen

 

War damit die Entscheidung gegen die AiF in Wirklichkeit bereits gefallen? In den Forschungsvereinigungen glauben manche das. Wer sich außer AiF e.V. und DLR noch um die Projektträgerschaft beworben hatte, ist unbekannt. Ebenso wie derzeit noch die Gründe, die aus Sicht des BMWK ausschlaggebend für das Votum zugunsten des DLR waren – und die trotz positiver Evaluation auf einen größeren Erfolg des Programms in neuen Händen hoffen lassen. 

 

Fest steht: Während sie in der AiF auf den Schaden verweisen, den die gewachsenen Strukturen um das Gutachterwesen nun nehmen könne, während in den AiF-Forschungsvereinigungen einige sogar bereits vor einem drohenden "Ausbluten" der IGF warnen, sind die Folgen für die Forschungsvereinigungen selbst ebenfalls gravierend. Denn solange die Gleichung AiF gleich IGF galt, war es leichter, die Unternehmen für eine Mitgliedschaft und das Zahlen der Mitgliedsbeiträge zu gewinnen, jetzt müssen neue Argumente her. Doch würde unter einer Krise der Forschungsvereinigungen auch wiederum eine vom DLR administrierte IGF leiden – denn ohne Forschungsvereinigungen keine IGF.

 

Doch glaubt man im BMWK offenbar, den beabsichtigten IGF-Neustart besser ohne AiF-Administration hinzubekommen. Ein Neustart, den die Ampel auch in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt hatte. Darin steht, die Innovationsförderung und -finanzierung solle gestärkt und entbürokratisiert werden. Und konkret: "Die Förderprogramme wie 'Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM)', 'Industrielle Gemeinschaftsforschung für Unternehmen (IGF)', 'INNO-KOM', 'go-digital' und 'Digital Jetzt' sowie das 'Innovationsprogramm für Geschäftsmodelle und Pionierlösungen (IGP)' werden wir weiterentwickeln."

 

Apropos Weiterentwicklung: "Den schon eingeleiteten Prozess der Neuausrichtung und Fokussierung der AiF werden wir nur noch konsequenter fortsetzen", sagt Hauptgeschäftsführer Klein mit einer Mischung aus Programmatik und Trotz. Zweites großes Standbein der AiF ist die Projektträgerschaft fürs ZIM. Und so wichtig die IGF-Durchführung für Selbstverständnis und Identität der AiF ist, finanziell ist ZIM der viel größere Brocken: Fast 700 Millionen Euro schwer ist der Topf in diesem Jahr. Die Projektträgerschaft wird denn auch nicht vom AiF e.V. geleistet, sondern von der AiF Projekt GmbH mit ihren rund 140 Mitarbeitern. 

 

Allerdings soll auch der ZIM-Topf, nachdem das BMWK vergangenes Jahr neue Vergaberegeln beschlossen hatte, nächstes Jahr massiv schrumpfen: auf nur noch 624 Millionen Euro. Und die ZIM-Durchführung soll in absehbarer Zeit ebenfalls neu ausgeschrieben werden; gemunkelt wird, dies könne schon 2024 passieren. Wie dann die Chancen für die AiF stehen, vermag momentan keiner zu sagen. 


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Kommentare: 8
  • #1

    S Markus (Dienstag, 22 August 2023 14:38)

    Es ist bemerkenswert, wie gründlich sowohl die Forschungsministerin als auch der Wirtschaftsminister als Zerstörer bestehender Strukturen wirken.

    Es verbleiben leider immer noch erhebliche Zweifel, ob daraus etwas neues, gar besseres entstehen wird.

  • #2

    Ein Unternehmer und Innovator (Dienstag, 22 August 2023 15:44)

    Es ist traurig dass man scheinbar dem BMWK erklären muss wie industrielle Wertschöpfung in D funktioniert und welchen wichtigen Beitrag Netzwerke wie die der AiF dazu leisten :( - man bleibt rastlos zurück wie mit dem Holzhammer Strukturen zerstört werden die ganzen Branchen dabei helfen wettbewerbsfähig zu bleiben... ob sich die vielen ehrenamtlichen Gutachter der Industrie (die dies vielfach der AiF zuliebe gemacht haben) weiter engagieren werden? Ich bin maximal demotiviert...

  • #3

    tutnichtszursache (Donnerstag, 24 August 2023 08:02)

    Angesichts des monströsen Bürokratismus beim DLR-Projektträger ist schon verwunderlich genug, dass diese Einrichtung überhaupt noch existiert. Ihr weitere Aufgaben zu übertragen, einfach nur widersinnig.

  • #4

    Susie B (Donnerstag, 24 August 2023 09:27)

    Der Interessenkonflikt mag bestehen, nur ist das bei der DFG und jeder anderen Wissenschafts- und Forschungsförderung anders?
    Vielleicht sollte man die Aufgaben der DFG auch europaweit ausschreiben?
    Niemand würde das in einem anderen EU-Land so fordern, diese Forderung führt zu den größten Verwerfungen überhaupt. Kann man von Spanien aus die Forschung in Deutschland besser fördern und organisieren? Die Gründe für die Ablehnung der AIF müssen also wo anders liegen.
    Sollte der Projektträger wechseln, dann sehe ich nicht wie dann überhaupt noch kleine und mittelständische Unternehmen gefördert werden. Im Ergebnis wird es weniger Geld an weniger und vor allem größere Unternehmen geben als bisher und der Mittelstand bleibt dabei wieder einmal auf der Strecke. Ein weiterer Schritt in Richtung Deindustrialisierung, weil man einfach verkennt welche Bedeutung die mittelständischen Unternehmen auch und gerade für die Umsetzung von Forschung haben.

  • #5

    Fiffi (Donnerstag, 24 August 2023 14:08)

    Hauptmotivation für die Neuvergabe der IGF-Projektträgerschaft dürfte wohl weniger die im Koalitionsvertrag der Ampel genannte Stärkung der Innovationsförderung sein, sondern eher die Staatssekretäre des BMWK vor möglichen, m.E. unbegründeten Haftungsrisiken (siehe Bericht des BRH von 2015) zu schützen - koste es, was es wolle.

  • #6

    Bürokrat (Freitag, 25 August 2023 17:03)

    Europäisches Vergaberecht genauestens exekutiert.

  • #7

    fpue (Montag, 28 August 2023 13:22)

    Wer die IGF kennt wundert sich, das dass so lange gehalten hat. Die AiF lebt von Mitgliedsbeiträgen und die Verantwortung über die Projektbearbeitung liegt bei den Forschungsvereinigungen. Wie die wiederum die Verwaltung finanzieren (Mitgliedsbeiträge?) blieb den FVen überlassen.
    Es kann nur besser werden.

    Allein schon der Titel "Industrielle Gemeinschaftsforschung" ist fehlbenannt, da die FuE durch die Forschungseinrichtungen (nein: nicht die KMU!) erbracht werden. Was können denn die KMU beitragen? vAW. vAW liegten bei 10-30% der Förderung.
    Wieviel kann denn ein KMU vorwettbewerbliche FuE beitragen?

  • #8

    vAW-Einwerber (Freitag, 01 September 2023 20:42)

    Apropos vAWs. Besser nicht genau nachsehen, was die vAWs in der Realität dargestellt haben.