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Neue Brücken für die Medizin

Die deutschen Universitätsklinika und ihr Umfeld verfügen über eine fachliche und inhaltliche Breite, die international ihresgleichen sucht. Doch ohne eine bessere Koordination kann das System seine Stärken nicht voll ausspielen. Ein Gastbeitrag von Michael Roden.

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Artikelbild: Neue Brücken für die Medizin

Michael Roden. Foto: Wissenschaftsrat.

DIE COVID-19-PANDEMIE ist eine in unserer Zeit beispiellose gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Das in der medizinischen Versorgung beschäftigte Personal, die Krankenhäuser und Praxen in Deutschland haben eindrucksvoll gezeigt, dass sie in kürzester Zeit, mit großem Engagement und in bemerkenswerter Agilität in der Lage waren, sich auf diese Krise einzustellen. Einen besonderen Beitrag zu ihrer Bewältigung leistet die Universitätsmedizin: Sie versorgt schwerstkranke Patientinnen und Patienten, sie übernimmt vielfach eine regionale Koordinierungsfunktion für das Krisenmanagement, sie stellt die in der Pandemie notwendige wissenschaftliche Expertise in einem breiten Fächerspektrum bereit, und sie kommuniziert die sich rasch entwickelnden Erkenntnisse an Politik und Öffentlichkeit. Und natürlich: Sie forscht daran, Diagnostik und Therapie von COVID-19 zu verbessern und Impfstoffe gegen das SARS-CoV-2 zu entwickeln.

In der Krise zeigt sich die Universitätsmedizin leistungsstark, beweglich, anpassungsfähig und verantwortungsbewusst. Sie zeigt eindrucksvoll, welche wichtige Rolle sie im Gesundheits- und Wissenschaftssystem einnimmt. Und doch: Sie könnte noch mehr leisten. Wenn sie diesem umfangreichen Leistungsspektrum entsprechend ausgestattet und ihre Vernetzung besser unterstützt wäre. Insofern kommen in der Krise nicht nur die Stärken, sondern auch die Schwächen im System ans Licht.

In Deutschland ist die medizinische Forschung breit verteilt – geographisch, institutionell und disziplinär: Sie verteilt sich über 16 Bundesländer und insgesamt 36 universitätsmedizinische Standorte. Hinzu kommen zahlreiche außeruniversitäre Einrichtungen und eine große Bandbreite medizinischer und benachbarter Disziplinen mit ihrer jeweils sehr spezifischen Expertise. So entsteht eine vielfältige Forschungslandschaft mit einander ergänzenden Profilen, die teils kooperativ, teils kompetitiv miteinander verbunden sind.

Diese Breite wird oftmals als Stärke der deutschen Wissenschaft insgesamt hervorgehoben. Sie hat aber einen entscheidenden Nachteil: Wenn es darum geht, die besten Köpfe zusammenzuführen, aufwendige oder sehr spezielle Infrastrukturen gemeinsam aufzubauen und zu nutzen, große Mengen an verteilten Patientendaten zu verbinden und breit zugänglich zu machen, spezialisierte Expertise zusammenzubringen und neues Wissen rasch zu teilen, dann wäre oftmals eine stärkere Bündelung, Koordination und Abstimmung dieser verteilten Kräfte erforderlich. Doch genau dem stehen Ausdifferenzierung, Verteilung, Wettbewerb bisweilen entgegen. In der Medizin kommt hinzu, dass die oftmals starren Grenzen zwischen Gesundheits- und Wissenschaftssystem, zwischen ambulantem und stationärem Sektor die rasche Übertragung von Erkenntnissen aus der medizinischen Forschung in die Versorgungspraxis erschweren.

Seit einigen Jahren wird verstärkt daran gearbeitet, die medizinische Forschung in Deutschland stärker zu vernetzen und damit vor allem die potentiellen Nachteile einer geographischen wie institutionellen Verteilung zu überwinden. Zu nennen sind neben diversen Forschungsverbünden als wichtige Beispiele die Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung und die Medizininformatik-Initiative. Und ganz aktuell das Nationale Forschungsnetzwerk der Universitätsklinika zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie.

Ich bin überzeugt, dass wir die aktuelle Krise, aber auch künftige Herausforderungen wie den demographischen Wandel oder die Digitalisierung der Medizin nur gemeinsam bewältigen können. Und dabei müssen wir zwingend über unsere Grenzen hinausgehen und die Zusammenarbeit auch auf europäischer Ebene intensivieren. Das gilt vor allem für die Entwicklung von Wirk- und Impfstoffen, ihre Herstellung, die (Patienten-)Dateninfrastruktur und für die Nutzung von Künstlicher Intelligenz in der Medizin – um nur einige große Themen zu nennen.

Eine selbstverständlichere Kultur der Zusammenarbeit

Ansetzen müssen wir jedoch zunächst in Deutschland, und da an jedem einzelnen Standort. Auch wenn in den vergangenen Jahren zunehmend Erfolge in dieser Hinsicht erkennbar sind, noch ist es nicht selbstverständlich, mit dem Kollegen im Nachbarinstitut, der Kollegin in der Nachbarklinik oder gar der Nachbarfakultät zusammenzuarbeiten.

Wenn wir jedoch bestmögliche forschungsbasierte innovative Versorgung gewährleisten wollen, dann brauchen wir eine deutlich ausgeprägtere und selbstverständlichere Kultur der Zusammenarbeit. Nur so wird es uns gelingen, schnell auf neue Themen und Krankheiten zu reagieren und langfristig innovativ zu sein.

Das mag alles logisch und selbstverständlich klingen, ist es aber leider nicht. Das hat der Wissenschaftsrat erst im vergangenen Jahr in seiner Begutachtung der Universitätsmedizin Nordrhein-Westfalen festgestellt und mehr Zusammenarbeit empfohlen. Und: Schon seit Jahren weist der Wissenschaftsrat immer wieder darauf hin, dass wir in der Universitätsmedizin mehr innovative, fachübergreifend ausgerichtete Strukturen brauchen, an denen arbeitsteilig und teamorientiert zusammengearbeitet wird. Da besteht nach wie vor Handlungsbedarf. Je eingespielter aber die Kooperation lokal und zwischen Einrichtungen, desto leichter fällt es, deutschland- und europaweit gezielt die Kräfte zu bündeln.

Doch vollziehen sich solche Veränderungen nicht von selbst, sondern erfordern – zumindest für den Anschub – zusätzliche Mittel und neue Anreize. Das gilt für den Aufbau kooperativer Strukturen vor Ort, erst recht aber für die notwendige Vernetzung deutschland- und europaweit. Also ja, es geht hier auch um Finanzierungsfragen.

Wobei ich gar nicht zwingend nur an mehr Geld denke, vielmehr geht es mir um die problematische Finanzierungslogik der Universitätsmedizin: Sie baut an verschiedenen Stellen Hürden auf, die einer kooperativen und anpassungsfähigen medizinischen Forschung und Versorgung im Weg stehen. Solange zum Beispiel Forschung zu einem sehr großen Anteil über kompetitive Projektmittel finanziert wird, bleibt es bei einer Dominanz von Wettbewerb gegenüber Kooperation.

Es gilt einen Verteilungskampf zu vermeiden

Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Universitätsmedizin aus verschiedenen Quellen finanziert wird: Die Länder kommen für die Grundfinanzierung von Forschung und Lehre auf, die Krankenversicherungen finanzieren die Versorgungsleistungen. Dies erhöht nicht nur den organisatorischen Aufwand, allzu oft kommt es auch zu einer Konkurrenzsituation von Forschung und Lehre auf der einen und Versorgung auf der anderen Seite, mit ihren je unterschiedlichen Rationalitäten.

Einen Verteilungskampf zwischen Forschung und Versorgung gilt es jedoch zu vermeiden, wie sich gerade wieder zeigt: Auch wenn für die Bewältigung einer Pandemie ohne Frage erhebliche Kapazitäten und Ressourcen für die akute Versorgung aufgewendet werden müssen, so muss doch zugleich mit Hochdruck in der Forschung weitergearbeitet werden, und auch die Krankenversorgung jenseits von COVID-19 muss gewährleistet bleiben.

Der für die Universitätsmedizin typische und einzigartige Aufgabenverbund von Forschung, Lehre und Versorgung muss immer wieder ausbalanciert und gesichert werden. Im Besonderen darf die Forschung, Ausbildung und in der Folge die Versorgung bestimmter – sei es sehr seltener oder auch sehr häufiger – Erkrankungen nicht durch fehlgeleitete strukturelle oder vor allem finanzielle Anreize gefährdet werden.

Das alles ist nicht einfach, das ist klar. Nicht umsonst hat der Wissenschaftsrat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die klären soll, wie die Strukturen der Universitätsmedizin für ihre Aufgabenwahrnehmung in Versorgung, Forschung und Lehre verbessert werden können.

Mein persönliches Plädoyer: Damit die Universitätsmedizin in Deutschland und Europa leisten kann, was sie leisten soll – nämlich nicht nur, aber auch in Krisensituationen maßgeblich zu einer bestmöglichen, innovativen und reaktionsfähigen Gesundheitsversorgung beizutragen – braucht es zusätzliche Anstrengungen. Für mehr Zusammenarbeit und kooperative Strukturen, sinnvolle Finanzierungsmechanismen. Und dafür, dass die besondere Funktion der Universitätsmedizin, die mehr ist als Hochleistungsmedizin, auch durch die Gesetzgeber in Bund und Ländern die notwendige Anerkennung erfährt.

Michael Roden ist Direktor der Klinik für Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Düsseldorf und Vorstand des Deutschen Diabetes-Zentrum (DDZ). Beim Wissenschaftsrat leitet er den Ausschuss Medizin.

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