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Jetzt wird alles anders, ein bisschen zumindest

Der Wissenschaftsratsvorsitzende Wolfgang Wick schwört Hochschulen und Politik auf Strategien für bundesweit stagnierende Studierendenzahlen ein und hofft auf eine demographische Rendite.

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Artikelbild: Jetzt wird alles anders, ein bisschen zumindest

Demnächst mehr freie Plätze? Foto: Michal Jarmoluk / Pixabay.

JEDES JAHR Ende Januar gibt der oder die Vorsitzende des Wissenschaftsrats einen Bericht zu aktuellen Tendenzen im Wissenschaftssystem ab, über den das Gremium anschließend diskutiert. In Dorothea Wagners letzter Bestandsaufnahme Anfang 2023 stand die Frage im Mittelpunkt, ob die Wettbewerbsorientierung in der Wissenschaft an ihre Grenzen gestoßen sei. Wagners Nachfolger Wolfgang Wick, der dieses Jahr zum ersten Mal mit dem Berichten an der Reihe war, widmete sich der Hochschullehre und dem Watershed-Moment, den viele Hochschulen gerade erleben. Es ist die Realisierung, dass die Zeit bundesweit stetig wachsender Studierendenzahlen zu Ende geht. Weshalb Wick zielsicher die passende hochschulpolitische Agenda fürs neue Jahr setzte, indem er von Hochschulen und Hochschulpolitik neue Strategien für den demographischen Wandel forderte.

Wick verweist auf die aktuelle Vorausberechnung der Kultusministerkonferenz (KMK), dass die Zahl der Studienanfänger deutschlandweit wohl spätestens von 2027 an für einen längeren Zeitraum stagnieren wird. Tatsächlich gingen die Erstsemesterzahlen zwischen 2018 und 2021 sogar über mehrere Jahre zurück, doch schien das kaum einer wahrzunehmen, solange die Gesamt-Studierendenzahlen noch von Rekord zu Rekord jagten. Obwohl es eine mathematische Gewissheit war, dass letztere mit zeitlicher Verzögerung ersteren folgen würden. Im Wintersemester 2022/23 war es dann soweit. Die Gesamtzahl der Studierenden in Deutschland sank zum ersten Mal seit 2007, im Wintersemester 2023/24 ging es weiter runter auf zuletzt 2,871 Millionen. Was allerdings immer noch satte 850.000 mehr waren als 20 Jahre zuvor und der Einbruch teilweise pandemiebedingt. So dass es bei den Erstsemestern – wenn auch nur leicht – die vergangenen beiden Jahre sogar schon wieder aufwärts ging.

Wie ein Luftholen von der scheinbar ewig laufenden Bildungsexpansion

Insofern fühlte sich der demographische Wandel an vielen Hochschulen vor allem in den westdeutschen Metropolen bislang allenfalls wie ein Luftholen von der scheinbar ewig laufenden Bildungsexpansion an. Das zu Recht von Wolfgang Wick angemahnte strategische Umdenken mag gerade dort noch aus anderen Gründen schwer fallen: Die Rektorate und Präsidien haben bis zur Pandemie die Erfahrung gemacht, dass die Zahl der Neuimmatrikulationen die mutigsten Prognosen von Hochschulforschern immer aufs Neue übertrafen. Und auch jetzt ist ja nicht von einem weiteren starken Rückgang die Rede, sondern von einer Stagnation auf hohem Niveau.

Absehbar ist zudem, auch das führt der Wissenschaftsratsvorsitzende, aus, dass diese bundesweite Entwicklung sich je nach Region und Disziplin in ein deutliches Minus oder gar ein weiteres kräftiges Plus bei den Studierenden übersetzt (siehe hierzu auch meinen Bericht von Ende November 2023). Weshalb, so Wick, die Hochschulen individuelle, "maßgeschneiderte" Strategien entwickeln müssten. Sehr viele ostdeutsche Standorte und auch etliche westdeutsche sind, nebenbei bemerkt, den Umgang mit dem Schrumpfen schon länger gewöhnt.

Von ihnen können die erstmals seit langem mit Rückgängen konfrontierten Einrichtungen viel lernen. Dabei bietet sich ihnen zumindest auf den ersten Blick eine große Gelegenheit: "Die Hochschulen bekommen die Chance, Fehlentwicklungen der Wachstumsperiode zu korrigieren, die Qualität der Lehre zu verbessern, den Anteil erfolgreicher Abschlüsse zu steigern und die Digitalisierung voranzutreiben", sagt Wolfgang Wick.

Womit die große Gelegenheit übrigens auch auf Seiten der jungen Menschen liegt. Denn wenn die Studierenden nicht mehr Schlange stehen vor den Immatrikulationsbüros, müssen sich die Hochschulen mehr einfallen lassen, um sich neue Zielgruppen zu erschließen und alte Zielgruppen im Studium zu halten: Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern zum Beispiel, Berufstätige, Einwanderer und internationale Studierende. Die erstaunliche Erfolgsgeschichte privater Hochschulen in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren erklärt sich zu einem großen Teil erst dadurch, dass viele ihrer staatlichen Pendants ihren Fokus auf dem vermeintlichen "Normstudenten" hatten.

"Small is beautiful, too", findet der Vorsitzende

Auf den zweiten Blick ist das mit der großen Gelegenheit für alle Beteiligten allerdings so eine Sache – womit auch erklärbar wird, warum vielerorts gerade nicht das große Jubeln ausbricht. Denn die Hochschulfinanzierung läuft in den meisten Fällen hauptsächlich über die Zahl der Köpfe. Werden die weniger, stehen sie dann eben nicht der gleichen Menge an Geld gegenüber, die Hochschulen müssten Personal abbauen, und es wäre wenig bis nichts gewonnen. Erst recht, wenn dann auch noch einseitig bei den Fächern und Standorten eingespart würde, die gerade weniger am Arbeitsmarkt gefragt sind. Bei Wick hört sich diese Warnung so an: "Wir dürfen nicht aufgrund von Nachfrageschwankungen Fächer und Institute kaputtsparen, die wir später nur langwierig und mit hohen Kosten wieder aufbauen müssen."

Immerhin: Andere Finanzierungslogiken sind in der Hochschulpolitik in Ansätzen längst installiert. So haben Bund und Länder den gemeinsamen Hochschulpakt 2020, einst geschlossen, um die hunderttausenden zusätzlichen Erstsemester abzufangen, nach seinem Auslaufen in den "Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken" transformiert, der die Finanzierung allmählich von der Zahl der Erstsemester unabhängiger macht. Auf Anraten des Wissenschaftsrats. Zuletzt einigten sich Bund und Länder sogar noch darauf, die Zukunftsvertrags-Ausgaben pro Jahr um drei Prozent zu erhöhen – unabhängig von der Studierendenzahl.

Wolfgang Wick postuliert in seinem jährlichen Bericht denn auch ganz grundsätzlich: "Small is beautiful, too." Eine Hochschule, die weniger Studierende aufnehme und diese dafür besser betreue, müsse belohnt und nicht durch Stellenabbau bestraft werden. Eine ähnliche Hoffnung wurde in der Schulpolitik einst unter dem Stichwort "demographische Rendite" diskutiert: Bis in die Zehnerjahre hinein rechnete man dort mit bald sinkenden Schülerzahlen und appellierte an die Politik, die bisherigen Bildungsausgaben trotzdem beizubehalten – der Qualität zuliebe. Aus den sinkenden Schülerzahlen wurde dann übrigen nichts. Mal sehen, wie es sich mit der von der KMK prognostizierten Stagnation bei den Studierendenzahlen verhalten wird.

Entscheidend für die Durchschlagskraft von Wicks Appell wird freilich sein, dass er nicht nur von den Wissenschaftsministern ernstgenommen und beklatscht wird, die – mit Ausnahme von Hamburgs Finanzssenator (derzeit Andreas Dressel) – die Länderseite im Wissenschaftsrat vertreten. Vielleicht hilft bei der Vermittlung Richtung Haushaltspolitiker und Regierungschefs, dass seit April 2022 mit Jakob von Weizsäcker aus dem Saarland immerhin ein Landeswissenschaftsminister auch das Finanzressort verantwortet. Umgekehrt intensivieren gerade verschiedene Landesregierungen die Suche nach jeder sich auftuenden Sparmöglichkeit – oder streiten darüber (jüngstes Beispiel: Berlin). Eine aus Sicht vieler Hochschulen unschöne Koinzidenz mit der erwarteten Entwicklung der bundesweiten Studierendenzahlen.


Was der Wissenschaftsrat zu Brandenburgs Hochschulsystem
und zum neuen Max-Planck-Institut "caesar" sagt

In seiner Wintersitzung beschloss der Wissenschaftsrat auch seine Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Hochschulsystems des Landes Brandenburg. Zuvor hatte das Gremium auf Bitten von Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD) eine umfangreiche Begutachtung durchgeführt und dessen Ergebnisse auf über 600 Seiten dargestellt. Insgesamt erhielten dabei die Hochschulen recht viel Lob für ihre positive Entwicklung und die ihre Rolle beim gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel. Auch das Land kam gut weg: Es habe mit seinem finanziellen und politischen Engagement dazu beigetragen, die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit der Hochschulen zu steigern und Transfer, Digitalisierung sowie Qualitätssicherung zu stärken.

"Das Land sollte sein finanzielles Engagement fortsetzen und gemeinsam mit den Hochschulen Maßnahmen ergreifen, um die Qualität von Forschung und Lehre weiter zu verbessern und Herausforderungen zu begegnen, wie der an einigen Standorten rückläufigen Studierendennachfrage, dem Fachkräftemangel oder der Bildung kritischer Massen in der Forschung an den überwiegend kleinen Hochschulen", sagte der Vorsitzende Wolfgang Wick. Außerdem sollte das Wissenschafts­ministerium seine Finanzierungs- und Steuerungsarchitektur vereinfachen, die Forschungsförderung stärker an den Stärken der Hochschulen ausrichten und zugleich die kooperative Spitzenforschung stärken.

Den Hochschulen empfahl der Wissenschaftsrat unter anderem, sich stärker überregional zu profilieren, ihre Kooperationen untereinander, mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen, aber auch mit Akteuren außerhalb der Wissenschaft auszubauen. Mit innovativen Ansätzen in Studium und Lehre sollten sie dem Rückgang der Studierendenzahlen entgegenwirken und besser auf die unterschiedlichen Voraussetzungen der Studierenden eingehen.

Der Wissenschaftsrat lobte die Strategie der Landesregierung, den Strukturwandel in der Region Cottbus mithilfe der Bundesgelder aus dem Strukturstärkungsgesetz für die Kohleregionen wissenschaftspolitisch zu gestalten. Die aus der Fusion einer Universität mit einer Fachhochschule entstandene BTU Cottbus-Senftenberg müsse forschungsstärker werden und sich auch, um attraktiver für Studierende zu werden, zu einer reinen Universität entwickeln. Ein besonderes Lob erhielt die Universität Potsdam, die durch die Einwerbung kompetitiver Forschungsprojekte und die intensive Zusammenarbeit mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen überzeuge. Angesichts der geplanten Neugründung einer medizinischen Universität in Cottbus forderte der

Wissenschaftsrat eine enge Kooperation mit der BTU und die Auflösung der hochschulübergreifenden Fakultät für Gesundheitswissenschaften.

BTU-Präsidentin Gesine Grande sagte laut Research.Table, bei den Studierenden scheine die Trendwende bereits geschafft und mit rund 40 Prozent internationalen Studierenden sei man sogar Vorreiter. Die Forderung des Wissenschaftsrats, eine reine Universität zu werden, begrüßte sie, weil das derzeit noch 18 Semesterwochenstunden umfassende Lehrdeputat der ehemaligen FH-Kollegen diesen kaum Potenziale in der Forschung ermöglichten.

Wissenschaftsministerin Schüle kommentierte: "Wir sind auf dem richtigen Weg." Brandenburgs Wissenschaftslandschaft habe sich in den vergangenen Jahren exzellent entwickelt. "Zusammen müssen wir innovative Wege gehen, indem unsere Hochschulen noch klarere Profile entwickeln und Kooperationen weiter ausbauen sowie noch stärker auf Studienerfolg, auf durchlässige Bildungswege und auf gute Integration internationaler Studierender setzen." Man werde die Empfehlungen jetzt gemeinsam mit den Hochschulen auswerten. "Für das Land kann ich schon jetzt versprechen: Wir werden auch die Punkte angehen, die für das Ministerium unbequem sind."

Der Wissenschaftsrat nahm außerdem zur Eingliederung des Bonner Forschungszentrums "caesar" in die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) Stellung. Er sehe darin einen folgerichtigen Schritt für die Sicherung der Zukunft caesars. Die wissenschaftliche Verantwortung des heutigen "Max-Planck-Instituts für Neurobiologie des Verhaltens – caesar" habe bereits seit über 15 Jahren bei der MPG gelegen. "Durch die Integration übernimmt die MPG nun sowohl die rechtliche als auch die finanzielle Gesamtverantwortung."

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat den Wissenschaftsrat 2021 gebeten, den Eingliederungsprozess begleitend zu evaluieren. Dabei sollte allerdings keine inhaltliche Bewertung der wissenschaftlichen Qualität des "caesar" vorgenommen werden.

Um das "caesar" hatte es im Vorfeld der Eingliederung heftige Vorwürfe des Bundesrechnungshofs gegeben. Das BMBF wolle Stiftungsgelder in dreistelliger Millionenhöhe am Parlament vorbei an die Max-Planck-Gesellschaft übertragen. MPG und Ministerium widersprachen. Der Bundestag hatte der Eingliederung dann zwar zugestimmt, aber strenge Auflagen gemacht.



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