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Wie soll Deutschland auf die Bedrohung von Demokratie und Wissenschaftsfreiheit in den USA reagieren? Cem Özdemir hatte die Spitzen der Wissenschaftsorganisationen erneut zum Gespräch gebeten und präsentierte danach eine Erklärung, die Schluss machte mit der Krisengewinn-Rhetorik.

Einreiseschalter der US Immigration an einem amerikanischen Flughafen.

US-Grenzkontrollen (Symbolfoto). Quelle: www.rawpixelcom, CCO.

ES IST ein unspektakulärer Text. Und genau das ist die gute Nachricht. Zum zweiten Mal nach Ende Februar hat sich der inzwischen nur noch geschäftsführende BMBF-Chef Cem Özdemir (Grüne) am Dienstag und Mittwoch mit Spitzen der Allianz der Wissenschaftsorganisationen getroffen, und dieses Mal verabschiedete man eine gemeinsame Erklärung zur "Wissenschaftsfreiheit und Stärkung der Forschungsstandorte Deutschland und Europa". Und auch wenn weder im Text selbst noch in der zur Begleitung versandten Pressemitteilung die USA namentlich erwähnt wurden (warum eigentlich nicht?), waren die dortigen Entwicklungen der eigentliche Anlass und Gegenstand von Treffen und Erklärung.

Zuerst zum Text selbst. Eine freie Wissenschaft gehöre "zum Kern liberaler, demokratischer Gesellschaften", beginnt der Einseiter. Eine an Erkenntnisgewinn und Fakten orientierte Wissenschaft sei ohne Freiheit nicht denkbar. "Es ist daher in höchstem Maße besorgniserregend, dass die Freiheit der Wissenschaft in verschiedenen Regionen der Welt zunehmend unter Druck gerät." Die Freiheit der Wissenschaft und der freie internationale Austausch seien entscheidende Grundlagen für den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt.

Die entscheidenden Sätze stehen im letzten Absatz: "Forscherinnen und Forschern, die in ihrer Heimat nicht mehr die Möglichkeit sehen, frei zu arbeiten, können und wollen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten im deutschen Wissenschaftssystem eine Perspektive bieten. Um die globalen Herausforderungen unserer Zeit, wie Klimawandel, Biodiversitätsverlust, soziale Gerechtigkeit, Fragen der Friedens- und Konfliktforschung oder biomedizinische Probleme, adäquat adressieren zu können, möchten wir unsere internationalen Kooperationen insbesondere auch in diesen Bereichen stärken. Nur durch intensive und freie weltweite Zusammenarbeit der besten Köpfe und der profiliertesten Institutionen aus Wissenschaft und Wirtschaft können wir die vor uns stehenden Herausforderungen bewältigen. Dazu werden wir in Deutschland als Teil eines starken europäischen Forschungsraums gemeinsam mit unseren internationalen Partnern beitragen."

Kontrastiert man diese nüchterne Erklärung mit den von deutschen Wissenschaftlern und aus Forschungsinstitutionen in den vergangenen Tagen und Wochen geäußerten Abwerbefantasien, wird der Unterschied in Tonlage und Stoßrichtung offensichtlich: Von einer "Riesenchance" für Deutschland und Europa sprach angesichts von Trumps Generalangriff auf Demokratie, Rechtsstaat und Wissenschaftsfreiheit die selbst in Kalifornien arbeitende Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier. Deutschland könne den durch die Nazis erlittenen Abstieg als Wissenschaftsmacht umkehren. Und der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Patrick Cramer, sagte, die USA seien "für uns ein neuer Talentpool". Er habe einige Namen auf seiner Liste, "bei denen ich funkelnde Augen bekomme". Und: Besonders am Herzen liege ihm die künstliche Intelligenz.

Wolkige Antworten auf die Frage
nach konkreten Maßnahmen

Es ist ein unspektakulärer Text, den die Allianzchefs und der Forschungsminister da produziert haben, und das ist gut so. Weil er Abstand nimmt von dem Konzept der Krisengewinne und des demonstrativen Aktionismus und auf Unterstützung für bedrohte Forschende und auf die weltweite wissenschaftliche Zusammenarbeit setzt.

Auf der anschließenden Pressekonferenz antwortete Cem Özdemir denn auch entsprechend wolkig auf die Frage nach konkret vereinbarten Maßnahmen: Nur noch geschäftsführend im Amt, sei es für ihn schwierig, große Programme oder Ähnliches aufzulegen. Allgemeiner sprach er die Bemühungen an, Fragen zu Visa und Aufenthaltsrecht zu klären sowie angemessene Regelungen etwa bei Gentechnik oder Tierversuchen zu finden.

Er sehe seine Aufgabe darin, "dass keine Zeit verloren geht" bis zum Start der  neuen Regierung. "Ich glaube, ich trete niemandem zu nahe, wenn ich sage, dass da sicherlich auch geholfen hat, dass wir dafür einen Rahmen geboten haben, denn Sie haben ja vielleicht auch mitbekommen, dass es eine Vielfalt an Tonlagen gab." Er sei dankbar, dass die Wissenschaftsorganisationen sich mit dem BMBF auf einen gemeinsamen Text geeinigt hätten. "Das macht das Arbeiten leichter."

Zuletzt hatte der Präsident der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, Robert Schlögl, laut Research.Table gewarnt, eine Abwerbung von US-Forschenden im großen Stil würde "zum einen das Wissenschaftssystem in den USA schwächen und zum anderen der transatlantischen Zusammenarbeit dauerhaft schaden, indem es das vorhandene Vertrauen zerstört." Es gehe um Brain Circulation, zumal sich abzeichne, dass es vielen Betroffenen nicht um Dauerstellen außerhalb der USA gehe, sondern um temporäre Unterstützung. Ähnlich hatte sich früher schon DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee geäußert. Wenn es also das Ziel von Özdemir gewesen sein sollte, die Debatte der Wissenschaftsorganisationen zu kanalisieren, dann wäre ihm das gelungen.

Ansatzpunkte, wie es
weitergehen könnte

Einige Ansatzpunkte, wie es jetzt weitergehen könnte, kamen dann aber doch noch zur Sprache in der Pressekonferenz, die der Minister und, stellvertretend für die Allianz, Helmholtz-Präsident Otmar D. Wiestler bestritten.

o Bei der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) von Bund und Ländern am 4. April werde das Thema USA ebenfalls auf der Tagesordnung stehen, sagte Özdemir. In einer Vorversion der heutigen Erklärung, die so nicht beschlossen wurde, hatte sogar noch der Satz gestanden: "Möglichkeiten zur Aufstockung bestehender Programme sollen schnell und unbürokratisch im Trilog mit Bund und Ländern geprüft werden." Der entfiel freilich im finalen Text.

o Zusammen mit europäischen zwölf europäischen Amtskollegen habe er einen Brief an EU-Forschungskommissarin Ekaterina Sachariewa unterzeichnet, "damit sie da die Führung übernimmt und schaut, was wir da europäisch koordiniert machen können". In dem Brief hatten Özdemir und seine Kollegen die Kommission zu einem abgestimmten Vorgehen zur Aufnahme von US-Wissenschaftlern aufgerufen.

o Wiestler ergänzte, die Wissenschaftsorganisationen hätten sich ausgetauscht über ihre bereits bestehenden Rekrutierungsprogramme, die verstärkt werden könnten. "Da gibt es ein ganz interessantes Portfolio. Wir werden sehen, ob die neue Koalition das gegebenenfalls noch mit unterstützt." Ein Wink in Richtung schwarz-rote Vertragsunterhändler.

o Was die großen wissenschaftlichen Datenbanken angehe, wolle man "systematischer bearbeiten", welche davon unter US-amerikanischer Regie liefen, sagte Wiestler weiter. "PubMed" falle jedem ein, aber es gebe weitere Beispiele. "Wären wir in der Lage, Vorsorge zu treffen für den Fall, dass der Zugang nicht mehr in dieser freien Form geschieht, wie er jetzt möglich ist?" Ein Punkt, den Wiestler erst gegen Ende erwähnte, der sich aber für den Schutz der nationalen wie internationalen Wissenschaften als sehr schnell als zentral herausstellen könnte.

Warum aber tauchte dieses und Anderes dann nicht im Papier selbst auf? So wie auch unklar blieb, warum die Erklärung im Gegensatz zu Özdemir und Wiestler in der Pressekonferenz die USA nicht beim Namen nannte. Einzig ein paar Randbemerkungen gaben womöglich hierzu Aufschluss. "Es geht jetzt nicht darum, "wer der Lauteste ist", sagte Özdemir fügte hinzu, er wolle es mal auf Schwäbisch ausdrücken: "Vielleicht halten wir auch die Versprechen, die andere geben."

Zurückhaltung aus diplomatischen Gründen? Oder um schlafende Hunde in der Trump-Regierung nicht zu früh zu wecken?

Obwohl die gemeinsam verabschiedete Erklärung eine Reihe globaler Herausforderungen und die damit verbundenen Forschungsfragen nennt, betonte Helmholtz-Präsident Wiestler, Allianz und BMBF hätten sich zurückgehalten, was das nennen einzelner Forschungsfelder angehe. "Denn das Irritierende ist, dass von Maßnahmen der Trump-Administration viele Felder betroffen sind, von denen man es gar nicht erwarten würde." Dass die Klima- und Erdsystemforschung besonders kritisch betrachtet werde, sei erwartbar gewesen. "Aber mich hat überraschend, warum die Gesundheitsforschung so unter Druck gerät." Er fürchte, "wir müssen auf die gesamte Wissenschaftslandschaft blicken".

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Kommentare

#1 -

silia | Mo., 31.03.2025 - 15:25
""zum einen das Wissenschaftssystem in den USA schwächen und zum anderen der transatlantischen Zusammenarbeit dauerhaft schaden, indem es das vorhandene Vertrauen zerstört." Man kann nur zerstören, was nicht schon zerstört ist. Wenn jemand aus den USA nach Deutschland kommt, der auch noch wirklich gut ist (und sich nicht nur gut verkaufen kann), dann sollte man den gerne nehmen. Es werden ja in den USA die Wissenschaftler bevorzugt ins Visier genommen, die keine US-Nationalität aufweisen.

#2 -

Wolfgang Kühnel | Fr., 28.03.2025 - 15:15
Gegen die Aufnahme von US-Wissenschaftlern wurde schon genannt, dass die meist nicht Deutsch sprechen. Aber es gibt bekanntlich viele Deutsche, die Professuren im Ausland gesucht und gefunden haben, weil es in Deutschland zu wenige gab. Denen könnte man doch jetzt ein Angebot machen. Es gab sogar mal ein offizielles "Rückgewinnungsprogramm" des DAAD, aber ich lese jetzt, das sei "ausgesetzt". So ist das: vollmundige Ankündigungen, aber alsbald ist dann kein Geld mehr da.

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