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Die Antwort auf die Krise der Schulen? Nicht weniger Föderalismus, sondern mehr

Als Grund für deutsche Schulmisere gilt vielen die Verantwortung der Länder für die Bildungspolitik. Also mehr Zentralisierung? Nein! Für bessere Bildung braucht es stärkere Länder. Und neue Regeln für ihre Zusammenarbeit.

Neulich habe ich hier im Blog für einen Umbau des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) plädiert. Zu einer Trennung von Wissenschaft und Bildung und der Zusammenführung des BMBF-Bildungsteils mit der "Kinder und Jugend"-Abteilung und weiteren Referaten des bisherigen Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Das Ziel einer solchen Reform: eine einheitliche und einheitlich verantwortete Bildungsstrategie des Bundes von der Kita über die Schule bis zur Aus- und Weiterbildung. Bei unveränderter Kultushoheit der Länder. Ich bin überzeugt, dass so auch die Bund-Länder-Zusammenarbeit in der Bildung sehr viel effektiver und ohne Brüche etwa zwischen Kita, Schule und Ganztag laufen würde. Das würde auch der Kultusministerkonferenz mehr abverlangen.

 

Freilich gäbe es auch einen anderen Weg. Er wäre noch deutlich radikaler. Liefe er doch nicht auf den Umbau des Bundesbildungsministeriums, sondern auf dessen Abschaffung heraus. Die FDP-Wahlkampfforderung, die KMK abzuschaffen, hat mich dazu provoziert, diesen Weg in einem Essay aufzuschreiben. Sehen Sie ihn als bewusst provokantes Gedankenspiel. Ich treibe die Argumentation auf die Spitze, um die Debatte zu fördern. Übrigens  gab es ein Bundesministerium für Bildung erst seit 1969. Und in einem anderen Bundesstaat, Kanada, gibt es bis heute keines. Und das Land liegt bei PISA mit an der Spitze. Ich freue mich auf Ihre Kommentare, Ihre Zustimmung und Ihren Widerspruch.

 

 

JAHR UM JAHR dieselben Umfrageergebnisse. Die Landesbildungsminister könnten damit ihre Büros tapezieren. 2018 wurde ihr Club, die Kultusministerkonferenz (KMK), 70, und 73 Prozent der Deutschen gaben an, dass für Bildungspolitik statt der Bundesländer ausschließlich der Bund verantwortlich sein sollte. 2023, Deutschlands Schüler hatten gerade mal wieder mies bei PISA abgeschnitten, waren 54 Prozent dagegen, dass jedes Bundesland seine eigene Schulpolitik macht – und nur 26 Prozent dafür. Wenn es nach der Mehrheit der Leute ginge, würde es den Bildungsföderalismus schon lange nicht mehr geben. 

 

Die Klagen sind bekannt: kein bundesweites Zentralabi, ein Wirrwarr von Schulformen, Abschlussbezeichnungen und Fächerprofilen, ein über Jahre ruinöser Wettbewerb um Lehrkräfte, enorme Leistungsunterschiede zwischen den Bundesländern. Die KMK gilt vielen als abgehoben und ineffizient.

 

Die FDP, die keinen einzigen Landesbildungsminister stellt, will aus der schon traditionellen Anti-Föderalismus-Stimmung jetzt Kapital im Bundeswahlkampf schlagen. "Eine grundlegende Reform des Bildungsföderalismus" sollte ihr zufolge einheitliche Standards und eine stärkere Rolle des Bundes in der Bildung machen und das dafür nötige Steuergeld von den Ländern an den Bund verschieben. Und: "Wir wollen die Kultusministerkonferenz als Entscheidungsgremium abschaffen und durch einen Bundesbildungsrat aus Wissenschaftlern, Praktikern, Eltern- und Wirtschaftsvertretern ersetzen."

 

Vorschläge, die eigentlich etliche Populismuspunkte garantieren sollten, wäre da nicht gerade eine FDP-Bundesbildungsministerin gewesen, die vorgeführt hat, wie grandios auch der Bund in der Bildungspolitik scheitern kann. Aber hat die FDP, abgesehen von diesem Seitenhieb, nicht Recht? Kann sie die Wahrheit einfach ungeschminkter aussprechen, weil sie in den Bundesländern nicht mitverantwortlich ist für den real existierenden Bildungsföderalismus?

 

Ja und nein. Ja: Trotz aller bereits eingeleiteter Strukturreformen bei der KMK muss sich grundsätzlich etwas ändern. Nein: Die Veränderung muss in exakt die Gegenrichtung laufen von dem, was die FDP verlangt. Die Antwort auf die Unbeliebtheit des Bildungsföderalismus ist nicht weniger, sondern mehr Bildungsföderalismus. 

 

Ein Ende des Zuständigkeit-Kuddelmuddels

 

Schon weil die Länder sich nie die Zuständigkeit für Bildung, Wissenschaft und Kultur wegnehmen oder auch nur einschränken lassen. Sie ist älter als die Bundesrepublik und der Grund schlechthin, warum es überhaupt die Länder gibt.

 

Noch wichtiger aber ist: Es braucht ein Ende des Zuständigkeit-Kuddelmuddels, das schon einen beträchtlichen Teil des gesellschaftlichen Frusts erklärt. Doch nicht die Länder, sondern der Bund muss raus aus der faktischen Mitverantwortung.

 

Die Föderalismusreform von 2006 hat das schon einmal versucht, indem sie die Bildungsplanung als "Gemeinschaftsaufgabe" abschaffte, und blieb doch halbherzig: Die Länder bekamen nicht das nötige Plus an Steuermitteln. Mit dem Ergebnis, dass die Reform später als gescheitert erklärt wurde. Seitdem hängen die Länder zunehmend über große und kleine Programme, vom "Digitalpakt" bis zu den "Startchancen", am Tropf des Bundes. 

 

Das Ziel mögen einheitliche Standards sein. Tatsächlich aber vermehren solche Programme vor allem den Koordinierungsaufwand. Allein für die Aushandlung der immer noch nicht finalen Digitalpakt-Fortsetzung saßen die Vertreter von Bund und Ländern in Dutzenden teilweise ganztägigen Verhandlungsrunden, produzierten haufenweise Papiere und beschäftigten ihre Verwaltungen. Während die Länder, wann immer der Bund auf mehr Vereinheitlichung pocht, die Kultushoheit-Abwehrschirme hochfahren. 

 

Ein Föderalismus ohne Kleinstaaterei

 

Doch auch mit dieser Kleinstaaterei, die den Rest des deutschen Bildungsföderalismus-Frusts erklärt, muss Schluss sein. Zwar stimmt es, dass die KMK aus eigener Kraft bereits wichtige Schritte gegangen ist, etwa zu einer größeren Vergleichbarkeit beim Abitur. Doch macht das sogenannte Einstimmigkeitsprinzip, das aktuell in der KMK herrscht, die Fortschritte mühsam und mitunter widersprüchlich und richtet Ausmaß und Tempo nach dem größten Bremser. Mit dem Ergebnis, dass in der Öffentlichkeit weiter ein Eindruck der Unentschlossenheit dominiert und die vorhandenen Stereotype verfestigt.

 

Das wird sich erst ändern durch die Einführung von bindenden Mehrheitsentscheidungen bei zentralen Fragen der Bildungspolitik. Ob Abistandards, Schulbezeichnungen, Informatik als Pflichtfach, überall die gleichen Wege in den Lehrerberuf oder die Verpflichtung zu Transparenz von Schülerleistungen, auch wenn sie wehtut: Gäbe es die Mehrheitsvoten, müssten auch Länder, die dagegen waren, gemeinsam gefasste Entscheidungen umsetzen. Die dürften dann viel spitzer und ambitionierter ausfallen.

 

Über eine Grundgesetzänderung ginge das. Diese könnte Themenfelder bindender Mehrheitsentscheidungen definieren und das dafür nötige – hohe – Quorum. Etwa dass mindestens elf Länder zustimmen müssen, um die übrigen fünf zu binden (oder 13 zu drei). Hier müssten die Kultusminister allerdings zu ihrem Glück gezwungen werden, allein waren sie dazu in sechs Jahren Reform nicht in der Lage

 

Kein Bund-Länder-Geschiebe mehr, keine gegenseitigen Vorwürfe, wenn die Verhandlungen scheitern, der Transfer aller Bundesbildungsausgaben in die Hoheit der Länder, in der Folge die Abschaffung eines Bundesbildungsministeriums – und im Gegenzug die Verankerung von Mehrheitsentscheidungen in einer nicht abgeschafften, sondern wirklich schlagkräftigen Kultusministerkonferenz: So sähe sie aus, die Blaupause für einen effizienten – und damit auch auf absehbare Zeit beliebteren – Bildungsföderalismus.

 

Der dann zugleich Stärken ausspielen könnte, die kein zentralistisches Bildungssystem bietet: die Nähe der Bildungspolitik zu den Menschen vor Ort. Das Eingehen auf die regionalen Unterschiede zwischen Stadt und Land. Das Wetteifern um die besten Bildungskonzepte und -strategien. Und ein in Zeiten wackliger Demokratien besonders wichtiger Schutz vor Gleichmacherei durch eine einzige übermächtige Regierung. 

 

Realistisch? Nun ja. Aber immer noch realistischer als all die Forderungen, einen Föderalismus abzuschaffen, der nicht weggehen wird. Nutzen wir ihn also als Chance.

 

Dieser Essay erschien in leicht gekürzter Fassung zuerst im Tagesspiegel.



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Kommentare: 2
  • #1

    Franka Listersen (Montag, 20 Januar 2025 09:47)

    Eine interessante Idee. Allerdings nicht ganz konsequent zuende gedacht, denn "mehr Föderalismus" und "Mehrheitsentscheidungen in der KMK" geht nicht wirklich zusammen.

    Ich neige inzwischen dazu, dass es fast egal ist, bei wem die Bildungspolitik konzentriert wird, ob beim Bund oder in den einzelnen Ländern, solange einer (und nur einer) mal wirklich verantwortlich ist - und selbst über das Recht zur Mittelerhebung- und verteilung verfügt. Aber das würde noch ein großes Fass aufmachen, Stichwort "eigene Steuerhoheit der Länder".

    Die unterschiedlichen Bildungsphilosophien, also "linke" gegen "rechte", mal gegeneinander laufen zu lassen und zu schauen, was "hinten rauskommt", hätte schon Charme. Zumal wenn man den Bildungsabnehmern (Betriebe UND Hochschulen) freistellen würde, wen sie nehmen.

  • #2

    Theodor Mann (Mittwoch, 22 Januar 2025 10:05)

    Ein durchaus erfrischender Ansatz, wo man doch sonst allenthalben auf den Föderalismus schimpft und das Heil im Zentralismus erhofft. Klappt das denn bei der Gesundheitspolitik?
    Mehrheitsentscheidungen in der KMK würden deren Beschlüsse jedoch entkräften und diese zu unverbindlichen Hinweisen machen. Dies wiederum würde ggf. zu mehr Bildungswettbewerb führen und das stelle ich mir wirklich spannend vor.