Mit dem Hybridsemester wird das in der Coronakrise nichts
Die Hochschulen machen sich etwas vor, wenn sie trotz der Corona-Zahlen auf Präsenzlehre hoffen. Sie sollten ehrlich ein weiteres Digitalsemester kommunizieren. Ein Kommentar.
ES SIND SÄTZE WIE aus einer anderen Welt. "So viel Präsenz wie möglich und so viele Online-Veranstaltungen wie nötig" werde es im Wintersemester an Deutschlands Hochschulen geben, verkündete etwa Nordrhein-Westfalens parteilose Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen noch vergangene Woche. Ziel der Landesregierung sei es, den Campus wieder zu einem Ort der Begegnung und des Austauschs werden zu lassen, sagte die Ministerin laut Westfalen-Blatt.
Ähnliche Ansagen haben Wissenschaftspolitiker aller Bundesländer in den vergangenen Monaten gemacht und damit die Hochschulrektoren vor sich hergetrieben. Von denen die meisten ein "Hybridsemester" versprachen, eine Mischung aus Präsenz und Digital, auch um zu signalisieren: Eine Wiederholung des rein digitalen Sommersemesters wird es nicht geben. Und vor drei Monaten, als die Corona-Neuinfektionen auf Tiefständen lagen, waren diese Hoffnungen ja auch durchaus berechtigt.
Warum wandelt sich die Hybridsemester-Rhetorik bis heute nicht?
Irritierend ist indes, dass sich die Hybridsemester-Rhetorik vielerorts bis heute offiziell kaum gewandelt hat. Dabei ist seit August absehbar und spätestens seit vergangener Woche klar, dass es nichts wird mit dem so anderen Wintersemester. Egal, ob die aktuellen Corona-Zahlen angesichts einer Vervielfachung der Tests im Vergleich zum Frühjahr nun noch nicht oder doch schon mit denen zu Zeiten des Shutdowns zu vergleichen sind – die inzwischen erreichte Dynamik ist es. Nur hat es die Realisierung dessen noch nicht in die Köpfe aller für die Hochschulen Verantwortlichen geschafft.
Der Professor einer süddeutschen Universität twitterte vor dem Wochenende: "7-Tage-Inzidenz 63,4. Grüße aus dem Hotspot. Präsenzlehre soll nach Willen des Rektorats im Wintersemester laufen. Wir werden halt viel Desinfektionsmittel trinken müssen."
Krasse Worte, aber sie haben einen wahren Kern: Die Hochschulen müssen sich dringend ehrlich machen. Nicht nur, weil es um den Schutz der Hochschulangehörigen selbst geht. Mindestens genauso geht es um die gesellschaftliche Verantwortung der Hochschulen als Ganzes. Besonders auch gegenüber anderen Bildungseinrichtungen: Das knappe Budget sozialer Interaktionen, das uns als Gesellschaft bleibt, sollte für die Jüngsten in Kitas und Schulen reserviert werden, die sich nicht selbstverantwortlich zu Hause organisieren können.
Es ist ja richtig: Das digitale Sommersemester, das laut vieler Umfragen angeblich so viel besser gelaufen ist als erwartet (Erwartungen hatte ja auch keiner), hat Kraft gekostet. Und nebenbei eine völlig überflüssige Debatte ausgelöst, ob es eine versteckte Agenda gebe, die Präsenzlehre auch nach der Corona-Pandemie nicht wiederzubeleben. Die Hybrid-Rhetorik war insofern immer auch Beschwichtigung.
Keine Zeit für Hinhaltespielchen
Aber jetzt ist nicht die Zeit für Hinhalte-Spielchen. Es ist, bevor die Mehrheit der Hochschulen demnächst ins Wintersemester startet, Zeit für eine aufrichtige Kommunikation.
Erstens: Das Wintersemester wird eine Neuauflage des Sommersemesters. Und zwar des ersten Teils – bevor es erste Lockerungen gab. Mit allen sozialen Einschränkungen, die das für Lehrende und Studierende bedeutet.
Zweitens: Die Hochschulen können und werden das schaffen. Sie haben viel geleistet und gelernt seit dem Beginn der Pandemie. Insofern wird es eine technisch und didaktisch reibungslosere Version des Sommersemesters – wenn die Hochschulen, anstelle noch von "Hybrid" zu sinnieren, alle Energie in die Umsetzung des Digitalen stecken.
Drittens: Dafür verdienen die Hochschulen jetzt alle – auch finanzielle – Unterstützung der Politik. Und nicht auch noch das Schüren zusätzlichen Präsenz-Erwartungsdrucks von der Seitenlinie aus.
Dieser Beitrag erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
Kommentare
#1 - Dem Artikel ist fast nichts hinzuzufügen. Es ist exakt so…
#2 - Zustimmung mit einem aber: Sicherlich ist der oft…
#3 - Wir müssen aber wenigstens die Laborveranstaltungen,…
#4 - Machen es sich die Hochschulen denn so einfach, wenn sie in…
Begrenzte und sinnvoll eigesetzte Präsenz erfolgt ja gerade in "gesellschaftliche[r] Verantwortung der Hochschulen". Am Anfang des Studiums bilden sich Freundschaften und Lerngruppen für das Studium und darüber hinaus. Diese entscheiden über Lernerfolge und Lebenswege. Vor allem hierfür sollten wir das tatsächlich "knappe Budget sozialer Interaktionen" investieren.
Vielleicht muss man tatsächlich im Semester die Präsenz reduzieren oder aussetzen, das Szenario wird eingeplant. Aber wir sollten mutig genug sein, begrenzte Präsenz verantwortungsbewusst zu wagen.
#5 - Ich denke, dass wir als Hochangehörige keine Energie und…
Ich würde gerne mehr Diskussion und Austausch sehen, um das Sommersemester aufzuarbeiten und die resultierenden Erfahrungen und Lehren für weitere und wichtige Verbesserungen des Online-Angebotes zu nutzen. Ich denke da mal an das erforderliche Aufrüsten der IT-Infrastruktur an den Hochschulen und die Erweiterung der entsprechenden Support-Abteilungen. Da gäbe es noch viel zu tun und zu holen.
#6 - Wir machen uns ehrlich und führen nach dem im Sommer…
Wie Markus Winzker oben geschrieben hat, "Präsenz verantwortungsbewusst wagen".
#7 - Ich Studiere selber ein MINT Fach und bei uns gab es keinen…
Studenten haben diese dan daheim ausgewertet.
#8 - Ich plädiere seit dem SoSe für Verlässlichkeit (mit…
Mein Postulat zum WiSe war schon im August: wer nicht Ersti ist und nicht MINT Studiert, kann sich den Campus beim Besuch am Sonntag vornehmen. Deshalb gute Entscheidung des Landes Berlin, klare Ansage und ausser den Erstis wissen Alle wie es laufen wird.
Nun muss nur noch die Unileitung mit der Suggestion über die Präsenz der MitarbeiterInnen aufhören, da dass nicht den Intensionen dieser Maßnahmen entsprechen kann.
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