Das U-Boot ist gesunken
Auf Druck der Hochschulen streicht die KMK die Pflicht zur Lehrverfassung.
ENDE SEPTEMBER HATTE ich berichtet, dass sich in der Musterrechtsverordnung zur Akkreditierung ein U-Boot befand. Ein Passus, der überraschend dort aufgetaucht und doch zunächst von vielen übersehen worden war – die Verpflichtung der Hochschulen zu einer Lehrverfassung. Zitat aus Paragraph 17: „Die Hochschule verfügt über eine Lehrverfassung, die sich in ihren Studiengängen widerspiegelt.“
Trockener Satz, große Wirkung. Keine Akkreditierung mehr ohne Lehrverfassung, genauer: keine Systemakkreditierung, auf die zumindest die größeren Hochschulen spitzen, weil sie sich damit die externe Akkreditierung von Studiengängen sparen können.
Das Problem: Es handelte sich lediglich um einen Entwurf, und schon damals stand auf der Kippe, ob die Lehrverfassung es in die Endversion schaffen würde. Sieben Wochen später ist klar: Hat sie nicht. Vor ein paar Tagen haben die Amtschefs in der Kultusministerkonferenz (KMK) die neueste Fassung der Verordnung auf dem Tisch gehabt, doch das Wort "Lehrverfassung" sucht man darin vergeblich. Die KMK hat sie auf der Zielgeraden herausgenommen und durch den Begriff "Lehrleitbild" ersetzt.
Schon viele Wissenschaftsminister und Staatssekretäre hatten skeptisch auf die "Lehrverfassung" geschaut. Doch den Ausschlag gaben am Ende offenbar die Hochschulen, die in der abschließenden Befragungsrunde vor einer "Bürokratisierung" durch die Pflicht zur Lehrverfassung warnten. Wobei die vom Wissenschaftsrat erstmals 2015 formulierte Idee eigentlich genau das nicht sein sollte: ein Papiertiger. Die Rektorate, so zumindest die Vorstellung des Wissenschaftsrates, könnten mithilfe der Lehrverfassung, eine hochschulweite Debatte über den Stellenwert der Lehre anzustoßen. Fertig wäre die Verfassung erst, nachdem Professoren, Mitarbeiter und Studenten ihre Inhalte gemeinsam ausgehandelt haben. So verstanden könnte die Lehrverfassung der Gesellschaftsvertrag einer Hochschule werden.
Zuletzt hat der Wissenschaftsrat seine Idee im Positionspapier "Strategien für die Hochschullehre" bekräftigt, das im Mai veröffentlicht wurde. Doch offenbar ist es dem wissenschaftspolitischen Beratungsgremium seitdem nicht gelungen, die Stimmung in den Hochschulleitungen zugunsten seines Vorschlags zu drehen.
Was womöglich tatsächlich auch mit dem Wort an sich zu tun hat. "Ich finde den Begriff der Lehrverfassung schon deshalb nicht ganz glücklich", sagt etwa der Mainzer Unipräsident Georg Krausch, "weil man ihn juristisch als eine Art einklagbares Regelwerk missverstehen kann. Auch absichtlich missverstehen kann."
Bei dem statt dessen in die Verordnung gerutschten Begriff "Leitbild" handle sich um eine "begriffliche Modernisierung", beschwichtigt ein Ministerialbeamter, "vom Regelungsgehalt her läuft der Begriff auf dasselbe hinaus." Viel kann das nicht sein, denn wie der Beamte hinzufügt: Er und seine Kollegen hätten mit "Lehrverfassung" ohnehin nie die Deutung des Wissenschaftsrates im Sinn gehabt.
Apropos Modernisierung: Von "Leitbildern" war bei der Akkreditierung auch bislang schon die Rede. So tut der Paragraph 17 in seiner finalen Fassung keinem mehr weh. Eine spürbare Wirkung entfalten wird er aber auch nicht.
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