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Ein Update für unser Innovationssystem

Klimakrise, Digitalisierung, globaler Wettbewerb: Wir können es uns nicht mehr leisten, die Erkenntnisse kreativen Erfindergeistes in Laboren verstauben zu lassen. Ein Gastbeitrag von Anna Christmann.

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Artikelbild: Ein Update für unser Innovationssystem

Foto: Hans / GDJ - pixabay - cco.

DEUTSCHLAND IST INNOVATIONSWELTMEISTER – zumindest besagte das kürzlich der neue Bloomberg Innovation-Index. Können wir uns also im Erfolg sonnen und entspannt zurücklehnen? Das wäre fatal. Denn es sind vor allem der Hightech-Maschinenbau und die Automobilindustrie, denen Deutschland seine Spitzenposition verdankt. Und beide befinden sich mitten in einem tiefgreifenden Wandel.

Die Klimakrise fordert unsere moderne Gesellschaft in einer nie dagewesenen Dringlichkeit heraus. Gleichzeitig beschleunigt und transformiert die Digitalisierung beinahe alle Bereiche der Gesellschaft. Über Europa wird jedoch oft nicht ohne Ironie gesagt, wenn es um die Transformation unserer Wirtschaft gehe, hätten wir zwar wenig Kapital – dafür aber besonders viel Zeit. Die Innovationsketten sind bei uns oft lang, und der Weg aus der Wissenschaft in die Praxis ist mühsam.

Wir können es uns nicht mehr leisten, die Erkenntnisse kreativen Erfindergeistes in Laboren verstauben zu lassen. Dafür sind die Herausforderungen zu ernst, und die Zeit wird auch für uns Europäer knapp –


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Artikelbild: Ein Update für unser Innovationssystem

Anna Christmannist grüne Bundestagsabgeordnete und Sprecherin ihrer Fraktion für Innovations- und Technologiepolitik.Foto: privat.


sowohl im globalen Wettlauf um die besten Ideen als auch, um Lösungen für die Klimaprobleme zu finden.

Als Grüne treiben uns die Zukunftsherausforderungen um, die Klimakrise ebenso wie die Umwälzungen durch die Digitalisierung. Um sie zu bewältigen und, mehr als das, sie sogar als positiven Antrieb zu nutzen, brauchen wir dringend ein Update für unser Innovationssystem. Drei Bereiche sind bei diesem Update zentral: die Förderung regionaler Innovationsökosysteme, mehr Ausgründungen aus der Wissenschaft und eine stärkere Orientierung an den globalen Nachhaltigkeitszielen. Alle drei Ziele müssen wir mit Mut verfolgen: dem Mut zur Prioritätensetzung, zu Investitionen und zu neuen Netzwerken.


Regionale Ökosysteme als Kristallisationspunkte für Talente und Ideen

Wir brauchen Kristallisationspunkte, die weltweit Talente anziehen, die auf höchstem Niveau Neues ausprobieren und in die Anwendung bringen. Innovationen entstehen selten im stillen Kämmerlein, sondern durch das Zusammenbringen verschiedener Akteure aus Wissenschaft, etablierten Unternehmen, Startups, öffentlicher Verwaltung und Zivilgesellschaft. Solche regionalen Ökosysteme entstehen häufig rund um Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Erst kürzlich betonte Max-Planck-Präsident Martin Stratmann die große Bedeutung wissenschaftlicher Zentren für die Innovationsstärke eines Landes. Auch der Wissenschaftsrat und acatech empfehlen die Stärkung solcher regionalen Innovationscluster.

Die Förderpolitik des Bundes geht an der Stärkung solcher Zentren bisher weitgehend vorbei. Erfolgreiche Ansätze wie das Cyber Valley in Stuttgart-Tübingen oder die UnternehmerTUM an der TU München sind weitgehend von den Ländern selbst und mit privatem Kapital vorangetrieben worden. Die Bundesförderung krankt daran, dass sie entweder zu kleinteilig ist oder eher Strukturen statt Innovationen unterstützt. Prominentes Beispiel ist die Bundesstrategie zur Künstlichen Intelligenz, derzufolge viele kleine Zentren gefördert und gar noch neu aufgebaut werden sollen, statt sich auf einige starke Knotenpunkte zu konzentrieren.

Positiv zu nennen ist immerhin die Zukunftscluster-Initiative. Es ist zu hoffen, dass sie mit rund 35 Millionen Euro jährlicher Fördersumme Dynamik entwickeln kann. Daneben gibt es die zahlreichen kleinen Förderprogramme wie RegioWIN oder andere, die kleine Erfolge, aber keine disruptiven Innovationen hervorbringen.

Es geht also um einen gezielten Aufbruch für Innovationsökosysteme. Dazu schlagen wir einen themen- und akteursoffenen Wettbewerb "Regionale Innovationsökosysteme" vor. Dieser soll eine flexible Förderung in engem Austausch mit den Akteuren vor Ort und eine aktive Begleitung der Ökosysteme durch Persönlichkeiten ermöglichen, die in den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft erfahren und vernetzt sind. Strukturstarke Regionen sollen ebenso wie strukturschwache antragberechtigt sein.

Manche Innovationen brauchen bereits gut entwickelte Rahmenbedingungen vor Ort, andere können womöglich gerade gut etwas ganz Neues schaffen, wo noch nicht viel Infrastruktur ist. Entscheidend ist hier wie dort, dass nicht irgendein Forschungsinstitut wie ein UFO in eine Region einschwebt, sondern Innovationsthema und Region zusammenpassen.

Kluge Ideen umsetzen: Aus der Wissenschaft ins Startup

Zu viele Erkenntnisse und Ideen schaffen es nie aus den engen Zirkeln der Wissenschaft hinaus. Dies gilt sowohl für potentiell gut kommerziell nutzbare Entwicklungen, noch stärker aber für solche, die zwar einen hohen gesellschaftlichen, aber nicht unmittelbar einen kommerziellen Nutzen versprechen.

Ausgründungen aus der Wissenschaft sind daher eine besondere Chance, weil sie unmittelbar Wissen in Anwendung bringen. Diese Erkenntnis ist nicht neu, und seit Jahr und Tag verweist die Bundesregierung auf das EXIST-Programm zur Förderung von "Existenzgründungen aus der Wissenschaft." Doch werden damit tatsächlich wissensgetriebene Innovationen in die Anwendung gebracht? Oder ist EXIST vielmehr ein genereller Fördertopf für Gründerinnen und Gründer, die an einer Hochschule eingeschrieben oder angestellt sind? Ob tatsächlich Forschungsergebnisse in die Gründung einfließen, ist bisher weitgehend offen.

Um die Kooperationen von Wissenschaft mit Wirtschaft und Zivilgesellschaft tatsächlich zu intensivieren, sollte die Startup-Förderung des Bundes deshalb – zweitens – stärker auf wissensgetriebene ausgerichtet werden, auf technologische genauso wie auf nicht-technische, soziale Innovationen. Gemeinsam mit den Ländern sollte der Bund zudem massiv in den Ausbau bestehender Gründerzentren an Hochschulen und Forschungseinrichtungen investieren. Es gilt auch hier, dass es Räume braucht, in denen Ideen entstehen – ganz im physischen Sinn. Und nicht zuletzt sollten im Hochschulstudium mehr Gründungskompetenzen vermittelt werden.

Die globalen Nachhaltigkeitsziele als Nährboden für Innovationen

Die globalen Nachhaltigkeitsziele sind wichtige Leitplanken, die ein enormes Innovationspotential bieten. Weder die Hightech-Strategie noch das bisherige Konzept für die Agentur für Sprunginnovation der Bundesregierung lassen jedoch eine echte Ausrichtung auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen erkennen. Die Bundesregierung behauptet dies zwar von der Hightech-Strategie, kann bisher aber nicht einmal beantworten, wieviel Geld prozentual tatsächlich in die einzelnen thematischen Schwerpunkte Klima, Umwelt und soziale Innovationen fließt. In den vorliegenden Konzepten zur Agentur für Sprunginnovationen wurden Nachhaltigkeitsziele bisher nicht einmal erwähnt.

Wir brauchen deshalb – drittens – auch beim Thema Nachhaltigkeit mehr Mut für klare Prioritäten. Machen wir aus Herausforderungen Chancen und denken zum Beispiel Klima und Digitalisierung endlich zusammen. Die Einrichtung einer gemeinnützigen "Innovationsstiftung für Nachhaltigkeit und soziale digitale Anwendung" (INSDA) ist dringend geboten, um die Digitalisierung zum Wohl von Mensch und Umwelt zu nutzen und zum Beispiel Lösungen für den steigenden Stromverbrauch zu finden. Vorhandene Förderungen wie die Hightech-Strategie und die Agentur für Sprunginnovationen müssen konsequent auf die globalen Nachhaltigkeitsziele ausgerichtet werden, wie das bei Stiftungen in Schweden (Vinnova) oder Großbritannien (nesta) längst der Fall ist.

Kommentare

#1 -

Liberaler | Mi., 29.01.2020 - 12:29
Das Problem sitzt viel tiefer: Die Bundesregierung betreibt Imagepflege, anstatt Probleme zu lösen. Auf allen Politikfeldern. Keine der mit großem Tamtam angekündigten Innovationsinitiativen des BMBF oder des BMWi funktioniert. Es werden nur Lippenbekenntnisse inszeniert. Wäre das anders unter einer grünen Forschungsministerin? Mir fehlt der Glaube: Es kämen nur andere, eben grüne, Lippenbekenntnisse heraus.

Wer das ändern wollte, müßte die Rekrutierngsmechanismen der politischen Parteien radikal verändern. So, daß nicht nur Karrieristen auf Spitzenpositionen gelangen sondern auch intrinsisch motivierte Veränderer. Echte Social Entrepreneurs zum Beispiel. Thomas Sattelberger hat das erkannt, aber die FDP-Spitze noch nicht.

#2 -

Gregor Bucher | Sa., 01.02.2020 - 11:27
Gute Analyse - gute Vorschläge! Zwei Ergänzungen: 1) Es braucht auch gesellschaftliche Offenheit für Innovationen - z. B. nicht nur beim Thema Auto / Umwelt, sondern generell - zum Beispiel auch Genschere.
2) Die grundlegenden Innovationen kommen aus völlig unerwarteten Ecken. Daher lieber keine politischen engen Vorgaben zu den Inhalten und Zielen der Forschung (INSDA) sondern politische Vorgabe zu den gesellschaftlichen Zielen, was den "Markt" bereitet für Innovation.

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