Direkt zum Inhalt

Bildung unter den Schutzschirm!

In der Corona-Krise drohen hunderttausenden Honorarkräften massive Einnahmeausfälle. Politik und Gesellschaft müssen sich jetzt fragen, was ihnen Bildung und Kultur wert sind. Ein Gastbeitrag von Bernd Käpplinger.

Bild
Artikelbild: Bildung unter den Schutzschirm!

Foto: jarmoluk / pixabay - cco.

WIR ERLEBEN EINE außergewöhnliche Situation. Das soziale Leben kommt zum Erliegen. Social Distancing ist das neudeutsche Gebot der Stunde. Dies betrifft auch den Bildungsbereich. Aktuell stehen die Schulschließungen im Mittelpunkt des Interesses. Die meisten Hochschulen haben durch die vorlesungsfreie Zeit noch relativ wenig akuten Handlungsbedarf, wenngleich Klausuren und mündliche Prüfungen teilweise verschoben worden sind. Was ist aber mit anderen Bildungsbereichen wie der Weiterbildung?

Laut der einschlägigen Studie "Personalmonitor" handelt es sich bei rund 70 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse in der Weiterbildung um selbständige Arbeit in Form von Honorar- und Werkverträgen. Experten zählen 945.917 Verträge dieser Art, die sich jährlich auf die insgesamt rund 700.000 Beschäftigten in der Branche verteilen.

Auch an hunderten Volkshochschulen und Bildungsstätten wird die Bildungsarbeit ausgesetzt

An hunderten öffentlichen wie privaten Tagungshäusern, Bildungsstätten oder Volkshochschulen wird nun auch die Bildungsarbeit ausgesetzt. Einnahmen brechen massiv weg, doch die laufenden Kosten können oft nur begrenzt reduziert werden. Die Honorarausgaben werden so wie in jeder Krise zu einem der zentralen Streichposten. Freiberuflerinnen und Freiberufler haben die schwächste Position von allen Beschäftigten. Zwar sind ganz sicherlich nicht alle Freiberufler als prekär Beschäftigte einzustufen. Auch gehört es zur unternehmerischen – auch zur kleinunternehmerischen – Verantwortung, Rücklagen für Krisenzeiten zu bilden. Allerdings ist die Problemlage offensichtlich, wenn man zum Beispiel an eine alleinerziehende Dozentin denkt, die freiberuflich Lehrverträge auf Mindestlohnhöhe bekommt, sich privat kranken-und rentenversichern muss und der nun plötzlich die Aufträge wegbrechen. Ähnliches gilt für den gesamten Kulturbereich.


Bild
Artikelbild: Bildung unter den Schutzschirm!

Bernd Käpplingerist Professor für Weiterbildung an der Universität Gießen und Vorsitzender der Sektion Erwachsenenbildung in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft. Foto: A. Schaal.


Die Politik verweist auf Kurzarbeitergeld als Maßnahme des Krisenmanagements, wo bereits Anpassungen vorgenommen wurden. Vielleicht gibt es ja schon noch weitergehende Pläne, aber bislang gilt dieser Anspruch nur für versicherungspflichtig Beschäftigte. Freiberufler bekommen kein Kurzarbeitergeld bzw. nur dann, wenn sie selbst erkrankt sind oder unter Quarantäne gestellt werden. Das sieht das Bundesgesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten vor. Die Höhe der Entschädigungssumme für die Zeit der Quarantäne bemisst sich an den letzten Jahreseinnahmen laut Steuerbescheid.

Es zeigt sich eine Förderlücke, bei der man sich fragen muss, was der Gesellschaft und Politik Bildung und Kultur sowie die dort Beschäftigten wert sind. Es ist zu hoffen, dass die Rechtslage der schnell verändernden


Situation angepasst wird und keine Beschäftigten ohne Überbrückungshilfe bleiben.

Einige sehen in der weiteren Digitalisierung die Antwort auf die aus der Coronakrise resultierende Bildungskrise. Tatsächlich sollten nun alle digitalen Möglichkeiten genutzt werden, um Präsenztermine zu ersetzen. Gelingt das, könnte die aktuelle Ausnahmesituation ein Motor sein, um die Digitalisierung des ganzen Bildungssystems, einschließlich der Weiterbildung, weiter zu befördern.

In ländlichen Regionen ist der Ausgang des erzwungenen Digitalisierungsexperiments schon absehbar

Allerdings müssen dafür sowohl die technischen Voraussetzungen als auch die sozialen Rahmenbedingungen stimmen. Es wird ein spannendes Experiment mit offenem Ausgang werden, wenn jetzt von heute auf morgen jeglicher Unterricht von Schulen, Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen in Deutschland in großen Teilen per Videos, Plattformen und Streaming erfolgen soll. Der Energieverbrauch dürfte enorm ansteigen, und die Bedenken sind groß, ob das die IT-Netze wirklich stemmen können. In ländlichen Regionen mit den oft langsamen und schlecht ausgebauten Netzten ist der (negative) Ausgang des Experiments schon absehbar. Und einen Digital-Crash durch Virusangriffe ähnlich wie in Gießen seit Dezember 2019 dürfte es nicht geben, wobei in Bayern aktuell eine Schulplattform bereits gehackt wurde. Virale Gefahren gibt es real und virtuell.

Es gehört zu einem Tabu in der Digitalisierungsdebatte: Diskussionen über ihre ökologische wie ökonomische Nachhaltigkeit werden wenig geführt, doch den Ressourcenverbrauch bei Gedrucktem betonen Digitalisierungsfans gern. Vor Corona war der Energieverbrauch aller Server in Frankfurt am Main schon größer als der des dortigen internationalen Flughafens.

Zurück zu den prekär beschäftigten Dozenten in der Bildung. Es ist mehr als fraglich, diese nun mal schnell in die digitalisierte Lehre umsteigen können – und ob sie dafür eine Bezahlmodell etablieren können angesichts der vielen kostenfreien Digitalangebote. Crowdfunding oder Pay-per-View hat im Journalismus bislang ökonomisch nicht richtig in der Breite überzeugt. Warum sollte das im Bildungsbranche besser gelingen?

Wie reagiert die Nationale Weiterbildungsstrategie agil auf die neue Situation?

So kann die Digitalisierung nur einen kleinen Teil zur Lösung beitragen. Viel wichtiger ist es, die aktuell besonders prekäre Situation von Freiberuflerinnen und Freiberufler in Bildung und Kultur gleichermaßen wahrzunehmen und im Rahmen des Möglichen zu lindern. Dies kann private Hilfe meinen. Vielleicht könnten Spendenaktionen gestartet werden? Wäre es denkbar, dass es Solidarität zwischen den pädagogischen Berufsgruppen gibt? Könnten verbeamtete Lehrende in Schulen und Hochschulen mit krisenfestem Gehalt nicht in einen Fonds spenden?

Doch auch dann wird es ohne weitere staatliche Maßnahmen nicht gehen. Es ist überfällig, das Freiberuflerinnen und Freiberufler besser sozial abgesichert werden. Temporär könnte die Bundesregierung eine große steuerliche Entlastung für freie Berufe mit geringen Einkommen beschließen. Wie reagiert die Nationale Weiterbildungsstrategie agil auf die neue Situation?

Krise bedeutet etymologisch nicht Niedergang, sondern Entscheidung. Wie entscheiden wir hier über die Zukunft unseres Bildungssystems?

Kommentare

#5 -

Birgit Scheltmann | Mi., 18.03.2020 - 22:29
So ist es!
Aktuell habe ich „Urlaub“, weil zwei meiner Kurse wegen Covid 19, zunächst bis zum 19.April ausgesetzt wurden. Vier Wochen, in denen ich keine Einnahmen habe. 35 Euro pro Stunde wären angemessen, allein wegen der unbezahlten Unterrichtsvorbereitung im „Homeoffice“.

#6 -

ANA | Do., 19.03.2020 - 00:37
Guten Abend an Alle.
Aktuell habe ich seit dem 13.03.2020 und bis zum 30.04.2020 "Ferien"; Alle meine Kurse sind wegen Covid 19, ausgesetzt wurden. Danach steht auch nicht wie es weiter gehen ssoll. Also mind. 6 Wochen, in denen ich "0" Einnahmen habe. 35 Euro pro Stunde wären - das Minimum - als angemessen zu sehen: die Unterrichts - vorbereitung im „Homework“ ist nicht inbegriffen.

Neuen Kommentar hinzufügen

Ihr E-Mail Adresse (wird nicht veröffentlicht, aber für Rückfragen erforderlich)
Ich bin kein Roboter
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.

Nachfolgende Beiträge in dieser Kategorie


  • Generation Greta

Generation Greta

So politisch waren junge Leute schon lange nicht mehr. Die "Generation Greta" könnte die Regierungsparteien an den Rand ihrer Existenz treiben. Ein Gastbeitrag von Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht.


  • Zwei Wege, ein Ziel

Zwei Wege, ein Ziel

Viele Hochschulen in Deutschland ringen um die "richtige Governance". Hinter den Auseinandersetzungen verbergen sich zwei sehr unterschiedliche Verständnisse wissenschaftlicher Produktion. Beide haben ihre Berechtigung, müssen sich aber auch gegenseitig anerkennen. Ein Gastbeitrag von Carola Jungwirth.


  • Und schon wieder grüßt die Hochschuleingangsprüfung

Und schon wieder grüßt die Hochschuleingangsprüfung

Wer die Coronakrise zur Entwertung des Abiturs nutzen will, verleugnet die Empirie: Die Abiturnote ist immer noch der beste Prädiktor für den Studienerfolg. Ein Gastbeitrag von Susanne Lin-Klitzing. AM MONTAG DIESER WOCHE schrieb Jan-Martin Wiarda unter der Überschrift: "Aufnahmeprüfung statt Abiturnote?": "Fallen...