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Teure Gebühren

Baden-Württembergs Landtag diskutiert über höhere Studiengebühren für internationale Studierende – obwohl die Anfängerzahlen in der Coronakrise um mehr als die Hälfte abgestürzt sind. Für Ministerin Bauer ist es eine Debatte zur Unzeit.

Bild: StockSnap / Pixabay.

DER VORSTOSS wirkt aus der Zeit gefallen. Die Zahl der internationalen Studienanfänger ist bundesweit im Pandemie-Jahr 2020 um 19 Prozent eingebrochen, doch der Finanzausschuss des Landtags von Baden-Württemberg will, dass eine Erhöhung der Studiengebühren für internationale Studierende um "mindestens zehn Prozent" geprüft wird.

 

3000 Euro pro Jahr kostet eine Studium an den baden-württembergischen Hochschulen seit dem Wintersemester 2017/2018; zahlen müssen grundsätzlich alle Nicht-EU-Bürger, wobei es Ausnahmen und Stipendienangebote gibt.

 

Eingeführt wurden die bundesweit einzigartigen Gebühren auf Initiative von Baden-Württembergs grüner Wissenschaftsministerin Theresia Bauer, nachdem der ebenfalls grüne Ministerpräsident Kretschmann allen Ministerien dauerhafte Minderausgaben verordnet hatte – Bauers Ressort 48 Millionen Euro pro Jahr. Einen solchen Betrag könne sie "nicht über Einsparungen an den Hochschulen und genauso wenig im Bereich der Kunst" abliefern, erklärte die Ministerin damals – und setzte die Gebühren durch. 2400 der 3000 Euro landen im Staatssäckel, 600 Euro fließen in die bessere Betreuung der internationalen Studierenden.

 

Schon damals war die Einführung umstritten und führte zu Studierendenprotesten und Mahnungen aus den Hochschulleitungen. Dabei schien die weitere Entwicklung Bauer zunächst Recht zu geben: Nachdem es bei den betroffenen internationalen Studienanfängern zunächst den (auch von der Ministerin selbst) prognostizierten Einbruch um ein Fünftel gegeben hatte, kletterten die Zahlen schon im darauffolgenden Wintersemester 2018/19 wieder um 8,7 Prozent und schienen sich auf diesem Niveau zu stabilisieren.

 

Ministerin Bauer widerspricht

Abgeordneten

 

Doch dann kam Corona. Im Wintersemester 2020/2021 registrierten Baden-Württembergs Hochschulen einen Rückgang der internationalen Studienanfänger um mehr als die Hälfte – von 6.294 auf 2.868. In diesem Wintersemester dürften die Zahlen wieder etwas günstiger aussehen, aber es ist dieser historische Absturz des internationalen Akademikeraustauschs, vor dem als Hintergrund der Finanzausschuss im Stuttgarter Landtag ausgerechnet jetzt höhere Studiengebühren prüfen lassen will. Und zwar schon bis Ende 2022.

 

Das Aktionsbündnis gegen Bildungs- und Studiengebühren (ABS) und der Bundesverband ausländischer Studierender (BAS) zeigten sich empört. Schon jetzt befänden sich internationale Studierende durch in der Pandemie weggebrochene Studentenjobs, finanzielle Probleme ihrer Eltern oder steigende Mieten "massiv unter Druck". Dass der Finanzausschuss seinen Prüfantrag mit dem Zusatz versehe, bei der "Entscheidung über den Zeitpunkt der Erhöhung die aktuelle pandemiebedingte Situation der internationalen Studierenden zu berücksichtigen", bezeichneten ABS und BAS als "Hohn". Wann denn dieser Zeitpunkt sein solle, sagte BAS-Finanzreferent Fabian de Plaque. Viele internationale Studierende hätten sich in der Pandemie verschulden müssen. 

 

Ministerin Bauer versichert auf Anfrage, dass ihr Ministerium keine Erhöhung der Studiengebühren plane. "Das Thema steht nicht auf unserer Agenda. Gleichwohl nehmen wir den Prüfauftrag bis Ende 2022 aus dem Finanzausschuss des Landtages zur Kenntnis und werden dann entsprechend antworten."

 

Über den Vorstoß des Landtages dürfte sich auch Bauer ärgern, denn dieser erschwert eine nüchterne Analyse der Lage enorm. Zu dieser Analyse würde gehören, die Entwicklung der internationalen Studienanfängerzahlen in Baden-Württemberg von vor Einführung der Gebühren bis zu Beginn der Pandemie genauer zu betrachten, inklusive der Auswirkungen auf einzelne Fächer und Hochschularten, vor allem aber auch im Vergleich zu den übrigen Bundesländern. 

 

Wie sich die internationale Studienanfängerzahlen
bis zur Pandemie entwickelten

 

Hierzu hat der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) mir auf Anfrage detaillierte Studierendendaten des Statistischen Bundesamts zur Verfügung gestellt. Sie stammen aus dem Service-Angebot der Publikation "Wissenschaft weltoffen", die der DAAD gerade erst wieder gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) veröffentlicht hat. Bei einem Vergleich der Wintersemester 2016/17 und 2019/20 zeigen sich für Baden-Württemberg folgende Trends: 

 

- 14,5 Prozent weniger internationale Studienanfänger im 1. Hochschulsemester und einem Bachelor- oder Masterstudiengang;

 

- 22 Prozent weniger internationale Bachelor-Anfänger, aber "nur" 7 Prozent weniger internationale Studierende, die fürs Masterstudium neu nach Deutschland gekommen sind;

 

- bei den Bachelor-Erstsemestern fand der größte Rückgang direkt im Jahr der Einführung statt (von 3.381 auf 2.769), in den beiden Folgejahren ging es weiter durchgängig, aber nur noch leicht abwärts bis auf 2.647.

 

- bei den Master-Erstsemestern ging es hin und her: direkt im ersten Jahr runter von 3.163 auf 2.829, 2018/19 dann eine überraschend starke Erholung auf 3.174 – vor einem erneute Rückgang 2019/20 auf 2.950.

 

- bezogen auf die Herkunftsländer gibt es keine eindeutigen Tendenzen. Kritiker hatten befürchtet, dass besonders Studierende aus ärmeren Ländern abgeschreckt werden würden. Unter den Ländern mit dem größten Minus waren Tunesien, Georgien und Marokko; unter den Ländern mit den größten Zuwächsen unter anderem Chile, Peru und Nigeria. 

 

- am meisten internationale Studienanfänger büßten ausgerechnet die Ingenieurwissenschaften ein, obwohl hier vor der Coronakrise der Fachkräftemangel besonders groß war. 

 

Baden-Württemberg: -12 Prozent,
der Rest von Deutschland: +13 Prozent

 

Das Ministerium von Theresia Bauer gibt leicht abweichende Zahlen an, weil es speziell nur die Gruppe der gebührenpflichtigen internationalen Studierenden betrachtet, kommt dabei von der Tendenz aber, siehe oben, zu sehr ähnlichen Ergebnissen: erst ein deutlicher Rückgang, dann eine Stabilisierung. Im Übrigen verweist es darauf, dass die Einnahmen aus den Gebühren von anfänglich 3,4 Millionen Euro 2017 auf 19,4 Millionen Euro 2020 gestiegen seien. 

 

Der Vergleich mit den anderen Bundesländern ist wiederum nur über die Gesamtzahl der internationalen Studierenden möglich (dort werden ja keine gebührenpflichtigen statistisch extra betrachtet, auch die Austauschstudierenden fließen ein), und dieser Vergleich ergibt: Während in allen anderen Bundesländern zusammengenommen die Zahl der internationalen Studienanfänger zwischen 2016/17 und 2019/20 um 13 Prozent stieg, sank sie in Baden-Württemberg um 12 Prozent. 

 

Aus Theresia Bauers Ministerium heißt es dazu: In den Jahren 2009 bis 2015 habe es einen massiven Aufwuchs bei den Studienanfängern um über 50 Prozent gegeben – wobei dies so für fast alle anderen Bundesländer auch galt und insofern wenig aussagekräftig ist.

 

Der zweite Teil des Statements ist es dafür umso mehr: Richtig sei auch, räumt das Ministerium weiter ein, "dass dem stabilen Trend in Baden-Württemberg in der zweiten Hälfte der Zehner-Jahre ein unverminderter Zuwachs in anderen Ländern gegenübersteht." Bundesweit habe sich die Zahl der bildungsausländischen Studienanfänger zwischen 2009 und 2019 nahezu verdoppelt. 

 

"Gute Ausbildungsbedingungen"

statt "schiere Quantitäten"?

 

Doch gehe es Baden-Württemberg bei den internationalen Studierenden nicht um "schiere Quantitäten", denn bundesweit lasse ihr Studienerfolg

zu wünschen übrig. "Von entscheidender Bedeutung für uns ist daher, den jungen Menschen gute Ausbildungsbedingungen zu schaffen", sagt Ministerin Bauer und verweist auf den Teil der Gebühren, der dafür an die Hochschulen geht. Im Ergebnis könne Baden-Württemberg – mit Ausnahme einiger ostdeutscher Bundesländer – "die bundesweit besten Betreuungsrelationen" bieten.

 

Womit Bauer durchaus einen Punkt hat: Gelingt es durch die bessere Betreuung, die Abbrecherquote unter internationalen Studierenden zu senken, so dass es zwar weniger Studienanfänger gibt, aber vielleicht gar nicht so viel weniger Absolventen? Das Problem: Eine empirisch eindeutige Antwort darauf wird auf absehbare Zeit nicht möglich sein – weil die Reform des Hochschulstatistik-Gesetzes 2016 zwar erstmals eine bundesweite Studienverlaufsstatistik vorgeschrieben hat, es jedoch keine Angaben vom Statistischen Bundesamt dazu gibt, wann diese Daten zum ersten Mal veröffentlicht vorliegen.

 

Hinzu kommt: Um wieviel und inwiefern die Studiengebühren konkret die Betreuungsrelationen vor Ort verbessert haben, bleibt offen.

 

Was aber sagt zu alldem der eigens eingerichtete unabhängige Monitoring-Beirat, der die Einführung der Gebühren bewerten soll? In ihm sind unter anderem Studierende, Hochschullehrer, Wissenschaftsexperten und Vertreter der Auslandsämter versammelt. Die Leitung hat der langjährige Rektor der Universität Basel und Vorsitzende des Österreichischen Wissenschaftsrats, Antonio Loprieno. Er sagt, es werde mindestens zwei Jahre dauern, "bis wir wieder empirisch zuverlässige, quantitative Daten zur Verfügung haben, aufgrund derer wir Trends in der studentischen Mobilität erkennen können." 

 

Mit anderen Worten: Jetzt ist es noch viel zu früh für eine belastbare Einschätzung. 

 

Hochschulen nutzen die
Befreiungsmöglichkeiten nicht aus

 

In seinem Zwischenbericht von März 2021 hatte der Monitoring-Rat festgestellt, dass sich aus den zur Verfügung gestellten quantitativen Daten bis zum Wintersemester 2019/20 noch "keine eindeutige Entwicklung ableiten" lasse, "weder zu Lasten einzelner Hochschularten noch zu Lasten bestimmter Herkunftsregionen". 

 

Dass Studierende aus weniger wohlhabenden Weltregionen nicht auffällig oft wegbleiben, deckt sich mit den Ergebnissen des Statistischen Bundesamts und dürfte von Bauer als gute Nachricht gesehen werden. Und das, obwohl laut Monitoring-Rat bislang überhaupt nur wenige Hochschulen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, besonders begabte internationale Studierende (und vor allem solche aus ärmeren Herkunftsländern) von der Gebührenpflicht zu befreien. Was offenbar damit zusammenhänge, berichtet der Rat, dass der notwendige Erlass einer Satzung mit einem erheblichen Aufwand verbunden sei, "der eher dann betrieben wird, wenn die Zahl der zu befreienden Studierenden diesen Aufwand rechtfertigt." 

 

Der Monitoring-Beirat, heißt es weiter, werde die Entwicklung der Studierendenzahlen und der Auswirkungen der Studiengebühren weiterhin begleiten. Ziel sei es, "im Konsens Empfehlungen abzugeben, ob und wie die Studiengebühren fortgeführt werden könnten und sollten."

 

Der diesbezügliche Abschlussbericht war ursprünglich für Ende 2021 vorgesehen, soll jedoch laut Ministerium möglicherweise "auf einen späteren Zeitpunkt" verschoben werden, "wenn sich die Corona-Lage weniger auf die internationale Studierendenmobilität auswirkt wie noch zum Wintersemester 2020/21 und möglicherweise auch noch zum Wintersemester 2021/22".

 

Was aber den Finanzausschuss des Stuttgarter Landtages keineswegs zu beeindrucken scheint, ihn jedenfalls von seiner plakativen Beschlussempfehlung in dieser Situation nicht abgehalten hat. Zumal nicht davon auszugehen ist, dass die Finanzpolitiker mögliche Zusatzeinnahmen größtenteils den Hochschulen und internationalen Studierenden gönnen würden – sondern sie zum Stopfen der Corona-Haushaltslöcher planen. 

 

Es ist die große Crux der Debatte um Studiengebühren, für die Befürworter wie die Kritiker: Die Corona-Krise macht die abschließende Einschätzung ihrer Folgen, positiv, wie negativ, derzeit unmöglich. Was sind, unabhängig von der Pandemie, vorübergehende Effekt der Einführung? Was dauerhafte? Antonio Loprieno hat dazu seine eigene, persönliche Meinung. Er sagt: "Die Pandemie wird das Mobilitätsverhalten auf internationaler Ebene viel mehr beeinflussen als die Studiengebühren – wir wissen alle jedoch noch nicht, wie."



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Kommentare: 1
  • #1

    Edith Riedel (Dienstag, 19 Oktober 2021 13:15)

    Das größte Problem bei der Sache ist, dass die Gebühren zum größten Teil genutzt werden, um Löcher im Landeshaushalt zu stopfen. Eine Verbesserung der Betreuung internationaler Studierender, und internationaler Wissenschaftler*innen ganz allgemein, kostet aber Geld, und das wird den Hochschulen nur zu einem sehr geringen Anteil zur Verfügung gestellt. Internationalisierung kann so nur in begrenztem Maße gelingen.