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Harter Realitätscheck für die Berliner Wissenschaft

Eben war Wissenschaftspolitik in der Hauptstadt noch Chefsache, jetzt ist eine Gesundheitsdezernentin aus Kassel Senatorin und eine Volljuristin ohne Wissenschaftsexpertise Staatssekretärin – mitten in der größten Universitätskrise seit Jahren. Und nun?

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Artikelbild: Harter Realitätscheck für die Berliner Wissenschaft

Glanz war gestern? Auch die Humboldt-Universität gehört zum Exzellenzverbund "Berlin University Alliance". Foto: Pixabay.

DIE BERLINER WISSENSCHAFT als Chefinnensache, fast hätte es damit noch einmal geklappt. Nein, nicht mit Franziska Giffey, deren Verhältnis zur Wissenschaft und den Hochschulen spätestens seit der Plagiatsaffäre als, nun ja, angespannt gilt. Aber mit Bettina Jarasch.

Die grüne Spitzenkandidatin unterlag zwar mit ihren Aspirationen, Regierende Bürgermeisterin zu werden, auf den letzten Metern doch noch der sich als besonders bürgernah inszenierenden Giffey. Dafür handelten die Grünen für Jarasch ein Mega-Zukunftsressort heraus: für Wissenschaft, Forschung, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung.

Das hätte eine interessante Dynamik werden können: Wie Jarasch dank ihres parteipolitischen Gewichts und im Doppelpass mit dem neuen grünen Finanzsenator Daniel Wesener an die so erfolgreiche Wissenschaftspolitik des Duos Müller/Krach angeknüpft hätte.

Wie sie einerseits weiter voll auf Exzellenzstrategie und Spitzenforschung gesetzt, andererseits die Breitenfinanzierung der Hochschulen gestärkt und zugleich neue Akzente gesetzt hätte: in der Gesundheitsforschung, in den Sozial- und Geisteswissenschaften. Um parallel den Zugang zu Hochschulen und Jobs in der Wissenschaft fairer zu gestalten – getrieben von der Erkenntnis, dass ohne echte Vielfalt und Diversität der Talentpool viel zu klein ist, um echte Exzellenz zu ermöglichen.


Die Personalie stand für die grüne Parteiführung in Berlin längst fest. Bis plötzlich der Schwenk kam: Jarasch übernahm doch das symbolisch für die Grünen so wichtige Verkehrsressort – um aufkommenden Frust an der Basis zu beruhigen? Verkehr sticht Wissenschaft, ein harter Realitätscheck für die aufmerksamkeitsverwöhnten Berliner Wissenschaftseinrichtungen, die sich zudem mit der Regierenden Bürgermeisterin Giffey arrangieren müssen.

Keine hörbare Stimme in der Wissenschaftspolitik

Und Realitätscheck zwei kam gleich noch dazu: Als Jarasch-Ersatz berufen wurde Ulrike Gote, zuvor Dezernentin für Jugend, Frauen, Gesundheit und Bildung der Stadt Kassel. Ja, sie war vorher Vizepräsidentin und parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im bayerischen Landtag, dort hat sie auch Hochschulpolitik gemacht.

Aber erste Reihe ist das nicht. Und den Umstand, dass Gote keinerlei Hausmacht in Berlin hat, wiegt sie nicht durch wissenschaftspolitische Kompetenz auf. Jedenfalls war Gote bisher keine überregional wahrnehmbare wissenschaftspolitische Stimme.

Womöglich kam es auf die bei Gotes Berufung aber auch gar nicht an, denn inmitten der Pandemie ist absehbar, dass sie sich vorrangig um Gesundheitspolitik wird kümmern müssen. Solange sie von einer erfahrenen und fachlich versierten Staatssekretärin für Wissenschaft flankiert worden wäre, hätte auch das – ähnlich wie bei Müller und Krach – noch irgendwie klappen können.

Vorbelastet aus dem Haus des Justizsenators

Doch hier folgte am Wochenende Realitätscheck drei: Krachs Nachfolgerin wurde Armaghan Naghipour, Volljuristin, aber auch vollkommen ohne wissenschaftspolitische Erfahrung. Wobei nicht ganz: Als persönliche Referentin des bisherigen Justizsenators Dirk Behrendt hat sie diesen bei seinen Scharmützeln mit Krach unterstützen dürfen. Behrendt wollte der Wissenschaft möglichst viele Tierversuche untersagen – unter anderem über ein neues Tierschutzgesetz, das möglicherweise in Teilen verfassungswidrig ist.

In den Chefetagen der Wissenschaft ist die Abneigung Behrendt gegenüber groß. Wieviel davon wohl auf Naghipour übertragen wird? Mit "Gleichstellung" hat sie übrigens im Vergleich zum nicht gerade unterbeschäftigten Krach sogar noch ein zusätzliches Thema im Zuständigkeits-Portfolio.

Während Gote unmittelbar nach Amtsantritt in die ersten Pressekonferenzen und Krisensitzungen zu Omikron musste, knallt es wissenschaftspolitisch an allen Enden: Der Exzellenzverbund "Berlin University Alliance" hat wegen des umstrittenen neuen Hochschulgesetzes alle Postdoc-Stellenbesetzungen gestoppt, die Hochschulen sind wegen des Gesetzes ohnehin auf den Barrikaden die Humboldt-Universität erwägt eine Verfassungsklage.

Viele potenzielle Reibungspunkte mit den Hochschulen

Das Gesetz soll "präzisiert" werden, steht im Koalitionsvertrag, aber was heißt das? Hinzu kommen die an den drei großen Unis anstehenden Präsidentschaftswahlen – teils verbunden mit großen internen Verwerfungen.

Und wie lässt sich am Ende das Versprechen umsetzen, deutlich mehr Dauerstellen in der Wissenschaft zu schaffen? Indem man die Uni-Präsidenten beschwichtigt oder sich gegen sie durchsetzt, obwohl das Momentum gerade auf deren Seite zu sein scheint? Außerdem stehen die neuen Hochschulverträge an, das Aushandeln der Grundfinanzierung für die kommenden Jahre – während die Pandemie tiefe Löcher in den Landeshaushalt gerissen hat und die Verteilungskämpfe zwischen den Ressorts hart werden.

Zwischen den Bundesländern übrigens auch: Ob fürs Berliner Institut für Gesundheitsforschung, fürs Museum für Naturkunde oder das neue Herzzentrum, viele Wissenschaftsminister finden, dass Berlin in der Ära Müller/Krach schon mehr Bundesförderung abgestaubt hat, als es der Hauptstadt auf lange Zeit zusteht.

Vielleicht aber finden Gote und Naghipour, Verlust der Chefsache Wissenschaft und alle personellen Brüche hin oder her, ja trotzdem ihren ganz eigenen und wissenschaftspolitisch erfolgreichen Weg. In jedem Fall verdienen die beiden eine faire Chance, sich zu beweisen. Doch die politische Wirklichkeit wird sie ihnen kaum lassen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.

Kommentare

#1 -

Exzellenzmuffel | Mo., 27.12.2021 - 13:05
Vielleicht müssen die Berliner Hochschulen sich jetzt auch mal ohne politische Sänftenträger und extra auf sie zugeschnittene Ausnahmen dem Exzellenzwettbewerb stellen. Bin gespannt, wie das ausgeht. Oder es ist eh egal, da die Berliner Exzellenz bundespolitisch stark genug gewollt ist, ähnlich wie am KIT. Dann ist es egal, was das Land so alles verbockt.

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