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Die Zahl der Studierenden an deutschen Hochschulen ist erneut zurückgegangen, doch das Minus bleibt erstaunlich gering. Welche Entwicklungen verbergen sich hinter den Statistiken? Eine Analyse.

DIE ZAHL der Studierenden an deutschen Hochschulen ist zum zweiten Mal in Folge gesunken, berichtete am Dienstag das Statistische Bundesamt. Diesmal um 1,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, das entspricht einem Minus von rund 51.200 Menschen. Der Abwärtstrend hat sich damit beschleunigt, zwischen Ende 2021 und Ende 2022 war es nur um 0,9 Prozent (25.800) runtergegangen.

Im historischen Vergleich bleiben die deutschen Hochschulen trotzdem voll: Nur in den Jahren 2018 bis 2022 waren überhaupt mehr Studierende immatrikuliert als die gegenwärtig 2,871 Millionen, und im Vergleich zum Wintersemester 2003/4 bleibt ein Plus von gut 850.000 auf der akademischen Habenseite.

Die Berechnung des Statistischen Bundesamtes beruht auf den Schnellmeldungen der einzelnen Bundesländer, die bis auf das Saarland alle rechtzeitig vorlagen. Die Zahl der Erstsemester stieg demnach deutschlandweit sogar schon im zweiten Jahr wieder an, wenn auch nur gering um 1,2 Prozent auf 479.300 – was den Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Walter Rosenthal, veranlasste, in seinem ersten Statement "die nach wie vor sehr hohe Attraktivität der deutschen Hochschulen im In- und Ausland" in den Vordergrund zu stellen. Die Hochschulen hätten den Corona-Effekt überwunden.

Die Folgen des Deutschlandtickets

Nicht nur das: Sie haben eine statistische Bereinigung hinter sich. Gerade in den städtischen Ballungsräumen Westdeutschlands verzeichneten viele Hochschulen zuletzt einen deutlichen Rückgang bei der Gesamt-Studierendenzahl. Besonders stark fiel das Minus bei den immatrikulierten Studierenden in Nordrhein-Westfalen (-4,1 Prozent), Rheinland-Pfalz (-4,2 Prozent) und Hessen (-4,4 Prozent aus). Der vermutliche Grund neben der (uneinheitlichen) demographischen Entwicklung: die wegen des Deutschlandtickets weggefallenen oder unattraktiv gewordenen Semestertickets. Warum? Weil es sich für sogenannte Scheinstudierende finanziell nicht mehr rechnete, eingeschrieben zu bleiben.

Ob sich das wieder ändert, nachdem sich Bund und Länder nach einer langen Hängepartie am Montag doch noch auf ein ermäßigtes bundesweites Deutschlandticket für Studierende geeinigt haben, das 29,40 Euro pro Monat kosten soll? Unwahrscheinlich, da der Kostenvorteil zu gering sein dürfte. Wie Matthias Anbuhl, der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Studierendenwerks am Dienstag kommentierte: Zwar werde verhindert, "dass im Extremfall Studierende mehr für ihre Mobilität bezahlen müssten, als ihre Professor*innen". Es müsse aber auch klar sein: "Die 29,40 Euro sind absolut die preisliche Oberkante."

Wenn nun aber der statistische Bereinigungseffekt durch ist und schon im zweiten Jahr die Erstsemester-Zahl wieder gestiegen ist, wird damit bald auch die Gesamt-Studierendenzahl wieder abheben? Immerhin meldeten etwa Bayern und Baden-Württemberg bereits dieses Wintersemester ein leichtes Plus. Trotzdem könnte es gesamtdeutsch noch weiter leicht runter gehen, denn worauf HRK-Präsident Rosenthal ebenfalls hinwies: Bis 2019 habe es "außergewöhnlich hohe Zahlen" bei den Studienanfängern von über einer halben Million gegeben. "Diese damaligen Erstsemester verlassen nunmehr die Hochschulen und verringern die Gesamtzahl der Studierenden."

Noch ein paar Beobachtungen

o In den ostdeutschen Bundesländern (ohne Berlin) stiegen die Gesamt-Studierendenzahlen um 1,2 Prozent auf 392.636. Wobei auch diese Entwicklung wiederum verzerrt wird durch ein 8000-Studierendenplus in Thüringen, was auf das rasante Wachstum vor allem einer (privaten ) Hochschule zurückgeht, die ihren Hauptsitz 2019 nach Erfurt verlegt hat: der IU Internationale Hochschule, seit 2021 die größte akademische Bildungseinrichtung in Deutschland. Ohne Thüringen wäre das Ost-Minus mit gut 1,3 Prozent immerhin noch etwas geringer als in den übrigen Bundesländern (2,1 Prozent).

o Positiv auf die bundesweiten Einschreibezahlen dürfte erneut die weiter wachsende Zahl der internationalen Studierenden gewirkt haben. Hier meldete der DAAD erst kürzlich wieder Rekordstatistiken. In der Corona-Zeit hatte das Wegbleiben vieler Ausländer die Erstsemesterzahl gedrückt, so dass man deren Erholung nun im zweiten Jahr auch aus dieser Perspektive betrachten muss. Das Statistische Bundesamt gibt allerdings an, noch nicht verifizieren zu können, welchen Einfluss der Zuzug von Erstsemestern aus dem Ausland diesmal auf die Studienanfängerzahlen hatte: "Zum jetzigen Zeitpunkt liegen für das Studienjahr 2023 weder Angaben zur Staatsangehörigkeit noch zur Art der Hochschulzugangsberechtigung der Studienanfängerinnen und -anfänger vor."

o Die Hochschulen für angewandte Wissenschaften halten ihre Zahlen stabiler als die Universitäten. Konkret: An den Unis sind im aktuellen Wintersemester 2,4 Prozent weniger Studierende immatrikuliert, an den HAWs 0,5 Prozent weniger. Einerseits wahrscheinlich ebenfalls wegen des Scheinstudierenden-Effekts, deren Anteil besonders an den eher anonymen Massenuniversitäten als hoch galt. Andererseits läuft schon seit vielen Jahren eine merkliche Verschiebung der Studierendenströme Richtung HAWs, die mittlerweile auf einen Anteil von 38 Prozent an allen Studierten kommen (die Unis liegen jetzt bei knapp 59 Prozent).

o Die Frage, welche Fächer besonders Federn lassen mussten (oder das Gegenteil), kann aufgrund der Schnellmeldungen nicht beantwortet werden. Nur für vier technische Studienbereiche gibt es bislang Informationen. Positiv: 42.800 und damit 1,8 Prozent mehr Erstsemester entschieden sich 2023 für Informatik; die Elektro- und Informationstechnik vermeldet mit 13.400 nahezu unveränderte Zahlen, das Bauingenieurwesen einen Rückgang um 2,2 Prozent auf 10.600. Die Talfahrt des deutschen Traditionsfachs Maschinenbau/Verfahrenstechnik setzte sich unterdessen mit nochmal -2,3 Prozent auf 22.700 fort. Fast eine Halbierung gegenüber den 41.700 Studienanfängern im Studienjahr 2013, wie das Statistische Bundesamt hervorhob. Der Strukturwandel der deutschen Wirtschaft in a Nutshell.

Nicht in den kühnsten Träumen

Am Ende eine weitere historische Einordnung: In welche (einst unerwarteten) Höhen die Studierendenzahlen an deutschen Hochschulen geklettert sind, zeigt, dass die aktuell 479.300 Erstsemester immer noch rund 30.000 über dem absoluten Rekord liegen, den sich Hochschulforscher im Jahr 2010 in ihren optimistischsten Berechnungen für die Zeit bis 2025 vorstellen konnten. Für das Jahr 2023 prognostizierte die obere Variante des damaligen Bundesbildungsberichts übrigens rund 100.000 Erstsemester weniger, als es tatsächlich geworden sind. Wenn die Hochschulen mal wieder eine Selbstvergewisserung brauchen, was sie geleistet haben: Hier finden sie sie.

Kommentare

#3 -

Egal | Mi., 29.11.2023 - 17:16
Als Mitarbeiter einer großen deutschen Universität kann ich sagen: Nicht wegen des Studiums schreiben sich hier ca. 15% der Studierenden ein (primär ins Zweitstudium in nc-freien Fächen), sondern nur (!) wegen des Semestertickets. Dieser Anteil wird zum Sommersemester steigen, da das Deutschlandticket nun einen noch stärkeren Anreiz bietet.

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