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Irgendwann ist das auch Ihr Skandal, Frau Ministerin

Hat die Fraunhofer-Gesellschaft Spesen nicht korrekt abgerechnet? Ein ehemaliger FDP-Staatssekretär drängt jetzt die amtierende FDP-Forschungsministerin zur Veröffentlichung des Prüfberichts – und erhebt neue Vorwürfe.

DIE ANTWORT AUS DEM BMBF fällt kurz aus. "Es handelt sich um einen privaten Post von Herrn Sattelberger, den wir nicht kommentieren", sagt eine Sprecherin des Ministeriums von Bettina Stark-Watzinger (FDP) auf die Frage, was die amtierende Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger, FDP, zu dem viel kommentierten Beitrag ihres früheren parlamentarischen Staatssekretär Thomas Sattelberger, ebenfalls FDP, im sozialen Netzwerk "Linkedin" am Montagmorgen zu sagen habe: "Irgendwann ist der Fraunhofer-Skandal auch Ihr #Skandal, liebe Frau Ministerin!", schrieb Sattelberger. "Bitte veröffentlichen Sie den Prüfbericht!"

Gemeint ist das Ergebnis der von ihm vor einem Jahr in Auftrag gegebenen BMBF-Untersuchung zu den Reise- und Repräsentationskosten bei der Forschungsorganisation – der bis heute offiziell unter Verschluss ist. Sein Inhalt ist in der Tat brisant, wie ich im November im Tagesspiegel berichtete: In zahlreichen Fällen sind den Ermittlungen zufolge Spesen von Vorstandsmitgliedern nicht rechtskonform abgerechnet und in der Folge in nicht zulässiger Höhe erstattet worden. Im Bericht listen die BMBF-Beamten akribisch auf, wie hoch der entstandene Schaden ist – und wer ihn verursacht haben soll.

Besonders in der Kritik steht seit seiner selbst für Beobachter überraschend vorzeitig angesetzten Wiederwahl im August 2021 Fraunhofer-Präsident Reimund Neugebauer – nicht allein wegen der Vorwürfe im Zusammenhang mit von ihm selbst und seiner Frau abgerechneten Spesen. Whistleblower berichteten unter anderem auch über einen angeblich autoritären Führungsstil Neugebauers – was dieser und Fraunhofer stets zurückwiesen.

Im Oktober dann stellte sich heraus, dass Neugebauer in dem Imagefilm eines Unternehmens aufgetreten war, dessen Anteilseigner er zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war. Was in dem Film keine Erwähnung fand, wohl aber Neugebauers Position als Fraunhofer-Präsident. Er selbst hatte den Sachverhalt auf Anfrage im Kern eingeräumt, jedoch betont, bis heute nichts von der Veröffentlichung des Videos im Februar 2021 gewusst zu haben. In einer turnusmäßigen Senatssitzung erklärte Neugebauer wenig später seinen vorzeitigen Amtsverzicht – allerdings erst zu Ende September 2023.

Erhöhter Druck

Vielen Kritikern reicht das jedoch nicht aus, sie fordern einen früheren und grundlegenderen Neustart für Fraunhofer: personell, aber auch in Hinblick auf die Führungsstrukturen bei der weltweit bekannten Forschungsorganisation mit ihren über 30.000 Mitarbeitern. Mit an der Spitze der Kritiker stets: Thomas Sattelberger.

Während er sich in seiner Zeit als FDP-Oppositionspolitiker in der Affäre noch häufig zu Wort meldete, hielt sich Sattelberger nach seinem Amtsantritt als parlamentarischer Staatssekretär im Dezember 2021 mit öffentlichen Äußerungen zunächst zurück. Doch das änderte sich wieder, als er das Amt Mitte 2022 abgab. Sattelberger meldete sich wieder verstärkt zu Wort – mied aber direkten Druck auf Bettina Stark-Watzinger. Bis jetzt.

In seinem Post auf LinkedIn begründet er das so: "Als Staatssekretär a.D., bisher treuer Diener seiner ehemaligen Ministerin, folge ich dem Koalitionsvertrag, der Governance und Compliance insbesondere der außeruniversitären Forschungseinrichtungen gestärkt sehen will."

Auf Anfrage gibt es, siehe oben, zu alldem keinen Kommentar aus dem Ministerium. Dabei erhebt Sattelberger auch neue Vorwürfe. Er habe von einem Fraunhofer-Senatsbeschluss gehört, schreibt er auf "Linkedin", die "#Spesenaffäre insbesondere seines Präsidenten nicht der #Mitgliederversammlung zur Kenntnis zu bringen, wenn alle (auch die "zurückgetretenen", d.h. von Prof. Dr. Reimund Neugebauer zum Rücktritt gezwungenen) Vorstände freiwillig jeweils Tausende Euro Reisekosten und Spesen aus der privaten Schatulle zurückzahlen". Sattelberger spricht von "Vertuschung" und fügt hinzu: "Schäbiger Deal!"

Kein Dementi

Die Fraunhofer-Pressestelle dementiert die Äußerungen Sattelberges auf Anfrage nicht, sondern zieht sich, ähnlich wie Stark-Watzingers Ministerium, auf Formalitäten zurück. "Wir äußern uns nicht zu vertraulichen Beratungen und Beschlüssen des Fraunhofer-Senats und auch nicht zu einzelnen Privatmeinungen und Social-Media-Posts", sagt Fraunhofer-Sprecher Roman Möhlmann.

Derweil steht auch noch das Ergebnis einer zweiten Prüfung bei Fraunhofer aus: Der Bundesrechnungshof hatte vergangenes Jahr ebenfalls Ermittlungen aufgenommen. Immerhin sieht es inzwischen so aus, als könnte zumindest das BMBF seinen Bericht bald veröffentlichen – oder zumindest für die Medien und Journalisten einsehbar machen, die die per Informationsfreiheitsgesetz die Herausgabe beantragt hatten.

Kurz nach Weihnachten teilte das Ministerium mir mit, den Bericht demnächst zu übersenden – mit juristisch begründeten Auslassungen an verschiedenen Stellen, aber auch mit der Weitergabe verschiedener personenbezogener Daten, da deren Schwärzung "den Informationsgehalt deutlich schmälern" würde und dazu geeignet wäre, "das öffentliche Vertrauen in staatlich geförderte Forschungseinrichtungen zu gefährden".

Allerdings sind etwa seit meinem ersten Antrag auch schon sechs Monate vergangen, inklusive eines regen Briefverkehrs mit dem Ministerium. Und die tatsächliche Herausgabe des Berichts steht immer noch aus, da, so das BMBF, die diesbezügliche Entscheidung "den beteiligten Dritten", also unter anderem Neugebauer, bekanntzugeben sei und auch gegenüber diesen erst "bestandskräftig" sein müsse. Das Warten geht also weiter.

Dieser Artikel erschien heute auch in einer kürzeren Version im Tagesspiegel.

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