Euphorie und Wirklichkeit
Mehr Dauerstellen neben der Professur? Neue HRK-Leitlinien wecken Hoffnungen bei Gewerkschaften und Initiativen – doch die politischen Realitäten bewegen sich in eine andere Richtung.
Screenshot aus dem WissZeitVG-Erklärvideo des BMBF (von 2021).
AMREI BAHR ZEIGTE SICH hocherfreut. "#IchBinHanna wirkt!", postete die "#IchBinHanna" Mit-Initiatorin am Montag bei BlueSky. Während der GEW-Vizevorsitzende Andreas Keller bei "X" kommentierte: Egal, was aus der immer noch nicht verabschiedeten Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) werde: "Unsere Forderungen sind nicht mehr einzufangen."
Die seit Jahren lauteste Forderung, auf die Keller anspielte, lautet: "Dauerstellen für Daueraufgaben". Und Anlass für die Freude von Bahr wie Keller waren die "Leitlinien für unbefristete Stellen an Universitäten neben der Professur", welche die Mitgliedergruppe Universitäten in der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) zusammen mit der Jungen Akademie verabschiedet und am Montagmorgen veröffentlicht hatte.
Zentraler Inhalt: Die Universitäten erkennen den Bedarf an zusätzlichen Dauerstellen neben der Professur an und beschreiben zusammen mit der Jungen Akademie konkret drei Kategorien, die sie in dieser Form für sinnvoll halten: Lecturer (mit maximal zwölf Semesterwochenstunden Lehre), Researcher (acht SWS) und Academic Manager (vier SWS). Das Lehrstuhlprinzip wird in dem Papier nicht direkt in Frage gestellt, aber, wie Keller das formuliert, "angebohrt", und zwar in Richtung Department-Strukturen.
In der gemeinsamen Pressemitteilung von HRK und Junger Akademie klingt das so: "Stelleninhaber:innen übernehmen neben der Erfüllung von Daueraufgaben einen Anteil selbstständiger Forschung bzw. Lehre. Die Stelleninhaber:innen sind in der Regel nicht einer Professur zugeordnet, sondern übergeordneten universitären Einheiten. Besetzungen sind entkoppelt von individuellen Förderbeziehungen. Vorgesehen sind Aufstiegsmöglichkeiten auf Senior Positions."
Worauf haben sich die Universitäten eigentlich festgelegt?
Zwar hat die GEW an verschiedenen Leitlinien-Passagen zu mäkeln (vor allem ein zu hohes Lehrdeputat, außerdem zu hohe Einstellungsvoraussetzungen, etwa bei "Researchern" Promotion plus mindestens zwei – befristete – Jahre Postdoc-Erfahrung), und doch scheint das Papier für GEW wie "#IchbinHanna" ein Erfolg zu sein, auf den sie im WissZeitVG-Gerangel bislang vergeblich gewartet haben.
Nur: Worauf genau haben die Universitäten eigentlich festgelegt? Darauf, wie aus ihrer Sicht sinnvolle Stellenprofile und neue Karrierewege aussehen sollten. Und welche politischen und (tarif-)rechlichen Rahmenbedingungen es dafür bräuchte.
Zu einem (Mindest-)Anteil am gesamten Stellenpool sagen die Hochschulchefs wohlweislich nichts. "Unbefristete Stellen mit eigenständigen Profilen und transparenten Karrierewegen erleichtern es den Universitäten, hervorragende, auch internationale Fachkräfte zu gewinnen und an die Institution zu binden", meint die Düsseldorfer Unirektorin Anja Steinbeck, Sprecherin der HRK -Universitäten.
Klar sei aber auch: "Weder unsere Leitlinien noch eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes schaffen eine einzige unbefristete Stelle. Nun sind Bund und Länder gefragt – nicht nur mit Blick auf ein geplantes Programm zum Ausbau wissenschaftlicher Karrierewege neben der Professur."
Aus Sicht der Universitäten dürfte dies der entscheidende Satz sein. Und die Rektor:innen und Präsident:innen wissen genau, warum sie ihn so betonen. Nicht nur ist aus der Ampel-Koalition zu hören, dass in dieser Legislaturperiode mehr als das vom Bundestags-Haushaltsausschuss verlangte Konzept zum Karrierewege-Programm nicht mehr kommen werde, weil das Geld fehle. Auch werden in zahlreichen Bundesländern die Hochschulbudgets gerade ab- und nicht aufgebaut.
Was die hessische Erfahrung lehrt
Besonders paradox – und aus Sicht der Universitäten aussagekräftig – ist in der Hinsicht aktuell die Situation in Hessen. Das Land, als einziges Bundesland nicht Mitglied des Arbeitgeberverbandes Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), hatte im März mit den Gewerkschaften eine in dieser Form bundesweit einzigartige Regelung für seine Hochschulen abgeschlossen: Diese müssen die Zahl ihrer unbefristeten Tarif-Vollzeitstellen für Wissenschaftler:innen deutlich steigern, von 1.459 Ende 2022 auf mindestens 1.850 im Jahr 2030. Nicht in Form der üblichen Absichtserklärungen, sondern verbindlich, abgesichert durch eine schuldrechtliche – das heißt: von den Gewerkschaften gegenüber dem Land einklagbare – Vereinbarung.
Der notwendige Ausbau unbefristeter Vollzeitstellen solle "als landesseitige Position in die Verhandlungen zur nächsten Generation des Hochschulpakts und der Zielvereinbarungen eingebracht werden", sagte Wissenschaftsminister Timon Gremmels (SPD), das trage der Hochschulautonomie Rechnung. Und: Er sichere den Hochschulen bei der Umsetzung "meine volle Unterstützung zu."
Statt dieser Unterstützung erleben die Hochschulen aber etwas Anderes: Anfang Juni hat die Landesregierung per Nachtragshaushalt massive Kürzungen beschlossen, darunter 34 Millionen im Wissenschaftsbereich noch im laufenden Jahr. "Die Hochschulen werden von den vorgesehenen Kürzungen in einer Zeit getroffen, in der sie durch deutlich steigende Personalkosten im Rahmen der Tarifsteigerungen und hohe Preise zum Beispiel im Energie- und Baubereich ohnehin stark belastet sind", kritisierte die Konferenz Hessischer Universitätspräsidien (KHU). "Derweil verursachen die vereinbarten Tarifsteigerungen schon von 2025 an jährliche Mehrkosten von 100 Millionen Euro, was etwa 1250 Stellen entspricht, die in den aktuellen Budgets nicht vorkommen", sagt die KHU-Vorsitzende und Kasseler Universitätspräsidentin Ute Clement.
Besonders bitter: Wegstreichen können die Hochschulen nur befristete Stellen – also exakt solche, deren umfangreiche Entfristung die Landesregierung öffentlich versprochen hat.
Der Glaube an die Ernsthaftigkeit der politischen Unterstützer von mehr Dauerstellen in der Wissenschaft wird durch solch eine Kombination programmatischer Reden und mit einem entgegengesetzten haushaltspolitischen Handeln schwer beschädigt. Und auch die Debatte um mehr Dauerstellen in der Wissenschaft verliert bei aller demonstrativen Genugtuung von "#IchbinHanna" und GEW weiter an Momentum – sind die Leitlinien doch in der aktuellen finanziellen Lage der Hochschulen kaum mehr als freundliche Bekenntnisse, deren Umsetzungsbeweis die Hochschulen auf absehbare Zeit nicht antreten können/müssen.
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Kommentare
#1 - Lassen wir mal außen vor, dass öffentlich-finanzierte…
Die Hochschulen erhalten in erheblichem Umfang Mittel aus dem Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken - eine Hochschulleitung mit Interesse an zusätzlichen unbefristeten Stellen im wissenschaftlichen Bereich hätte also durchaus Ressourcen hierfür zur Verfügung. (Und Hochschulleitungen in NRW hätten darüber hinaus auch noch jährlich 300 Mio. Euro Qualitätsverbesserungsmittel, die ebenfalls auch für unbefristete Stellen verwendet werden könnten. Wenn man denn wollte.)
Hilfreich wäre natürlich, es gäbe den politischen Willen, die Verwendung der ZSL- (und anderer) Mittel für die Einrichtung zusätzlicher unbefristeter Stellen (jenseits neuer Professuren) zu gewährleisten. Dieser Wille scheint aber zu fehlen. Oder sieht sich auch nur eine Landesregierung in der Lage, konkret zu dokumentieren, wie viele zusätzliche unbefristete Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter:innen an den einzelnen Hochschulen geschaffen wurden (und nicht lediglich eine Mittelverschiebung stattgefunden hat)? Wie viele Professuren mit welcher Ausstattung? Wie viele Qualifikationsstellen? In welchem Umfang Stellen im nicht-wissenschaftlichen Bereich? Wie viele der Tenure-Track-Professuren des WISNA-Programms in eine ZSL-Finanzierung überführt werden? In welchem Umfang Exzellenzmaßnahmen, Sonderforschungsbereiche und andere Forschungsprogramme mit ZSL abgesichert bzw. fortgeführt werden sollen? Welche Landesregierung legt tatsächlich im Detail offen, welche eigenen Maßnahmen (bspw. der Digitalisierung) ZSL-finanziert werden? Wo bleibt eine entsprechende Transparenz-Initiative von BMBF und GWK?
Dass der BMBF-Staatssekretär Jens Brandenburg im März 2023 vorrechnete, dass alleine der Bundesanteil der ZSL-Mittel umgerechnet 20.000 Dauerstellen bedeuten würde, ist nett - hilft aber nicht wirklich, wenn es keinerlei politischen Willen gibt, aus den Rechenspielereien auch Anforderungen für die Verwendungspraxis der Hochschulen abzuleiten.
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