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Jetzt wird's spannend

Heute treffen sich die Kultusminister. Morgen kommt Anja Karliczek dazu. Gemeinsam wollen sie große bildungspolitische Brocken abräumen. Ein Überblick.

DAS HALBE JAHR vor der Bundestagswahl passierte fast gar nichts mehr, auch danach plätscherten Bildungs- und Wissenschaftspolitik monatelang vor sich hin. Doch im Dezember 2017 ging es los. Es begann kurz vor Weihnachten mit dem NC-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, steigerte sich Anfang des neuen Jahres in einer zunehmend kritischen Selbstbespiegelung der Kultusministerkonferenz (KMK) und ihrer Möglichkeiten und wurde weiter befeuert durch jene GroKo-Granden, die am Ende der Koalitionsverhandlungen im Februar von einem bildungspolitischen Aufbruch schwärmten.

 

Plötzlich war wieder Tempo in den Debatten um die Zukunft von Kitas, Schulen, Hochschulen und Ausbildungsbetrieben. Versprechungen wurden abgegeben und alte Schlagworte mit neuem Nachdruck herausgerufen: die Abschaffung (oder doch nur Aufweichung?) des Kooperationsverbots in der Bildung. Fünf Milliarden Euro für den Digitalpakt – jetzt aber wirklich. Ein Abitur, das bundesweit vergleichbar sein soll. Eine neue, moderne Hochschulzulassung. Ja, sogar ein echter Neustart für die Kultusministerkonferenz. Und dann auch noch die Einrichtung eines Nationalen Bildungsrates, der – zumindest in den Augen seiner glühendsten Befürworter – den unverhofft erwachten Ehrgeiz zu großen bildungspolitischen Würfen wie kein zweites Gremium verkörpert.

 

Nach der nervenaufreibenden Ruhe des vergangenen Jahres kam der Sturm der Ideen und Konzepte und – was die Sache noch ironischer macht – begleitet wurde dieser Sturm ausgerechnet von der Erkenntnis, dass die Finanzierung von Bildung und Wissenschaft durch die weltpolitischen Verwerfungen unter Druck gerät. Man muss nicht gleich "Panzer statt Kitas" befürchten, aber die über die Jahre fast schon selbstverständlich gewordenen Budgetzuwächse des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gehen so nicht weiter. Das sieht sogar die neue Hausherrin Anja Karliczek so

 

In der Summe war es eine Zeit der Neuorientierung und des Aufbruchs, vor allem aber war es eine Phase des Übergangs, die die Bildungs- und Wissenschaftspolitik seit Dezember 2017 im Griff hatte, und diese Phase endet jetzt. Und zwar genau heute. Wenn die Kultusminister sich ab 14.30 Uhr in Erfurt zur Plenarsitzung treffen, um über die Zukunft ihres eigenen Gremiums, der Kultusministerkonferenz zu beraten. Wenn sie sich darauf verständigen, wie künftig der Hochschulzugang im Studienfach Medizin aussehen soll – und damit die Weichen stellen für eine Reform des Numerus Clausus insgesamt. Wenn die Minister morgen um 9.30 Uhr Anja Karliczek empfangen, um mit ihr über den Digitalpakt und den Bildungsrat zu verhandeln.

 

Nein, im Evangelischen Augustinerkloster in Erfurt werden nicht alle drängenden bildungspolitischen Fragen beantwortet, denn das sind viele, an den meisten Stellen werden die Minister nicht einmal über die Formulierung derselben hinauskommen. Aber ihr Treffen wird trotzdem ein ganz besonderes sein. Weil es nach der Zäsur von Bundestagswahl und KMK-Selbstfindungsprozess den Anfang des Handelns markiert. Freitagmittag wollen KMK-Präsident Helmut Holter (Linke), Anja Karliczek (CDU) und weitere Minister gemeinsam vor die Presse treten. Zu Recht wird von ihnen erwartet, dass sie dann mehr verkünden als nur ein paar Floskeln und schlau klingende Allgemeinplätze. Erwartet wird, dass der Wille zur gemeinsamen Anstrengung offensichtlich wird. Zur Einigung und Einigkeit. Und dass sie schon ein paar konkrete Ergebnisse mitbringen. Welche könnten das sein?

 

Grünes Licht für den NC-Staatsvertrag

 

Zunächst zu einem Thema, das die Kultusminister allein in der Hand haben: die Neuregelung der Hochschulzulassung. Hier werden die Ressortchefs aller Voraussicht nach (und vielleicht sogar schon heute Nachmittag) ihre Einigung auf Eckpunkte verkünden, die den noch auszuarbeitenden Staatsvertrag skizzieren. Klar ist seit Anfang Mai, dass die Zulassungsquoten sich grundsätzlich ändern werden. Die bislang 20 Prozent der Studienplätze umfassende Wartezeitquote fällt weg. Sie wird ersetzt durch eine bundesweit gültige Talentquote, die voraussichtlich ebenfalls 20 Prozent ausmachen wird.

 

Unverändert bleibt vermutlich die Abiturbestenquote von 20 Prozent. Vor allem Bayern hatte zwar für eine Ausweitung geworben, doch die ist unwahrscheinlich, so dass voraussichtlich weiter 60 Prozent der Studienplätze dezentral von den Hochschulen vergeben werden. Allerdings müssen die künftig verpflichtend neben dem Abitur mindestens ein zweites Auswahlkriterien heranziehen.

 

Schlechte Nachricht dürfte es für all jene geben, die schon zum Teil über Jahre auf eine Zulassung per Wartezeitquote hoffen. Ein von den Kultusministern beauftragtes Gutachten kam dem Vernehmen nach zu der Schlussfolgerung, dass die sogenannten Altwartenden juristisch gesehen kein Anrecht auf einen Studienplatz haben. Die Wartezeitquote könnte also zu einem bestimmten Stichtag einfach gekappt werden. All jene, die nicht zum Zug kommen, könnten sich ja dann über die neue Talentquote bewerben, die vor allem auch praktische Vorerfahrungen belohnen werde, heißt es. Umstritten ist noch, ob es schon aus Gründen der Zulassungs-Software eine Übergangsregelung wird geben müssen und ob im Zuge dieser Übergangsregelung gar das Auswahlverfahren der Hochschulen ausgesetzt werden muss.

 

Frappierend wird sein, dass die Bildungsminister am Freitag (eventuell nur auf Nachfrage) nochmal versprechen werden, dass das Abitur bis 2021 bundesweit "annähernd vergleichbar" sein wird. Womöglich glauben sie ja wirklich daran. Vor allem aber verlangt das Verfassungsgericht die Vergleichbarkeit und die Schulminister fürchten, ein andernfalls auf Dauer eingesetzter Ausgleichsmechanismus könnte die Reputation des Abiturs weiter beschädigen.

 

Die KMK denkt weiter über sich selbst nach

 

Ebenfalls selbst in der Hand haben die Kultusminister die Zukunft ihres eigenen Gremiums, der KMK. Dass sich an ihrer Zusammenarbeit etwas grundsätzlich ändern muss, dass ihre bildungspolitischen Abmachungen einer größeren Verbindlichkeit bedürfen und das Bildungssystem (nicht nur das Abi!) insgesamt einer größeren Vergleichbarkeit und Transparenz, all das und mehr ist unstrittig. Doch was genau folgt daraus? Der erste Entwurf eines möglichen Staatsvertrages, der den KMK-Neustart besiegeln soll, ist derart schwach ausgefallen, dass das Dokument zahlreichen Kultusministern fast peinlich zu sein scheint. Auch wenn sich der zusätzliche Themenkatalog mit möglichen Maßnahmen und Vorschlägen für mehr Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit, den die KMK-AG "Kultusministerkonferenz" parallel erarbeitet hat, bereits deutlich ambitionierter liest: Insgesamt ist beim Thema KMK-Reform heute und morgen noch wenig Endgültiges abzusehen, sehr wohl aber ist bei den Ministern die Erkenntnis spürbar, dass die Öffentlichkeit bald Herzeigbares erwartet.

 

Aufschlussreich wird sein, wie das Gremium den Vorschlag des rheinland-pfälzischen Ministers für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur, Konrad Wolf (SPD), diskutiert, zusätzlich zur KMK eine eigene Kulturministerkonferenz einzurichten. Wolf kann zumindest auf eine Reihe von Unterstützern zählen.

 

Bildungsrat: Ab jetzt wird wirklich verhandelt

 

Der Druck auf die Kultusminister, die Rolle und Struktur ihres Gremiums schnell (neu) zu definieren, wird auch dadurch verstärkt, dass parallel (und inhaltlich eng damit verwoben) die Gespräche mit der Bundesregierung über die Einrichtung des Nationalen Bildungsrates laufen, wie er im schwarz-roten Koalitionsvertrag vorgesehen ist. Schaut man sich die bisherige Linie der Länder in den Verhandlungen mit Anja Karliczek an, so scheint diese klar nur in Hinblick auf das, was die Länder auf keinen Fall wollen: ein Gremium, das dominiert vom Bund ihren politischen Handlungsspielraum einengt.

 

Aber was kann, was soll der Bildungsrat inhaltlich? Und was bedeutet das für die künftige Aufgabenzuschreibung für die KMK? Zu dem Geschacher um Stimmrechte muss dringend die konzeptionelle Debatte treten, und wenn es gut läuft, werden die Kultusminister diese heute und morgen führen. Erst unter sich. Dann zusammen mit Karliczek. Um dann womöglich bei der Pressekonferenz von Fortschritten berichten zu können. Schon am Freitag den Durchbruch der Verhandlungen zwischen Bund und Ländern zu erwarten, wäre allerdings wohl zu optimistisch. 

 

Machen Bund und Länder Tempo beim Digitalpakt?

 

Eine Überraschung – eine positive – könnten wir hingegen beim Digitalpakt erleben. In den vergangenen Wochen haben sich die Anzeichen dafür vermehrt, dass demnächst der Startschuss für die Ausarbeitung der notwendigen Bund-Länder-Vereinbarung gegeben wird. Das gemeinsame große Ziel ist, dass Anfang 2019 die ersten Gelder fließen. Zu klären ist noch, wieviel die Länder auf die fünf Milliarden drauflegen. Dass sie es müssen, scheint hingegen inzwischen unstrittig zu sein. Ebenfalls offen ist, ob Karliczek tatsächlich die Einrichtung einer  "länderübergreifenden Bundescloud" (was auch immer das genau heißen mag) zur Auflage für den Digitalpakt machen will. Viele Länder (vor allem jene, die bereits eigene Clouds eingerichtet haben oder dabei sind) sind skeptisch, aber heute Nachmittag wollen sie trotzdem darüber sprechen. Was die Vergabemodalitäten angeht, werden Bund und Länder sich hoffentlich zügig einig werden. Über einen Punkt, so ist zu wünschen, werden Karliczek und ihre Länderkollegen dagegen nicht so schnell hinweggehen: Die Frage der digitalen Teilhabe ist nach wie vor ungeklärt. Es ist richtig, dass von den Digitalpakt-Milliarden keine Schüler-Tablets oder Laptops angeschafft werden sollen, das macht aber eine Lösung für jene Schüler, deren Eltern sich keine eigenen Geräte leisten können, umso drängender. Einfach nur auf den fürs Bildungs- und Teilhabepaket zuständigen Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) zu verweisen, wird nicht reichen. Kultusminister und Karliczek müssen solange Druck machen, bis das Teilhabepaket entsprechend aufgestockt wird. 

 

Soweit zu möglichen konkreten – oder auch weniger konkreten – Ergebnissen, über die Karliczek, Holter & Co am Freitagmittag berichten werden. Andere könnten dazukommen. BMBF und KMK selbst nennen in ihrer Einladung zur Pressekonferenz auch die berufliche Bildung und den Ganztag – wobei gerade bei letzterem pädagogisch nicht viel zu erwarten ist. Das zeigt schon die Formulierung im Einladungstext: "Ganztagsschule-/betreuung für Grundschulkinder". Aber wir lassen uns auch gern positiv überraschen. Das bildungspolitische Momentum, siehe oben, ist ja da zurzeit. 


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