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So geht es nicht weiter

Karlsruhe hat sein Urteil zum Numerus Clausus im Medizinstudium verkündet. Mit weitreichenden Folgen für die künftige Vergabe von Studienplätzen.

Foto: Mehr Demokratie/Nicola Quartz: "mehr-demokratie/25095088385", CC BY-SA 2.0

DAS BUNDESVERFASSUNGSGERICHT HAT den Numerus Clausus im Medizinstudium in seiner bisherigen Form für teilweise nicht vereinbar mit dem Grundgesetz erklärt.

 

Die gesetzlichen Rahmenvorschriften von Bund und Ländern verletzten den grundrechtlichen Anspruch der Bewerber auf gleiche Teilhabe am staatlichen Studienangebot, begründeten die Richter des Ersten Senats ihr Urteil. Außerdem verfehlten die Bestimmungen zum Auswahlverfahren der Hochschulen teilweise die gesetzlichen Anforderungen. Bis zum 31. Dezember 2019 muss die Studienplatzvergabe per Numerus Clausus auf eine neue Grundlage gestellt werden, "welche die verfassungsrechtlichen Beanstandungen beseitigt", heißt es in dem Urteil. Dabei muss die überragende Bedeutung der Abiturnote in den hochschuleigenen  Auswahlfahren beschnitten werden, mindestens ein nicht schulnotenbasiertes Kriterium muss verpflichtend hinzukommen, und die Wartezeiten müssen begrenzt werden. Der Gesetzgeber sei zwar nicht "von Verfassung wegen" auf die Verwendung eines bestimmten Eignungskriteriums oder sogar einer bestimmten Kriterienkombination bei der Zulassung verwiesen, so die Richter. Die Kriterien müssten aber in ihrer Gesamtheit "eine hinreichende Vorhersagekraft" gewährleisten.

 

Bereits in der mündlichen Verhandlung Anfang Oktober hatte sich der Erste Senat skeptisch gezeigt, ob die gegenwärtigen Regelungen zur Studienplatzvergabe in der Humanmedizin verfassungskonform sind. „Irgendwann kommen nur noch die Graubärte rein, irgendwann ist ja auch die Lebenszeit zu Ende“, sagte der Senatsvorsitzende und Vizepräsident des Gerichts, Ferdinand Kirchhof. Derzeit konkurrieren in der Humanmedizin 62.000 Bewerber um 11.000 Plätze, ein Verhältnis von fast 6 zu 1. 20 Prozent der Plätze werden an die Abiturienten mit dem besten Schnitt vergeben, wobei es Länderquoten gibt, um Unterschiede in der Notengebung auszugleichen. Administriert wird die Abiturbestenquote von der Stiftung für Hochschulzulassung (SfH)

 

Bei 60 Prozent der Studienplätze dürfen die Universitäten selbst entscheiden, wie sie ihre Studenten auswählen. Dabei zählt die Abinote jedoch laut bisheriger Vorgabe am meisten – ohne dass bei den unieigenen Verfahren Länderquoten zum Tragen kommen. Die übrigen 20 Prozent gehen an die Bewerber, die am längsten warten, wiederum vermittelt über die SfH. Derzeit verstreichen 15 Semester, bevor sie einen Studienplatz erhalten. 

 

Das Verfassungsgericht war auf eine Vorlage des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen hin tätig geworden. Die Gelsenkirchener Richter hatten in dem konkreten Fall zweier Bewerber entschieden, der Verzicht auf Landesquoten bei den Auswahlverfahren der Hochschulen verletzte ihre im Grundgesetz garantierte Berufsfreiheit, den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz und das aus beidem hergeleitete Teilhabrecht der Studienplatzbewerber bei der Vergabe der Studienplätze. Die überragende Bedeutung der Abiturnote im gesamten Auswahlverfahren schließe zudem eine sehr große Gruppe potenzieller Bewerber faktisch von vornherein von der Zulassung aus, befanden die Gelsenkirchener Richter.

 

Die Bestenauswahl per Abiturnote geht in Ordnung – aber...

 

Das sah der Erste Senat in Karlsruhe nur zum Teil so und ließ die 20 Prozent umfassende bundesweite Bestenquote unbeanstandet – vor allem weil es dort besagte Landesquoten gibt. Zudem befanden die Verfassungsrichter, dass an der grundsätzlichen Sachgerechtigkeit der Abiturnote als Eignungskriterium "keine verfassungsrechtlichen Bedenken" bestünden.  Allerdings sei es tatsächlich mit dem Grundgesetz unvereinbar, solange es bei den Auswahlverfahren der Hochschulen keinen "Ausgleichsmechanismus zur Herstellung einer hinreichenden Vergleichbarkeit der Abiturnoten über die Landesgrenzen hinweg" gebe. 

 

Auch deshalb muss künftig bei den hochschuleigenen NC-Verfahren zusätzlich zur Abiturnote verpflichtend mindestens ein "ergänzendes, nicht schulnotenbasiertes" Auswahlkriterium "zur Bestimmung der Eignung" zum Tragen kommen. Womit die Richter vor allem Eignungstests und Bewerbergespräche meinen. Diese "hochschuleigenen Eignungsprüfungsverfahren oder die Auswahl nach vorangegangener Berufsausbildung oder -tätigkeit" müssten unbedingt auf standardisierte und strukturierte Weise erfolgen, erläuterte das Gericht. Was nicht heißt, dass künftig alle das gleiche machen müssen: Die Richter betonten, dass sich die Eignungstests, solange sie die genannten Anforderungen erfüllten, sehr wohl von Hochschule zu Hochschule unterscheiden könnten. Hier kämen sowohl der "Erfahrungsbezug" der Hochschulen als auch die grundgesetzlich geschützte Freiheit von Forschung und Lehre zum Tragen. 

 

Ebenfalls bestimmten die Karlsruher Richter, dass die überlange Wartezeiten begrenzt werden müssen. Ein zu langes Warten beeinträchtige erheblich die Erfolgschancen im Studium und damit die Möglichkeit zur Verwirklichung der Berufswahl.

 

Die Stiftung für Hochschulzulassung muss ihre Verfahren ändern

 

Neu gestaltet werden muss auch die Praxis der SfH, im Rahmen der Abiturbestenquote bislang nur sechs Ortswünsche der Bewerber einzubeziehen, wo sie am liebsten studieren wollen. Das konkrete Verfahren führe derzeit dazu, dass die Chancen der Abiturienten auf einem Studienplatz in erster Linie davon abhingen, welchen Ort sie angegeben hätten – "und nur in zweiter Linie von ihrer Eignung zum Studium". Wenn überhaupt, so dürften Ortswünsche nur von sekundärer Bedeutung für die Zulassungsentscheidung sein. Eine Begrenzung des Zulassungsantrags auf sechs Studienorte sei daher verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Hier muss die Stiftung ihr Verfahren ändern – und reagiert bereits. Die SfH stellte nach der Urteilsverkündung einen Hinweis an alle Bewerber auf ihr Bewerberportal "Hochschulstart.de": Die Stiftung werde in den kommenden Tagen ein "offizielles Statement" veröffentlichen. 

 

In einem weiteren Kritikpunkt hatte die SfH bereits vor dem heutigen Urteil nachgebessert. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte beanstandet, dass die Wartezeitquote gleichheitswidrig ausgestaltet sei, weil sie allein nach der seit dem Abitur vergangenen Zeit messe. Mit dem Ergebnis, dass Menschen, die sich spontan und zum Beispiel erst nach Jahren in einem anderen Beruf um einen Studienplatz bewerben, vorbeiziehen könnten an Studieninteressenten, die sich viel früher beworben haben und immer noch ihre Wartesemester absitzen. Künftig will die SfH allein auf Bewerbungssemester abheben, nicht mehr auf die seit der Hochschulzugangsberechtigung vergangene Zeit. 

 

Die Konsequenzen des Karlsruher Urteils dürften weit über die Humanmedizin und die anderen bundesweit administrierten NCs in Tier- und Zahnmedizin sowie Pharmazie hinausreichen. Die überwiegende Zahl der Zulassungsverfahren bei lokalem Numerus Clausus verläuft bislang nach ähnlichen Kriterien wie die hochschuleigenen Verfahren im Medizinstudium – woraus sich auch derselbe Reformbedarf ergibt. Es werden spannende zwei Jahre bis Ende 2019.

 

Meine ausführliche Einordnung des Urteils finden Sie in der ZEIT.

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Kommentare: 3
  • #1

    Achtung (Dienstag, 19 Dezember 2017 14:12)

    Im vorletzen Absatz wird über das Ziel hinausgeschossen. Schlecht wenn man Insiderwissen hat, dieses aber nicht richtig einsetzt. Es gibt noch keine Bewerbungssemester, diese Regelung soll erst mit der Ratifizierung des neuen Staatsvertrages in Kraft treten. Kann aber noch etwas dauern. Zumindest für das aktuelle Sommersemester und wahrscheinlich für das nächste Wintersemester wird die Wartezeit wie bisher berechnet.

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Dienstag, 19 Dezember 2017 14:26)

    Herzlichen Dank für die Korrektur! Allerdings handelt es sich dabei nicht um Insiderwissen, sondern ist so an verschiedener Stelle berichtet worden, unter anderem hier:
    http://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/bundesverfassungsgericht-wer-darf-kuenftig-arzt-werden-a-1170967.html.
    Ich korrigiere den Punkt im Artikel entsprechend.
    Besten Dank und beste Grüße
    Ihr J-M Wiarda

  • #3

    Insider? (Dienstag, 19 Dezember 2017 17:59)

    Kann die gute alte Software der SfH überhaupt noch Änderungen am Verfahren abbilden? Spannend wie die IT-Profis hier in knapp zwei Jahrem entsprechend reagieren werden. Aber vermutlich wird ein "kleines" Berliner Unternehmen aus der Berliner Mohrenstraße ganz zufällig eine entsprechende "Lösung" präsentieren. Ohne Ausschreibung.