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Die Corona-Bildungsfrage

Anja Karliczek unterschreibt heute das 550-Millionen-Sofortprogramm für digitale Endgeräte. Gut so. Noch wichtiger: Tun die Kultusminister wirklich alles, um die Schulen auf eine zweite Corona-Welle vorzubereiten?

ANJA KARLICZEK lädt heute zum Fototermin. Pünktlich um 11.15 Uhr setzt sie öffentlichkeitswirksam ihre Unterschrift unter die Vereinbarung, die ihr Ministerium mit den Ländern ausgehandelt hat, "in kürzester Zeit", wie es in der Presseeinladung heißt. Tatsächlich sind nur gut sechs Wochen vergangen, seit Karliczek zusammen mit KMK-Präsidentin Stefanie Hubig erste Eckpunkte zu der 550-Millionen-Euro-Ergänzung des Digitalpakts präsentiert hatte. Damals war die CDU-Bundesbildungsministerin sogar noch optimistischer gewesen und hatte von "zwei bis drei Wochen" gesprochen, bis sie die Verwaltungsvereinbarung unterzeichnen könne.

 

Was schon Mitte Mai feststand: 500 Millionen kommen zusätzlich vom Bund, damit künftig alle Schüler, deren Eltern nicht selbst das Geld haben, über die Schulen einen Laptop oder Tablet langfristig geliehen bekommen können. Die Länder legen weitere 50 Millionen drauf, wobei sie auf ihren Anteil wohl alle zum Programm passenden Investitionen anrechnen können, die sie seit Beginn der Schulschließungen ohnehin bereits getätigt haben.

 

Zugleich waren Mitte Mai, bei der Vorstellung der Eckpunkte, viele Fragen noch offen. Vor allem, wie und bis wann genau sichergestellt werden soll, dass wirklich jedes Kind und jeder Jugendliche "mit Unterstützungsbedarf" ein Gerät geliehen bekommt. Wie passt zum Beispiel die gleichmäßige Verteilung der 500 Bundesmillionen auf die Länder über den sogenannten Königsteiner Schlüssel damit zusammen, dass die armen Familien ungleich über die Bundesrepublik verteilt sind? Und soll wirklich ein Teil der ohnehin schon knappen 500 Millionen Euro gar nicht in die Finanzierung der Endgeräte fließen, sondern dürfen die Länder sie allgemeiner in die "Ausstattung der Schulen" investieren, soweit diese, wie es im Mai hieß, "für die Erstellung professioneller Online-Lehrangebote erforderlich" sei?

 

Dass die Schulen zu den digitale Schlusslichter zählten, war
vor Corona ärgerlich, aber politisch vielleicht verzeihlich

 

Nach dem Fototermin wird Anja Karliczek es in einem Statement sagen, den Rest kann man in der Verwaltungsvereinbarung nachlesen. Später mehr dazu. Auch dazu, warum diese Zusatzvereinbarung zum Digitalpakt Schule eigentlich nur der Einstieg in mehr sein kann.

 

Eines ist schon jetzt unstrittig: Es ist gut, dass sich der Bund, wie vom GroKo-Koalitionsausschuss am 22. April, kurz vor Ende des Shutdowns, beschlossen, hier engagiert. Dass längst nicht alle Kinder ein eigenes Gerät zum Lernen und Arbeiten haben, war der Bildungspolitik allerdings schon vor der Krise bekannt. Doch fehlte der Nachdruck beim Handeln, bis die Pandemie kam und die Schulschließungen brachte.

 

Das ist ärgerlich, weil Deutschlands Schulen vor Corona zu den digitalen Schlusslichtern in Europa gehörten, aber irgendwie ist es auch menschlich und politisch vielleicht verzeihlich. Doch bietet die Besiegelung des Endgeräte-Programms zugleich den notwendigen Anlass für eine klare Ansage an die Kultusminister. 

 

Sie alle wollen nach den Sommerferien zu einem Regelbetrieb an den Schulen zurückkehren, "wenn es das Infektionsgeschehen zulässt". So haben sie es vor zwei Wochen in einem gemeinsamen Beschluss der Kultusministerkonferenz festgehalten, der bemerkenswert deutlich das Recht von Kindern und Jugendlichen auf Bildung und Teilhabe betonte. Und der zugleich doch nur unzureichend sagte, wie genau die Kultusminister dieses Recht praktisch gewährleisten wollen. 

 

Das Ziel Regelbetrieb ist richtig, doch dürfen die Minister
deshalb beim Digital-Unterricht nicht nachlasssen

 

Solange es keine zweite Welle gibt, ist das noch vergleichsweise einfach – und zugleich schon schwer genug. Denn die Ankündigung, die Schüler sollten in diesem Fall möglichst "nach geltender Stundentafel in den Schulen vor Ort und in ihrem Klassenverband oder in einer festen Lerngruppe unterrichtet werden", kollidiert mit dem ohnehin vorhandenen Lehrermangel, der in der Krise noch verstärkt wird durch den Ausfall derjenigen Lehrkräfte für den Präsenzunterricht, die durch Corona besonders gefährdet sind. Trotzdem ist das Versprechen der Kultusminister richtig, weil es die Richtung aufzeigt, das Ziel – und die Bildungspolitik ist bereit, sich daran messen zu lassen.

 

Doch was ist, wenn doch Schulen geschlossen werden oder Klassen in Quarantäne müssen? Vereinzelt wird das, darin besteht kein Zweifel, selbst unter günstigsten Umständen immer wieder passieren. Es passiert ja längst, was im Übrigen, solange solche Fälle nicht dramatisch zunehmen, eine in der Pandemie statistisch erwartbare Sache ist und in keiner Weise gegen die Rückkehr zum Normalbetrieb (oder, siehe oben, dem, was maximal geht) spricht.

 

Im schlimmeren Falle wird es in ganzen Regionen, Landkreisen zum Beispiel, Schließungen geben, und wenn tatsächlich eine zweite Welle kommt, womöglich darüber hinaus. Über die Sinnhaftigkeit des Reflexes der Politik, bei Covid-19-Ausbrüchen bislang immer als erstes Kitas und Schulen zu schließen, ist damit nichts gesagt, ich habe sie an anderer Stelle bereits mehrfach hinterfragt. Eines aber darf auf keinen Fall passieren: dass die Kultusminister nach ihrem Bekenntnis zum Regelbetrieb bei der Digitalisierung das Tempo rausnehmen.

 

Und damit meine ich nicht die Endgeräte, die sind – wenn denn das Programm funktioniert – noch die einfachste Übung. Viel drängender sind Lehrkonzepte und digitale Standards in jedem Land und in jeder Schule. Bis das neue Schuljahr anfängt, muss in jeder Schule und für jede Schulklasse festgelegt werden, was passiert und wer genau wofür zuständig ist, wenn Fernunterricht nötig bleibt oder nötig wird. Und eine Anmerkung, weil das oft vergessen wird: Für nicht wenige Schüler wird der Fernunterricht auch im Regelbetrieb nötig sein. Sie können nicht zur Schule gehen, weil sie selbst oder nahe Familienangehörige zur Risikogruppe zählen. 

 

Beim zweiten Mal haben die Kultusminister
keine einzige Ausrede mehr

 

Und doch ist die Umstellung des gesamten Schulbetriebs möglicherweise von einem Tag auf den anderen von Präsenz auf Digital eine ganz andere Hausnummer. Es muss jetzt geklärt werden, wie die Stundentafel zur Not in vollem Umfang auch digital umgesetzt werden kann. Hier reichen keine schönen Worte, keine Appelle an die Schulen. Alle Kultusminister müssen den Schulen und Schulträgern unmissverständliche Vorgaben machen und mithilfe der Schulaufsicht klären, welche Unterstützung vor Ort nötig ist – welche Fortbildungen, welche Technik, welche personelle Verstärkung – damit die Vorgaben erfüllt werden können.

 

Die Zeit dafür ist denkbar knapp: bis zum Ende der Sommerferien, mehr nicht. Und doch: Es ist die einzige und längste Vorwarnzeit, die die Schulen und Kultusminister bekommen werden. "Große Frage an alle KultusministerInnen", schrieb vergangene Woche mein Journalistenkollege Christian Schwägerl auf Twitter. "Werden sie die kommenden Wochen nutzen, um die Schulen digital fit für eine 2. Welle und die entsprechenden Restriktionen zu machen? Wird bei der Digitalisierung alles getan, damit es dann zu  keinen neuerlichen Unterrichtsausfällen kommt?"

 

Es ist jetzt die alles entscheidende Corona-Bildungsfrage. Als die Schulschließungen Mitte März über die Schulen hereinbrachen, waren die meisten vollkommen unvorbereitet. Das war, ich sagte es, ärgerlich, angesichts der Unmittelbarkeit aber auch nachvollziehbar und politisch vielleicht verzeihlich. Jetzt lautet die Ansage an die Kultusminister: Sollte es erneut so kommen, können sie keine einzige Ausrede mehr bemühen.  

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Kommentare: 1
  • #1

    Sabine (Sonntag, 12 Juli 2020 22:52)

    Wird alles getan? Wenn ich - von Lehrer:innen höre, dass die Angebote digitaler Fortbildungen innerhalb kürzester Zeit ausgebucht waren und nur ca. 1/4 der Interessent:innen einen Platz bekam, verstärkt das zunehmend mein Gefühl, dass man in Deutschland wieder nicht vorbereitet sein wird.