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Konkreter, bitte!

Bund und Länder haben sich auf Regeln für das versprochene Digital-Sofortprogramm für bedürftige Schüler geeinigt. Doch wann wirklich alle Kinder und Jugendlichen versorgt sein werden, ist noch offen.

"DAS WAR TOLL", sagte Anja Karliczek. Ein Lob, das an ihre Länderkollegen ging, deren Ministerien in nur drei Wochen mit Karliczeks BMBF klargemacht hatten, wie die von der GroKo versprochenen 500 Bundesmillionen in die Länder fließen sollen. Mit dem Geld, so die Ansage des Koalitionsausschusses vom 22. April, sollten digitale Endgeräte für Schüler finanziert werden, die sich diese selbst nicht leisten können, 150 Euro pro bedürftigem Schüler, hieß es am Morgen nach dem Koalitionsausschuss. 

 

Heute nun stellte die CDU-Bundesbildungsministerin zusammen mit der rheinland-pfälzischen Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) die Umsetzung des Beschlusses vor, Karliczek per Pressekonferenz in Berlin, Hubig zugeschaltet aus Mainz. Ob die Schulen, die Schüler und ihre Eltern das erreichte Ergebnis genauso "toll" wie Karliczek finden werden, bleibt indes abzuwarten. Denn eines ist offenbar in der Vereinbarung nicht enthalten: ein genau beschriebener Anspruch, dass jeder und jede betroffene Schülerin bis zu einem bestimmten Zeitpunkt das nötige Endgerät erhalten wird.

 

Die Schulen besitzen die Geräte und
verleihen sie an die Schüler

 

Die Eckpunkte der Vereinbarung, die den bestehenden Digitalpakt ergänzen soll: Der Bund gibt 500 Millionen Euro, die Länder legen, entsprechend der Finanzanteile im Digitalpakt, noch einmal 50 Millionen oben drauf – wobei sie auf diese 50 Millionen alle zum Programm passenden Investitionen anrechnen können, die sie seit Beginn der Schulschließungen ohnehin bereits getätigt haben. Das Geld wird per Königsteiner Schlüssel, der Einwohner und Wirtschaftskraft berücksichtigt, auf die Länder verteilt, die damit zentrale Beschaffungsprogramme für mobile Geräte auflegen, inklusive der Kosten für die Inbetriebnahme und das nötige Zubehör. Die Geräte gehen dann an die Schulen und Schulträger, die sie langfristig an die Schüler ausleihen. Die Geräte bleiben also im Eigentum der Schulen, was sinnvoll ist, denn damit bleibt auch die Einrichtung der nötigen Software, die Wartung und der Neukauf in Falle eines Defekts nicht an den Schülern und ihren Familien hängen.

 

Aber wer bekommt denn nun überhaupt Geräte, und nach welchen Regeln? Und zu wann spätestens können bedürftige Schüler erwarten, auf jeden Fall ein Gerät in der Hand zu halten? Genau das sind die Angaben, die die Kinder und Jugendlichen, ihr Eltern und Lehrkräfte erwarten, auf die sie dringend gehofft haben. Doch die – typisch föderale – Antwort heute lautete: Das regeln die Länder.

 

Immerhin: Der schwarz-rote Koalitionsausschuss war nach dem 22. April dafür kritisiert worden, dass er – wenig realistisch – nur 150 Euro pro bedürftigem Kind rechnete. In der heute vorgestellten Vereinbarung kommen nach Auskunft Karliczeks die 150 Euro pro Kind nicht mehr vor, der Rahmen ist also offen.

 

Allerdings können die Länder immer noch wie am 22. April angekündigt einen – in der heutigen Pressekonferenz nicht genau bezifferten – Teil der 500 Millionen Euro in die "Ausstattung der Schulen" investieren, soweit diese "für die Erstellung professioneller Online-Lehrangebote erforderlich" sei. Warum wurde nicht auch diese Bestimmung gestrichen? Jeder Euro, der hierfür von den ohnehin knappen 500 Millionen abgezwackt wird, fehlt am Ende für die Endgeräte. Ein bisschen riecht es deshalb danach, als handle es sich bei dem Sofortprogramm speziell für bedürftige Schüler doch mehr um ein Sofortprogramm für die allgemeine schulische Endgeräte-Ertüchtigung.

 

Wann ist
eigentlich "jetzt"?

 

Hubig, die dieses Jahr auch Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) ist, versicherte indes, dass die meisten Bundesländer alles oder den Großteil des Geldes in die Endgeräte stecken würden, "denn das ist das, was sie am dringendsten brauchen". 

 

Wie überhaupt viel versichert wurde von den beiden Ministerinnen, wo die betroffenen Familien es gern schon konkreter gehabt hätten: Mit der Vereinbarung sei sichergestellt, sagte Karliczek, "dass möglichst bald alle am Online-Unterricht teilnehmen können". Hubig sagte, zur Bildungsgerechtigkeit gehöre auch die digitale Ausstattung der Schüler. "Deshalb ist es ein konsequenter Schritt, dass wir Schülerinnen und Schülern, die es benötigen, jetzt digitale Endgeräte zur Verfügung stellen."

 

Aber wann ist "jetzt"? Anja Karliczek sagte, nach Bestätigung durch alle Länderkabinette könnte die Vereinbarung in zwei bis drei Wochen stehen, dann könne sie auch ihre Unterschrift druntersetzen. Wobei das die Familien eher weniger interessieren dürfte und viel mehr, wann sie die Geräte in den Händen halten. Tatsächlich haben viele Länder und Kommunen ja längst große Beschaffungsprogramme für Tablets & Co gestartet, zum Teil wurden erste Chargen bereits an die Schulen ausgeliefert – aber oft eben als ganze Klassensätze. 

 

Deshalb wäre ja Kriterien so wichtig, wenn das Bund-Länder-Programm mehr sein soll als eine Finanzhilfe für die Länderhaushalte, wenn es nicht einfach mehr Endgeräte in die Schulen bringen soll, sondern  zielgerichtet zu den bedürftigen Kindern: Kriterien, welche Kinder auf jeden Fall und am schnellsten ein Gerät zur Verfügung gestellt bekommen. Wird die Vereinbarung diesen entscheidenden Mehrwert leisten? Das blieb heute unklar.

 

Sehr klar war KMK-Präsidentin Hubig, was die Fortsetzung des Ausnahmezustandes an den Schulen angeht. Sie sagte: "Solange die Abstandsregeln gelten, kann Schule nicht so stattfinden, wie wir es alle gewohnt und wie wir es uns wieder wünschen." Mit anderem Worten: Der Ausnahmezustand kann noch sehr, sehr lange dauern. Eine eigens eingerichtete KMK-Arbeitsgruppe sitzt derzeit an der Ausarbeitung von Szenarien für das neue Schuljahr.  Hubig sagte weiter: "In der Zeit der schrittweisen Schulöffnung, in der sich Präsenzunterricht und Heimarbeit abwechseln, arbeiten die Schulen weiter digital." Hoffentlich, möchte man Hubig indes zurufen, danach auch noch. 



Was andere sagen

Der Deutsche Philologenverband begrüßte das Sofortprogramm, allerdings, sagte die Verbandsvorsitzende Susanne Lin-Klitzing, reichten "die bisherigen Schritte und Ziele für einen guten Präsenz- und Fern-Unterricht der Gegenwart und Zukunft nicht aus". Die Schulen müssten baulich und digital grundsätzlich neu instand gesetzt werden – "und das jetzt in den Sommerferien, damit die Voraussetzungen für einen Neubeginn im neuen Schuljahr stimmen!" 

 

Der FDP-Bildungspolitiker Thomas Sattelberger sagte, "ganze neun Wochen nach den Schulschließungen" hätten auch Karliczek und ihre Länderkollegen gemerkt, dass Deutschland für Online-Unterricht unzureichend aufgestellt sei. "Jetzt erst kommen Karliczek & Co. darauf, dass wir hierzulande Kinder in finanziell schwachen Familien haben." Und nun sollten Schüler, Eltern und Lehrer noch weitere drei Wochen warten. "Dieser Föderalismus hängt der Bildung wie ein Mühlstein um den Hals." Endgeräte für Schüler anzukündigen sei das eine. "Messen werden wir den Erfolg daran, wie schnell die Geräte bei den Kindern ankommen." 

 

Die bildungspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Margit Stumpp, sagte, es sei "richtig und notwendig, den Digitalpakt so zu erweitern, dass Schülerinnen und Schüler, die bisher vom digitalen Lernen abgehängt waren, nun ein Endgerät bekommen können." Doch könne dies nur ein erster Schritt sein. Ähnlich wie  der Philologenverband forderte Stumpp zusätzlich eine digitale Grundausstattung der Schulen, "ein technisches, organisatorisches undstabiles WLAN, Endgeräte für Lehrkräfte und pädagogisches Fundament, das den digitalen Zugang aller Schüler*innen zu ihren Lehrkräften sowie zu Lernmaterial und -medien garantiert". Dazu gehörten Breitbandanschluss und ein stabiles WLAN, Endgeräte für Lehrkräfte und dienstliche Mailadressen sowie datenschutzkonforme Server, Lernmanagementsysteme und Messenger. Zu 

diesem Zweck müsse der Digitalpakt flexibilisiert werden.

 

Die stellvertretende SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzende Bärbel Bas sagte, es sei gut, dass das Programm schnell an den Start gehe. "Was noch fehlt, ist eine Lösung für die, die keinen Internetanschluss haben. Der Bund sucht hierfür zurzeit mit den Mobilfunkanbietern nach Lösungen. Wir erwarten, dass das Bundesbildungsministerium dies zügig vorantreibt."

 

Die CDU-/CSU-Bundestagsfraktion lobte den Bund als erneuten "Impulsgeber für digitale Bildung in unseren Schulen". Die Investitionen durch den Digitalpakt und seine heute vereinbarte Ergänzung seien nur nachhaltig, "wenn die Bundesländer endlich aktiv ihre digitalen Lehr- und Lernkonzepte vorantreiben", sagte der digitalpolitische Sprecher Tankred Schipanski. Insbesondere müssten sich die Bundesländer viel stärker im Bereich der Lehrerfortbildung engagieren. "Das ist die Achillesferse der digitalen Schulbildung. Ich betrachte mit großer Sorge, dass die Bundesländer scheinbar auch mit dieser Aufgabenstellung an ihre Grenzen geraten."

 

Thomas de Maizière, der Vorsitzende der Telekom-Stiftung, warnte, dass die notwendige Technik allein für eine hochwertige digitale Wissensvermittlung nicht ausreiche. "Noch wichtiger als Laptops, Tablets oder Smartphones ist es, den Schülerinnen und Schülern Methoden und Inhalte richtig zu vermitteln", sagte der frühere Bundesinnenminister. "Hier haben Schulen und Lehrkräfte Nachholbedarf." Eine Umfrage der Stiftung unter 10- bis 16-Jährigen und ihren Eltern hatte kürzlich ergeben, dass beim Homeschooling per E-Mail verschickte Aufgabenblätter vorherrschen. Nur ein Drittel der Befragten hatte bis zum Zeitpunkt der Befragung digitale Lernmedien genutzt.  

 

 


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