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Das große Zählen

Woran genau scheitern eigentlich deutsche Studienanfänger? Klar, fragt man Professoren, können die mit jeder Menge Anekdoten aufwarten – von Germanistikstudenten, die in einem zweiseitigen Essay 12 Rechtschreibfehler unterbringen. Von Ingenieur-Erstsemestern, die in der Mathe I - Prüfung nicht mal den Dreisatz richtig anwenden. Oder auch von Möchtegern-Biologen, die Chemie nach der 10. Klasse abgewählt haben.


Gibt es alles. Hat allerdings keine Aussagekraft. Die einzig ehrliche Antwort lautet: Wir wissen es nicht genau. Ein Studenten-Monitoring, das systematische Erkenntnisse zum Wann, Wie und Warum des studentischen Scheiterns liefern könnte, ist an deutschen Hochschulen bis auf wenige Ausnahmen unbekannt. Eigentlich ist es sogar noch schlimmer: Verlässliche Abbrecherzahlen, sortiert nach Fächern, Hochschularten oder gar heruntergebrachten nach Regionen, führt selbst die amtliche Statistik bislang nicht. Womit sich die Hochschulforscher behelfen müssen, sind so genannte Schwundquoten, die jedoch nicht unterscheiden können zwischen echten Studienabbrechern und Hochschulwechslern. Was wiederum dazu führt, dass sich Hochschullehrer aus notorischen Abbrecherfächern (ich nenne jetzt mal nicht die Maschinenbauer) gelegentlich damit rausreden, die Schwundquoten seien ja alle furchtbar überzeichnet, die Leute würden einfach alle die Hochschule wechseln.

Ich übertreibe. Allerdings nicht allzu sehr. Die Realität reicht schon, wie sie ist, um Professoren aus englischsprachigen Ländern in ungläubige Bestürzung zu versetzen, wenn Sie von der weit verbreiteten deutschen Ahnungslosigkeit in Sachen Studentenkarrieren hören. Wenn die Hochschulverwaltung dort wissen will, wie es so bestellt ist um die Bachelorstudenten mit dem Hauptfach Sinologie oder Kunstgeschichte, zieht sie die aktuelle Statistik einfach aus dem Monitoring-Programm, das alle studentischen Leistungen erfasst und einzelnen Altersgruppen zuordnet. Ja, das gibt es mittlerweile so ähnlich auch an einigen großen deutschen Universitäten, aber eben nur vereinzelt. Ganz so weit wie an der University of British Columbia muss man da sicherlich nicht gehen: Studenten-Monitoring heißt dort, eine Website zu schalten, auf der Studenten einander anonym melden können, wenn sie den nötigen Einsatz im Studium vermissen lassen. Aus reiner Sorge um ihr Wohlbefinden, versteht sich.


Deutschland hat ein anderes Verhältnis zum Umgang mit personenbezogenen Daten, und das ist in den meisten Fällen auch gut so. Aber eben nicht in allen Fällen. Ein vernünftiges Studentenmonitoring mit dem Hinweis auf die Privatsphäre der Betroffenen abzulehnen, ist ein verständlicher Reflex, aber auch ein bisschen simpel gedacht. Schließlich ist es technisch ohne Weiteres möglich, individuelle Studienverläufe nachzuvollziehen, ohne dabei die Identität der Studenten zu enthüllen.

Hoffnung macht, dass die Bundesregierung beschlossen hat, das Hochschulstatistikgesetz anzupassen. Das Gesetz schreibt vor, welche Daten die Hochschulen an die statistischen Landesämter zu melden haben. Geplant ist unter anderem erstmals eine Studienverlaufsstatistik, die Informationen über den Ablauf eines Studiums, Abbrecherquoten, Fach- und Hochschulwechsel liefern soll und – ebenfalls eine Premiere – erfasst, wer eigentlich in Deutschland in welchen Fächern am Promovieren ist. Das Gute: In dem Augenblick, in denen die Hochschulen gezwungen sind, all diese Zahlen zu sammeln, werden sie eine Menge über sich selbst lernen und sicherlich auch Schlüsse daraus ziehen. Im Moment macht die Gesetzesänderung ihren gemächlichen Weg durchs Parlament. Aber es besteht kein Anlass zur Sorge, dass es noch auf der Zielgeraden gekippt werden könnte.


Rektoren beschweren sich ja in diesen Tagen, die Politik mische sich zu sehr in Details ein und nehme es nicht mehr so genau mit der Autonomie der Hochschulen. Oft habe ich ihnen Recht gegeben, auch in diesem Blog. Beim Thema Hochschulstatistik allerdings kann die Einmischung der Politik kaum groß genug sein.


Update am 26.11:
Die neuen Zahlen von "Bildung auf einen Blick" der OECD scheinen die Problematik der hohen Abbrecherzahlen in Deutschland – auch im internationalen Vergleich – zu bestätigen. Das folgert zumindest Spiegel Online. Ich befürchte allerdings, dass dem Kollegen hier einer statistische Fehlinterpretation unterläuft. Die hohe Studienanfängerquote von laut OECD zuletzt 59 Prozent lässt sich in keine unmittelbare Beziehung zur Abschlussquote von 36 Prozent setzen. Hier wurden keine Kohorten untersucht, und außerdem hat Deutschland in den vergangenen Jahren einen steilen Anstieg bei den Erstsemesterzahlen verzeichnet, der sich erst verzögert auf die Abschlussquote auswirken wird.


Also alles halb so schlimm? Nein, denn auch wenn Deutschland im internationalen Vergleich keine auffällig hohe Abbrecherquote hat, heißt das nicht, dass durch ein konsequenteres Studierendenmonitoring nicht noch mehr zu erreichen wäre.

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