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Bildungsökonom: Bildungsstand der Flüchtlinge niedriger als vermutet

Heute erscheint in der ZEIT ein Interview, das ich mit dem Bildungsökonomen Ludger Wößmann geführt habe. Wir sind vor ein paar Wochen auf einer Konferenz in München zufällig ins Gespräch gekommen, und da erzählte er mir von den ernüchternden Ergebnissen zum Bildungsstand syrischer Schüler. Schwierige Zahlen, weil sie von den falschen Leuten leicht für ihre Zwecke umgedeutet werden können, nach der Devise: Die können ja gar nichts. Doch, die können eine Menge. Allein um die 50.000, so Schätzungen, werden sich in den nächsten 12 Monaten an den deutschen Hochschulen immatrikulieren. Doch viele Flüchtlinge stammen aus Bildungssystemen, die mit denen in der entwickelten Welt nicht zu vergleichen sind. Und wer sie wirklich integrieren möchte, der sollte sich der Fakten bewusst sein und sie sich nicht einfacher denken, als sie sind. Um der Flüchtlinge willen. Genau deshalb konnte ich Wößmann davon überzeugen, dass wir das Interview machen sollten. Das Interview selbst ist noch nicht online, aber ich dokumentiere hier den Text, den ich gestern als Agenturvoranmeldung verfasst habe und der heute von etlichen Medien aufgegriffen wurde.


Der Bildungsstand vieler Flüchtlinge ist möglicherweise noch niedriger als bislang vermutet. „Die Ergebnisse sind eindeutig“, sagt der Münchner Bildungsökonom Ludger Wößmann in der ZEIT. „Vom Lernstoff her hinken syrische Achtklässler im Mittel fünf Schuljahre hinter etwa gleichaltrigen deutschen Schülern hinterher.“ Zwei Drittel der Syrer müssten als nach internationalen Standards als funktionale Analphabeten gelten.


Wößmann und sein Kollege Eric A. Hanushek haben für die OECD die Schulbildung in insgesamt 81 Ländern miteinander verglichen, darunter Staaten wie Syrien oder Albanien, aus denen aktuell die meisten Flüchtlinge stammen. Lege man die Ergebnisse der internationalen Schulleistungsstudien Pisa und Timms zugrunde, ergebe sich ein niederschmetterndes Bild, so Wößmann: „In Syrien schaffen 65 Prozent der Schüler nicht den Sprung über das, was die OECD als Grundkompetenzen definiert. In Albanien liegt die Quote bei 59 Prozent – gegenüber 16 Prozent in Deutschland.“


Wößmann, der am zur Leibniz-Gemeinschaft gehörenden ifo-Institut forscht, fordert von der Politik den Realitätssinn, um aus den Zahlen die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Die Mehrheit der jungen Flüchtlinge werde an einer drei Jahre langen Vollausbildung mit hohem Theorieanteil scheitern. Darum müsse über mehr teilqualifizierende Ausbildungen nachgedacht werden, „die stärker die praktischen Fähigkeiten betonen und die theoretischen Grundlagen begrenzen.“ Als Beispiele nennt Wößmann Krankenpflegehelfer, Landschaftsgärtner oder Maurer. „Wir brauchen mehr einjährige Qualifikationen – mit der Möglichkeit, diese später in eine Vollausbildung auszuweiten.“


Zudem fordert Wößmann, den Mindestlohn von 8,50 Euro für Flüchtlinge zumindest vorübergehend auszusetzen. Der Bildungsforscher wehrt sich gegen die Kritik, eine solche Maßnahme würde gegen die Würde der Flüchtlinge verstoßen. Wer so daherrede, der solle die ganze Wahrheit sagen: „nämlich dass er in Kauf nimmt, dass dann ein großer Teil der Flüchtlinge niemals in den Arbeitsmarkt integriert werden wird. Das ist die realistische Alternative – und der wirkliche Verstoß gegen die Würde dieser Menschen.“

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