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Ein ungutes Gefühl im Bauch

Was zählt mehr? Die Pressefreiheit oder die Persönlichkeitsrechte einer mutmaßlichen Plagiatorin? Ein Frankfurter Gericht hat dazu jetzt ein Urteil gefällt.

ICH MUSS GENAU AUFPASSEN, während ich diesen Artikel schreibe. Einem Journalistenkollegen von mir ist gerade vom Landgericht Frankfurt am Main verboten worden, über eine ehemalige Vizepräsidentin der Universität Flensburg namentlich "zu berichten oder berichten zu lassen", und zwar "im Zusammenhang mit der Berichterstattung über gegen sie gerichtete Plagiatsvorwürfe". Hält er sich nicht dran, drohen ihm ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro oder eine Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten. 

 

Den Namen des Verurteilten werde ich wohl nennen dürfen. Es handelt sich um Jochen Zenthöfer, einen promovierten Juristen und freien Journalisten, zu dessen Schwerpunkten eben jene Berichterstattung gehört: über mutmaßliche und nachgewiesene Plagiatsvergehen, über deren Umfang und Hintergründe – und auch über die Menschen, die sie begangen haben sollen.

 

Einer dieser Menschen ist besagte ehemalige Flensburger Vizepräsidentin. Ebenfalls Juristin. Ihre Promotion und Habilitation absolvierte sie an der Goethe-Universität in Frankfurt. 2016, da war sie schon nicht mehr Vizepräsidentin, warf ihr die Internet-Plattform "VroniPlag Wiki" vor, bei beiden wissenschaftlichen Arbeiten plagiiert zu haben. Was als Verdacht eines sogenannten "Doppelplagiats" für Aufsehen in der Szene sorgte. 

 

Kollege Zenthöfer berichtete mehrfach über den Fall. Darüber, dass die Juristin wenig später auf ihren akademischen Titel einer Privatdozentin verzichtete. Dass sie Ende August 2017 auf eigenes Verlangen aus dem Beamtenverhältnis entlassen wurde. Dass sie sich in Hinblick auf ihre Dissertation und Habilitation bis heute in Auseinandersetzungen mit der Goethe-Universität befindet. Und Zenthöfer nannte ihren Namen.

 

Das verbat sich die Betroffene. Übrigens nicht nur gegenüber Zenthöfer, sondern auch gegenüber anderen Journalisten und Zeitungen. Dem Flensburger Tagblatt zum Beispiel. Gegen deren Verlag wollte die ehemalige Privatdozentin ein gerichtliches Verbot erwirken, über ihren Plagiatsfall mit Namen zu berichten. Was das Gericht, ebenfalls das Landesgericht Frankfurt am Main, zunächst ablehnte. Die Klägerin legte Berufung ein, das Oberlandesgericht sprach dann in der mündlichen Verhandlung laut Protokoll "von einem echten Grenzfall" zwischen dem Recht der Öffentlichkeit auf Information und den tangierten Persönlichkeitsrechten. Woraufhin der Verlag des Flensburger Tagblatts sich auf einen Vergleich einließ und den Namen der Betroffenen auf seinen Online-Seiten entfernte. 

 

Als Jochen Zenthöfer im November 2017 im Magazin Cicero in einer Aufzählung von Plagiatsfällen und Plagiatsverdachten auch die ehemalige Flensburger Vizepräsidentin nannte, wurde diese erneut aktiv. Sie bat die Redaktion, ihren Namen online zu entfernen, was Cicero auch tat. Zenthöfer beschloss in der Folge, einen Artikel über den Fall und die Bemühungen der Beschuldigten zu schreiben, die Berichterstattung zu unterbinden. Und er teilte der Juristin seine Absicht, sie darin namentlich zu nennen, auch über seinen Anwalt mit. 

 

Woraus die aktuelle gerichtliche Auseinandersetzung entstand. Denn die Wissenschaftlerin erwirkte prompt eine einstweilige Verfügung gegen die geplante Namensnennung. Und Jochen Zenthöfer beschloss, die Sache auszufechten.   

 

Jetzt hat das Gericht entschieden, und es wertet die Interessen der Beschuldigten höher als das Recht der Presse- und Meinungsfreiheit. Durch die Namensnennung werde die "die Auffindbarkeit der Berichterstattung in Verknüpfung mit der Klägerin ermöglicht und damit ein Eingriff in ihr Persönlichkeitsrecht herbeigeführt". 

 

Zwar seien die Veröffentlichung einer Dissertation und Habilitation dem Berufsleben und damit der sogenannten Sozialsphäre und nicht ihrer Privatsphäre zuzuordnen, doch komme eine Namensnennung nur in Frage, wenn sie eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens sei oder eine hervorgehobene Position innehabe. Und hier meint das Gericht: Hatte die Betroffene mal. Aber nicht mehr. Sie habe alle ihre universitären und wissenschaftlichen Funktionen aufgegeben, auch habe sie sich aus ihrer Hochschulsphäre zurückgezogen. Insofern sei keine mögliche Vorbildfunktion mehr beeinträchtigt, und: Nach Verlust der Lehrbefugnis bestehe keine Gefahr mehr, "dass dem Lehrpersonal selbst wissenschaftliche Verfehlungen vorzuwerfen sind, die es bei anderen gerade überprüfen und ggf. auch ahnden soll". 

 

Und dann formuliert das Gericht einen Satz, der wohl so eine Art Trost sein soll: "Es darf nach wie vor über das Thema berichtet werden." Aber eben nicht mit Namensnennung. Und das reiche, um das öffentliche Interesse zu bedienen.  

 

Zenthöfer kritisierte das vergangene Woche bekannt gewordene Urteil. Das Gericht betone, dass sich die Klägerin aus der wissenschaftlichen Sphäre zurückgezogen habe, "geht aber nicht ein auf die weiter anhaltende Wirkung der veröffentlichten Qualifikationsschriften in der wissenschaftlichen Diskussion." Auch bleibe unberücksichtigt, dass es nicht um einen bloßen Plagiatsverdacht handle, "sondern um nachgewiesene und sehr handfeste Plagiate". 

 

Ich bin kein Jurist, im Gegensatz zu den beiden Streitparteien. Aber mir scheint eine Debatte über den Fall nicht die schlechteste Idee. Der Plagiatsfall ist juristisch noch nicht entschieden. Die Betroffene hat gerade erst Klage gegen die Goethe-Universität eingereicht, sie wehrt sich gegen die Aberkennung der Habilitation. Was schon insofern verwundert, weil sie sich laut Gericht doch aus der wissenschaftlichen Sphäre zurückgezogen hat. Auch die Art und Weise, wie sie sich gegen die Berichterstattung über ihren Fall gewehrt hat, ist bemerkenswert. Umgekehrt aber hat jeder Mensch, auch eine mutmaßliche Plagiatorin, das Recht auf faire Behandlung und, sollte es zu der Feststellung eines Vergehens kommen, zu einer späteren Rehabilitation. 

 

Aber beginnt diese Rehabilitationsphase schon, bevor der Fall abschließend geklärt ist? Und wie sollen wir Journalisten künftig überhaupt noch wissen, in welchen Fällen eine namentliche Erwähnung in Zusammenhang mit Plagiatsfällen und -vorwürfen in Ordnung ist und wann nicht? Was dürfen wir überhaupt noch an Details erwähnen, die indirekt doch eine Identifizierung möglich machen könnten? Und was bedeutet all dies für die Wissenschaftscommunity und ihre Diskussion über mögliche oder tatsächliche Plagiate?

 

Ich habe keine Antworten. Nur ein ungutes Gefühl im Bauch. Jochen Zenthöfer sagte mir übrigens, dass er in Berufung gehen will. 

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Kommentare: 10
  • #1

    eintagsfliege (Mittwoch, 14 November 2018 10:12)

    Tatsächlich wäre ich vermutlich nie auf den Fall aufmerksam geworden bzw. hätte ihn als einen unter vielen - bedauerlichen - Vorfällen nur bedingt zur Kenntnis genommen. Dieses Vorgehen allerdings hat mich nun derart aufgebracht, dass ich den Namen sofort recherchiert (und leicht gefunden) habe. Die Betreffende fügt sich somit nur weiter selbst einen Reputationsschaden zu, da es anderen Lesenden ähnlich gehen dürfte.

  • #2

    Debora Weber-Wulff (Mittwoch, 14 November 2018 11:07)

    Ralf Schwartmann hat neulichst in der FAZ zum Thema Erkennbarkeit von Plagiate und Namensnennung Stellung genommen: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/hoch-schule/wissenschaftsliches-fehlverhalten-plagiate-muessen-erkennbar-sein-15793168.html

  • #3

    Michael (Donnerstag, 15 November 2018 10:24)

    Darf man hier kommentarlos einen Wikipedia-Artikel zur Person verlinken?

  • #4

    Jan-Martin Wiarda (Donnerstag, 15 November 2018 10:27)

    @Michael
    Nein, bitte nicht. Ich würde den Link entfernen, weil ich als freier Journalist keine eigene juristische Abteilung vorhalte...

  • #5

    irritiert (Donnerstag, 15 November 2018 12:10)

    ich verstehe grundsätzlich nicht, was die nennung von namen beiträgt (genauso, wie zb auch die beliebte ablichtung des hause/hauseingangs bei beistimmten themen).
    in schweden zb gibt es bei solchen fällen eine art pseudonym ("cevian-mannen"), damit ist in der berichterstattung zuordnbar über wen berichtet wird -- und mehr ist schlicht nicht notwendig.

    inwieweit solche themen _überhaupt_ berichtenswert sind, darf man sich als geneigter leser so oder so fragen (gerade plagiatsvorwürfe, zumal dieser plattform, sind nach meiner wahrnehmung oft zweifelhaft, schwer nachprüfbar und schlicht rufmörderisch -- denn etwas bleibt eben hängen). und allzuoft ist berichterstattung schon anklage, urteil und strafe zusammen, ohne effektiven rechtsschutz!

    aus obigem beitrag ist ohne weiteres die betroffene person identifizierbar, ich müsste nur geringsten aufwand treiben, um namen und ggf bilder aufzufinden. warum?m was trägt das bei? welchen übergeordneten zweck erfüllt die berichterstattung diese frau?

    angesichts der auch von journalisten immer wieder befeuerten hetzjagden (über die sich dann auch sehr schön abfällig berichten lässt), wäre viel mehr verantwortungsbewusstsein und reflexion wünschenswert anstatt eines kindischen "ich darf das" auf kosten anderer ...

  • #6

    Anonym Publizieren (Donnerstag, 15 November 2018 13:43)

    Wenn Sie relevante Informationen auf einer Webseite veröffentlichen, die ihnen nicht zugeordnet werden kann, können Sie bezugnehmend auf diese Webseite alles veröffentlichten was Ihnen passt, Sie müssen dazu nur auf diese anonyme Webseite verweisen

  • #7

    Toolittle (Donnerstag, 15 November 2018 13:53)

    Man muss kein Genie sein, um den Namen zu finden.

  • #8

    user unknown (Donnerstag, 15 November 2018 15:30)

    Wenn der Name aber nicht hier auf der Seite steht, dann führt eine Googlesuche nach ihrem Namen auch nicht zu den Verdächtigungen hier.

    Dass sie sich gegen den Entzug der Habil wehrt, obwohl sie sich aus der Wissenschaft zurückgezogen hat, finde ich nicht überraschend. Einmal kratzt das natürlich enorm die eigene Ehre an, andererseits verschließt es Optionen für die Zukunft.

  • #9

    tutnichtszursache (Freitag, 16 November 2018 11:08)

    Frau Weber-Wulff hat dankenswerterweise auf den FAZ-Artikel hingewiesen. Der zentrale Punkt darin: Dissertationen sind aus Prinzip öffentlich. Dies ist ein wesentlicher Aspekt der Qualitätssicherung von Promotionen. Was geschieht, wenn ein Plagiat festgestellt wurde? Die Bücher stehen weiterhin in den Bibliotheken. Hier ist es m.E. zwingend geboten, dass Namen von PlagiatorInnen bekannt sein müssen. Auch wenn sie die Wissenschaft und den öffentlichen Raum verlassen haben, denn ihre Schriften bleiben erhalten. Aus meiner Sicht ein Fehlurteil.

  • #10

    Dr. Weissnix (Freitag, 23 November 2018 11:02)

    Hier schlägt nun mal wieder der Streisand-Effekt zu:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Streisand-Effekt

    Und der Hinweis des Gerichts, die Autorin habe die Wissenschaft und damit die Sozialsphäre verlassen, ist kurios: Die plagiierten Bücher stehen nach wie vor in den Bibliotheken. Wie soll ich als Dozent die Studierenden darauf hinweisen, daß diese Bücher nicht zitierfähig sind, wenn ich den Namen der Autorin nicht erwähnen darf?