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Häufiger mal nach den Sternen greifen

Vorbild Elon Musk? Wenn wir als Gesellschaft innovativer
werden wollen, müssen wir der angewandten Forschung endlich
mehr Wertschätzung einräumen. Ein Gastbeitrag von Muriel Helbig
und Peter Ritzenhoff.

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Artikelbild: Häufiger mal nach den Sternen greifen

Bild: fancycrave1 / Pixabay.

MENSCHEN WIE ELON MUSK mögen uns inspirieren, wie Jan-Martin Wiarda schrieb, der Erfolg von Biontech mag Mut machen zu weiteren Innovationen made in Germany. Eine Agentur für Sprunginnovation soll dabei unterstützen, Typen wie Musk und Erfolge wie Biontech hervorzubringen. Das ist gut.

Wichtig wäre es, dafür auch den (zugegeben weit weniger spektakulären) Blick auf die Basis zu richten. Es verwundert, dass wir in Deutschland nach wie vor zu wenig Wert auf die angewandte Forschung legen – mehr noch: sie nicht


Muriel Helbig ist Präsidentin der Technischen Hochschule Lübeck. Sie gehört zum Sprecherkreis der Fachhochschulen in der Hochschulrektorenkonferenz und ist seit 2020 Vizepräsidentin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes.

Peter Ritzenhoff ist Vorstandsvorsitzender der Hochschulallianz für den Mittelstand. Bis September 2020 war er Rektor der Hochschule Bremerhaven.


ausreichend wertschätzen. Die angewandte Forschung besetzt derzeit noch nicht ansatzweise einen so prominenten Platz wie die Grundlagenforschung, was sich auch in den Förderstrukturen deutlich macht.

Dabei sind wir in Deutschland auch stark von zukunftsfähigen, also innovativen, klein- und mittel-


ständischen Unternehmen abhängig. Wir brauchen Leuchttürme wie Biontech ebenso, wie wir Innovation und Entwicklung in der Fläche brauchen. Nur so kommen wir an einenregelmäßigen Strom an neuen Erkenntnissen, die in die Umsetzung kommen – und die dabei durchaus auch mal scheitern dürfen. Die schließlich aber eben auch der einen oder anderen Type und der einen oder anderen erfolgreichen Entwicklung den Weg bereiten.

Seit einigen Jahren steht hierfür die Idee einer Deutschen Transfergemeinschaft im Raum, die zum Ziel haben soll, "Innovationen auf die Straße" zu bringen – auf die eher abgelegene Landstraße ebenso wie auf die international verbindende Autobahn, um im Bild zu bleiben.

Demnächst soll eine Weiterentwicklung dieses Konzeptes unter dem neuen Namen "D.Innova" veröffentlicht werden.* Eine solche Innovationsagentur würde bisherige Einzelinitiativen und Förderprogramme zusammenfassen und erweitern. Sie sollte Hochschulen und Wirtschaft, aber auch Zivilgesellschaft und Verwaltung beim Wissens- und Technologietransfer fördern, bei der Umsetzung von als "machbar" und marktrelevant identifizierten F&E-Projekten mit regionalen Partnern. Sie würde Ausgründungen aus der Wissenschaft unterstützen und Forschenden dabei helfen, innovative Fragestellungen zu bearbeiten, für die noch keine Umsetzungspartner vorhanden sind. Neben der Projektförderung – für die die "D.Innova" auch eigene Förderprogrammlinien entwickeln sollte – ginge es aber um noch mehr: um die Unterstützung auch bei der Internationalisierung, oder um die Initiierung von Kooperationen beispielsweise zwischen lokalen Hochschulen und Unternehmen.


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Wir wären mit der "D.Innova" übrigens gar nicht wahnsinnig innovativ, sondern würden international lediglich nachziehen mit Agenturen wie ISERD in Israel, der Innosuisse in der Schweiz oder der schwedischen Vinnova.

Angewandte Forschung ist die unbedingt notwendige Verbindung zwischen Grundlagenforschung und Markteintritt. Angewandte Forschung, in die Umsetzung gebracht, ist der Nährboden für die Expertise, die Erfahrung und den Mut, die Innovationen möglich machen, uns erlauben, gesamtgesellschaftlich Schritt zu halten – und dabei hoffentlich auch die ein- oder andere Jahrhundertidee hervorzubringen. Den im Beitrag genannten Beispielen Elon Musk, Uğur Şahin und Özlem Türeci ist gemein, dass sie einen internationalen Hintergrund haben. Sie sollten uns Vorbild sein, Talente geschlechts- und herkunftsunabhängig zu suchen und Träume global zu verwirklichen.

Zwar wird es nicht immer gleich ein Impfstoff in Rekordzeit oder ein neues Raumfahrtunternehmen sein. Aber greifen wir ruhig nach den Sternen und ermöglichen dabei einzelne große, sowie eben auch viele kleine Erfolge. Die Mischung macht’s.

* Autorenteam: Hans-Hennig von Grünberg, Muriel Helbig, Anna Christmann, Kai Gehring


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