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Ärger um Neugebauer

Es rumort in der Fraunhofer-Chefetage: Vorwürfe von Mitarbeitern gegen ihren Präsidenten häufen sich. Kurz vor der Bundestagswahl beantwortet die Bundesregierung nun eine parlamentarische Anfrage der FDP zu den Vorgängen.

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Artikelbild: Ärger um Neugebauer

Fraunhofer-Präsident Reimund Neugebauer. Foto: FhG.

ES WAREN SCHWERE VORWÜRFE, die die Wirtschaftswoche zitierte. Reimund Neugebauer, der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, gebärde sich wie ein "Professor Autokrat" und als "Hobbydespot". Er und seine Verbündeten hielten Fraunhofer Insidern zufolge mit einem "Klima der Angst" im Griff. Die Forschungsorganisation wies diese Darstellungen als unzutreffend zurück.

Doch außer von Gefühligkeiten berichtete die Wirtschaftswoche auch von konkreten Vorgängen, die,


sollten sie sich so zugetragen haben, ein äußerst fragwürdiges Licht auf Neugebauer und sein Umfeld werfen – und das kurz, nachdem der 68 Jahre alte Maschinenbauer erneut zum Fraunhofer-Präsidenten gewählt worden ist. Schon vor der nächsten turnusmäßigen Sitzung des Fraunhofer-Senats und – auch das ungewöhnlich – per Umlaufverfahren. Was es nach ihrer Kenntnis noch nicht gegeben habe, wie die Bundesregierung auf Anfrage einräumte.

Am erstaunlichsten für außenstehende Beobachter: Neugebauers Frau, "lange eine Künstlerin von lokaler Präsenz" (Wirtschaftswoche), wurde 2018 ehrenamtliche Schirmherrin des Fraunhofer-Netzwerks "Wissenschaft, Kunst, Design". Entscheidend sei, "dass sie das als Marketingplattform benutzt hat und das von Fraunhofer finanziert wurde", zitiert das Magazin einen ungenannten Fraunhofer-Wissenschaftler, während Fraunhofer betont, Compliance-Regeln seien nicht verletzt worden und Neugebauers Anwältin mitteilte, ihre Mandantin habe nicht persönlich vom Netzwerk profitiert.

Fragen um Neugebauers Frau

Den FDP-Wissenschaftspolitiker Thomas Sattelberger haben diese und weitere Berichte von Whistleblowern dennoch auf den Plan gerufen. Er hat in einer aus zwölf Punkten bestehenden parlamentarischen Anfrage Auskunft von der Bundesregierung verlangt, was da bei Fraunhofer los ist, und nun Antworten erhalten, die jedoch – gelinde gesagt – sehr allgemein ausfallen.

Welche Konsequenzen die Bundesregierung aus der "Funktion der Präsidentengattin" in dem Netzwerk ziehe, wollte Sattelberger wissen. Die Antwort, unterzeichnet von dem parlamentarischen BMBF-Staatssekretär Michael Meister: "Ehrenamtliche Schirmherrschaften innerhalb der Fraunhofer-Gesellschaft unterliegen nicht der Zuständigkeit des Senats."

Und so wortkarg geht es weiter. Ob es zutreffe, dass Neugebauers Frau ihren Mann "ohne eigene Funktion für die Fraunhofer-Gesellschaft auf Fraunhofer-Kosten (und damit auch Steuerzahler-Kosten) auf Reisen und anderen Terminen begleitet hat, und dies ohne inhaltliche Mitwirkung", fragte Sattelberger. Die Antwort: Fraunhofer sei zuwendungsrechtlich verpflichtet, das Bundesreisekostengesetz anzuwenden. "So wird Sorge getragen, dass keine Besserstellung gegenüber Bundesbeamten erfolgt. Nach Auskunft der Fraunhofer-Gesellschaft hat Frau Dr. Ing. Neugebauer in Einzelfällen und anlassbezogen Herrn Prof. Neugebauer begleitet."

Wobei zweierlei auffällt: Das BMBF gibt keine Antwort auf Sattelbergers Frage, wer die Reisen bezahlt hat – und sie hat dazu auch keine eigenen Recherchen vorgenommen, sondern bezieht sich auf die "Auskunft der Fraunhofer-Gesellschaft".

Eine Formulierung, die an insgesamt vier Stellen in der BMBF-Rückmeldung auftaucht. Ein juristischer Trick, um sich aus der Verantwortung zu ziehen? Oder ein Zeichen, dass jetzt doch noch genauer hingeschaut wird?

Büros, Dienstfahrten und Geburtstagskolloquien

Das wäre auch an anderer Stelle dringend notwendig. Etwa zur Aufklärung von Whistleblower-Berichten, Fraunhofer unterhalte für seinen Präsidenten nicht nur in Berlin, München und Dresden jeweils ein eigenes Büro, sondern Neugebauer stehe auch an jedem dieser Orte jeweils ein eigener Fahrer zur Verfügung.

Sattelberger hat in seiner Anfrage auch zu diesen Gesichtspunkten um eine Stellungnahme der Bundesregierung gebeten und folgende Antwort erhalten: "Die vertraglich festgelegten Arbeitsorte des Präsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft sind München und Dresden. Nach Auskunft der Fraunhofer-Gesellschaft nutzt er am Standort Berlin im "Fraunhofer-Forum" einen Besprechungsraum; es stehen ihm an den jeweiligen Standorten keine eigenen Fahrer zur Verfügung; er nutzt bei Bedarf die Fahrbereitschaft." Da ist es wieder: das "nach Auskunft".

Die Wirtschaftswoche berichtete, vor der Coronakrise sei Neugebauer immer montags mit der ersten Maschine von Dresden nach München gependelt, "in München empfing er Vorstand und Direktoren zu Gesprächen. Dienstags, spätestens mittwochs war die Visite vorbei. Neugebauer flog zurück nach Dresden, wo er sich, wie es in Fraunhofer-Kreisen heißt, ein "prächtiges Präsidialbüro" ausgehandelt hat."

Die Unzufriedenheit bei Fraunhofer muss groß sein – so zahlreich sind die durchgestochenen Berichte über Neugebauers Führungsverhalten inzwischen. Einen weiteren kritischen Punkt spricht Sattelberger in seiner Anfrage an: Ob es "nach Kenntnis der Bundesregierung" zutreffe, "dass es Geburtstagskolloquien zu Ehren des Präsidenten gab, wie wurden diese Kolloquien und das dortige Catering finanziert, und wer hatte bei diesen Kolloquien Zutritt?"

Antwort: Ja, "ein Fachkolloqium bzw. eine Netzwerkveranstaltung" anlässlich von Neugebauers 60. Geburtstag habe es gegeben, "mit wissenschaftlichen und wissenschaftsstrategischen Vorträgen sowie Fach- und Projektgesprächen". Und zum 65. habe eine Abendveranstaltung im Vorfeld einer Fraunhofer-Wissenschaftskonferenzreihe stattgefunden. "Zutritt zu beiden Fachkolloquien hatten nach Auskunft der Fraunhofer-Gesellschaft Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft." Die Kosten seien "nach Auskunft der Fraunhofer-Gesellschaft" von der Fraunhofer-Gesellschaft übernommen worden. Unkonkreter kann man wohl eine Gästeliste nicht beschreiben, die Kriterien, nach denen eingeladen wurde, bleiben komplett unklar. Klar ist: Fraunhofer hat alles bezahlt.

Personalkarussell in der Chefetage

Ein zunehmendes Problem für Fraunhofer ist auch, dass das Führungspersonal in großem Umfang und teilweise wiederholt ausgetauscht wird und die Verweildauer im nahen Umfeld Neugebauers zum Teil sehr kurz zu sein scheint. Die Wirtschaftswoche führte die Technologievorstände Alexander Verl, Georg Rosenfeld und Ralf Wehrspohn auf und Finanzchef Alfred Gossner. Auch dessen Nachfolger Andreas Meuer soll bald gehen, berichtete das Magazin, und Kommunikationschef Janis Eitner hat inzwischen ebenfalls seinen Abschied offiziell bekanntgegeben.

Sattelberger fragte nach: "Welche Schlussfolgerungen für ihr Handeln im Senat der Fraunhofer-Gesellschaft zieht die Bundesregierung aus den Abgängen dreier Technologie-/Marketing- bzw. Geschäftsmodell- Vorstände in wenigen Jahren, und betrachtet sie Wechsel in dieser Frequenz als normal?"

Die kurz angebundene Antwort der Bundesregierung: "Mit möglichen Schlussfolgerungen befassen sich der Senat und die hierfür eingesetzte Findungskommission. Die Bundesvertreter nehmen ihre Verantwortung auch in dieser Frage wahr." Nur wüsste man allmählich gern, welche Schlussfolgerungen das sein sollen – und warum, wenn sich mit diesen der Senat befasst, er gerade erst die Wiederwahl Neugebauers per Umlaufbeschluss durchgewunken hat.

Die schnelle Wiederwahl hatte Heinz Jörg Fuhrmann, der Vorsitzender des Fraunhofer-Senats, mit der "weitere(n) Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie" begründet – und mit den "längerfristige(n) Aufgaben mit dem Ziel der Unterstützung der deutschen sowie der europäischen Wirtschaft im globalen Wettbewerb", die "Wissenschaft und Forschung –und damit auch die Fraunhofer-Gesellschaft – vor erhebliche Anforderungen" stellten. "Vor diesem Hintergrund ist die Verlängerung des präsidialen Mandats von Prof. Neugebauer ein klares Bekenntnis zugunsten der aktuell bewiesenen Stabilität der Organisation wie auch zu deren kontinuierlicher Weiterentwicklung als führende Institution der angewandten Forschung in Europa", sagte Fuhrmann weiter.

Mit anderen Worten: Einen Führungswechsel könne man sich in solch einer Krisensituation nicht leisten, befanden die Neugebauer wählenden Senatsmitglieder. Stabilität sei jetzt angesagt.

Fraunhofers Krisen

Das mit der Krise ließ sich indes durchaus auch auf die Forschungsorganisation direkt beziehen. Coronabedingt brachen vielen Fraunhofer-Instituten Drittmittel-Forschungsaufträge der Industrie weg, was der Bund allein 2020 mit 195 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket kompensierte. Fraunhofer-Ausgründer berichteten zudem von schweren Problemen mit den geltenden Ausgründungsbedingungen.

Ärger gab es auch um Verzögerungen bei der Batterie-Forschungsfabrik in Münster. Die Vergabe der 500 Millionen Euro schweren Projekts in die Nähe von Anja Karliczeks Wahlkreis war von Anfang an umstritten und führte zur schwersten politischen Krise der CDU-Bundesforschungsministerin. Fraunhofer war im Auswahlprozess maßgeblich beteiligt und ist es auch bei der Umsetzung des Projekts selbst. Dieses Frühjahr stellte sich dann auch noch heraus, dass der Kern der Anlage nicht wie versprochen 2022, sondern erst mit Jahren Verzögerung fertigwerden soll. Was auch zeigt: Fraunhofer-Krisen sind sehr schnell auch BMBF-Krisen und umgekehrt.

Ein weiteres internes Großprojekt, die Fraunhofer-weite Einführung der SAP-Software, klemmt ebenfalls und musste bereits auf 2022 verschoben werden, Ausgang offen. Bei alldem gab es intern immer wieder Kritik am Führungsstil Neugebauers, dieser agiere selbstgefällig und wenig integrativ.

FDP-Mann Sattelberger fragte nach, wie die Bundesregierung den Stand bei der SAP-Einführung beurteile und welche Konsequenzen sie daraus ziehe.

Die Fraunhofer-Gesellschaft habe "durchgängig in allen Gremien, in denen die Bundesregierung vertreten ist", zu dem SAP-Projekt berichtet, heißt es in der Antwort aus dem BMBF. "Demnach vollzieht sich die SAP-Einführung im Rahmen des aktuell bestehenden Umsetzungsplans. Die Einführung von SAP ist demnach im Januar 2022 vorgesehen."

FDP-Mann Sattelberger: Vorwürfe ausräumen

Auch hier verlässt sich das BMBF also bislang ausschließlich auf die Aussagen von Fraunhofer und hinterfragt diese nicht oder wenn, dann nur intern.

Übermorgen ist Bundestagswahl, in wenigen Wochen oder Monaten steht die neue Bundesregierung. Ob sie wohl genauer wird wissen wollen, was bei Fraunhofer los ist?

Thomas Sattelberger, voll im Wahlkampfmodus, sagt, das BMBF spiele "das große Versteckspiel. Das Ministerium antwortet nicht, undurchsichtig oder nichtsagend." Im Wesentlichen habe das BMBF seine Antworten von Fraunhofer formulieren lassen und reiche sie als seine eigenen weiter. Sattelberger findet: "Das deutsche Wissenschaftsmanagement hat es verdient, dass es tadellos dasteht. Daher kann ich nur wiederholen: Neugebauer muss die Vorwürfe endlich ausräumen."

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