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Die Seitenwechslerin

Nach Wochen der Unsicherheit wird mit Karin Prien die bekannteste Kultusministerin zur designierten Bundesministerin für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Nun muss sie ein XXL-Ministerium zusammenhalten und ihre Reformpläne verwirklichen.

Karin Prien. Foto: Frank Peter/Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Schleswig-Holstein.

AM MONTAGMORGEN um kurz nach neun war es dann offiziell. Noch bevor der kleine CDU-Parteitag begann, stellte Friedrich Merz die designierten CDU-Bundesminister im Parteipräsidium vor. Schon am Wochenende war durchgesickert, dass auch Karin Prien dabei sein würde. Sie soll das Ressort für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend übernehmen.

 

Ein Selbstläufer war das zuletzt nicht. Denn obwohl die 59-Jährige seit Jahren als profilierteste CDU-Bildungspolitikerin gilt, obwohl sie das Bildungskapitel des schwarz-roten Koalitionsvertrages federführend ausgehandelt hatte und obwohl sie die Favoritin für den Ministerposten war, kursierte seit dem 9. April, dem Tag, an dem Union und SPD ihren Koalitionsvertrag präsentiert hatten, plötzlich ein anderer Name: Silvia Breher aus Niedersachsen, bisher CDU/CSU-Fraktionsvize und familienpolitische Sprecherin.

 

Hinter vorgehaltener Hand hieß es, Merz überlege, Prien nicht zur Ministerin zu machen, weil sie aus dem kleinen Schleswig-Holstein stamme und bereits ein anderer Schleswig-Holsteiner, Johann Wadephul, das Außenamt übernehmen solle. Niedersachen müsse dagegen noch bedient werden. Sollte es also einmal mehr so laufen: innerer Parteiproporz vor Erfahrung und Expertise? Die Wunschbesetzung für die vermeintlichen Ressort-Schwergewichter führt dazu, dass das Spitzenpersonal von in der Hackordnung weiter unten stehenden Ministerien als regionalpolitischer Ausgleich herhalten muss? 

 

Für die ambitionierten bildungspolitischen Pläne, die Prien mit ihren Mitstreiterinnen, vor allem Stefanie Hubig von der SPD, in den Vertrag geschrieben hatte, wäre das ein denkbar schlechtes Vorzeichen gewesen – und der Ministerienumbau wohl ein Rohrkrepierer.

 

Bildungspolitischer Umbau
mit Chance und Risiko

 

Die Bildung soll aus dem bisherigen Bundesministerium für Bildung und Forschung herauswandern und mit der Jugend vereint werden, so hatten es Union und SPD vereinbart. Das Ziel, ganz in Priens Sinne, endlich eine strategische Bildungspolitik entlang der gesamten Bildungskette zu ermöglichen, von der Kita über die Schule und Ausbildung bis zur Fort- und Weiterbildung (mit Ausnahme der Hochschule, die voraussichtlich im Forschungsministerium bleiben soll). 

 

Der Preis war, dass Bildung in ein bestehendes Riesenressort und Sammelministerium wechselt, und ohne eine bildungspolitisch versierte Leitung drohte statt dem Aufbruch der Untergang zwischen Familie, Senioren und Frauen. Die Familienpolitikerin Breher als Ministerin wäre hierfür fast schon eine Symbolfigur gewesen.

 

Und für Prien eine persönliche Enttäuschung, war ihre Karriere in den vergangenen Jahren doch immer eindeutiger auf das Spitzenamt im Bund zugelaufen: seit 2017 Ministerin für Allgemeine und Berufliche Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur in Schleswig-Holstein, Vorsitzende des Fachausschusses Bildung, Forschung und Innovation der CDU, 2022 Präsidentin der Kultusministerkonferenz, seit 2024 Koordinatorin der CDU-geführten Länder in der KMK, der sogenannten B-Seite. 

 

Sie kämpfte für die Reform der KMK, das neue CDU-Grundsatzprogramm von 2024 trug ihre bildungspolitische Handschrift. Im Januar 2025 hatte sie zusammen mit Hubig, der sozialdemokratischen Bildungsministerin aus Rheinland-Pfalz, und ihrer grünen Amtskollegin aus Baden-Württemberg, Theresa Schopper, einen weitreichenden Vorschlag für messbare Bildungsziele vorgelegt – dessen Kern auch im Koalitionsvertrag auftaucht. Zuletzt hatte Prien, die innerhalb ihrer Partei zu den Liberalsten zählt, sich in ihren öffentlichen Äußerungen Merz angenähert, etwa zu Fragen der Migration – was einige ihrer engen Begleiter verwunderte, aber vor allem als Ausdruck ihrer Ambitionen gewertet wurde, nach dem ganzen Vorlauf nun auch wirklich Bundesministerin zu werden.

 

Geprägt durch die
Geschichte ihrer Familie

 

Und dann folgte die Hängepartie seit dem 9. April. Wie lange sie für Prien wohl persönlich dauerte? Dass Merz sich trotz der oben beschriebenen Parteiproporz-Logik, unter der das BMBF in der Vergangenheit wiederholt gelitten hatte, für Prien entschied, ist in seiner Bedeutung für das Standing der Bildungspolitik in der neuen Bundesregierung kaum zu überschätzen – und hierfür wird nun wiederum Karin Prien zur Symbolfigur.

 

Ihre politische Identität ist geprägt durch die Geschichte ihrer Familie: Der Vater ihrer Mutter war Jude und flüchtete mit seiner nichtjüdischen Frau 1935 aus Krefeld in die Niederlande. Ihr jüdischer Großvater väterlicherseits, Sozialdemokrat und Anwalt, überlebte knapp die Nazis in Prag, wurde dann von den Kommunisten verfolgt. 1948 floh er nach Amsterdam, dort lernten sich ihre Eltern in der Schule kennen, dort wurde sie 1965 geboren. Nach dem Studium ihres Vaters, da war Karin Prien vier, zog die Familie nach Deutschland. Prien engagiert sich seit vielen Jahren im Jüdischen Forum der CDU, inzwischen als dessen Sprecherin.

 

2017 aus Hamburgs Stadtpolitik gewechselt, wurde die Rechtsanwältin 2018 stellvertretende Landeschefin in Schleswig-Holstein. Bis 2019 war sie Frontfrau der "Union der Mitte", die sich heftige Debatten mit der erzkonservativen "Werteunion" lieferte. Ihr Weggang – sie wollte eine Flügelbildung in der CDU verhindern – war das faktische Ende für die "Union der Mitte".

 
Lange gab Prien sich alle Mühe, als unabhängig wahrgenommen zu werden. Als die BILD sie einmal dem Team von Friedrich Merz zuschlagen wollte, bezeichnete sie sich prompt als "eigenständige Akteurin", nicht nur als "Garnitur". "Wir unterscheiden uns vom Habitus", sagte die Mutter dreier erwachsener Söhne damals. "In vielen Positionen sind wir gar nicht so unterschiedlich, wobei es natürlich schon Unterschiede gibt."

 

Ende Januar 2025, am Tag nach dem CDU-Entschließungsantrag zum "Fünf-Punkte"-Migrationsplan im Bundestag, der mit AfD-Unterstützung durchging, sprach Prien in den Kieler Nachrichten von einer "Zäsur": Die Bilder der jubelnden, geifernden Rechtsextremisten der AfD, die ich am Mittwoch gesehen habe, erschrecken mich sehr." Anstatt Merz zu kritisieren, nimmt sie dann jedoch "alle Parteien der demokratischen Mitte" in die Verantwortung. Diese müssten zeigen, dass die noch in der Lage seien, Lösungen für die Migrationsfrage zu finden, "sonst haben wir in Deutschland bald österreichische Verhältnisse".

 

In der Corona-Zeit erwarb sich Prien als Bildungsministerin den Ruf einer unerbittlichen Kämpferin für offene Schulen – was ihr allerdings teilweise auch heftigen Gegenwind einbrachte. In Schleswig-Holstein kämpfte sie mit Unterrichtsausfall, Lehrermangel und steigenden Schulabbrecherquoten. Kritisiert wurde sie für die Streichung von Schulstunden und die Vergrößerung von Lerngruppen, etwa im Bereich Deutsch als Fremdsprache. Doch selbst ihre politischen Gegner bescheinigten ihr Fleiß, strategisches Denken und die Fähigkeit, Reformen einzuleiten.

 

Gesamtstrategie für ein Ministerium,
dem das Zerfasern droht

 

Vor der künftigen Bundesministerin stehen jetzt große Herausforderungen. Sie muss die Integration der aus dem BMBF stammenden Bildungsreferate ins bestehende BMFSFJ managen, das dadurch zum BMBFSFJ wird. Schon das noch länger werdende Kürzel zeigt die Dimension dieser Aufgabe, die in der Motivation und Führung der alten und neuen Ministeriumsmitarbeiter besteht, aber auch in der möglichst schnellen strategischen Gesamtausrichtung eines Hauses, dem ein Zerfasern in seine Einzelteile leichter fallen könnte als deren Zusammenkommen. 

 

Prien muss die Chance des Hauses im Zusammengehen von Bildung und Jugend nutzen, vor allem durch eine bessere Verknüpfung von Kita und Schule, durch die Ausweitung des Startchancen-Programms auf mehr benachteiligte Schulen, aber auch, wie es der Koalitionsvertrag vorsieht, auf Kitas. Sie muss den 2026 beginnenden Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz für Grundschüler zusammen mit den Ländern quantitativ, aber vor allem auch qualitativ – und das heißt stärker als bislang bildungspolitisch – verwirklichen.

 

Sie muss den von Interims-Bildungsminister Cem Özdemir (Grüne) und Ländern ausgehandelten Digitalpakt 2.0 unter Dach und Fach bringen, was insofern spannend wird, weil sie bislang auf Länderseite federführend verhandelt hat und plötzlich die Seite wechselt. Angesichts des dramatischen Vertrauensverlusts zwischen den föderalen Ebenen unter Bettina Stark-Watzinger (FDP) insgesamt eine Riesenchance auf ein besseres Miteinander von Bund und Ländern.

 

Und hoffentlich holt sie für die Digitalpakt-Fortsetzung mehr heraus als die bislang vorgesehenen 2,5 Bundesmilliarden. Denn, Stichwort Investitionsfonds, auch darauf wird es ankommen: Für Bildung und Jugend, für Digitalisierung, für die Sanierung von Schulen oder Jugendhilfeinrichtungen, einen möglichst großen Anteil der Schuldenmilliarden zu ertrotzen.

 

"Friedrich Merz und ich
ziehen an einem Strang"

 

Und Priens To-Do-Liste ist noch viel länger, gilt es doch, den bildungspolitischen Unterbau des Koalitionsvertrags mit Leben zu erfüllen: die Verbindung von Bildungsgerechtigkeit und Leistungsfähigkeit, untermauert mit dem Anspruch, die Bildungspolitik inklusive der Bund-Länder-Zusammenarbeit stärker als bislang an den erwähnten messbaren Bildungszielen und einer datengestützten Schulentwicklung auszurichten. 

 

Wohlgemerkt sind all das nur die wichtigsten Facetten der Felder Bildung und Jugend. Was die Ministeriumsbereiche für Familie, Frauen und Senioren betrifft, muss Prien sich diese noch umfassend erarbeiten, als Bildungspolitikerin betritt sie hier zum großen Teil Neuland. Sie muss auch diesen Themen gerecht werden, darf sich aber auf keinen Fall von ihnen inhaltlich von ihren entscheidenden Aufgaben in der Bildungspolitik ablenken lassen. 

 

Bei der Qualität von Kitas, Schulen und Hochschulen handelte es sich "in Wirklichkeit um eine Existenzfrage unserer Wirtschaft, aber auch unseres politischen Systems", hatte Karin Prien Ende 2023 in einem Interview hier in Blog gesagt und hinzugefügt, Friedrich Merz sei jemand, "der von dem Ziel der Chancengerechtigkeit zutiefst überzeugt ist. Wir ziehen da an einem Strang." Was das praktisch bedeutet, wird nun bald zu sehen sein.




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Kommentare: 3
  • #1

    Isabelle (Montag, 28 April 2025 13:32)

    Es muss B-Seite heissen

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Montag, 28 April 2025 13:40)

    Ich bitte um Entschuldigung, ist korrigiert!

  • #3

    Spatzenmichel (Mittwoch, 30 April 2025 18:11)

    BM BFSFJ = Bundesministerium für
    Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend?

    Ich wünsche viel Erfolg.