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Vorteil Günther-Wünsch

Warum die designierte Berliner Bildungssenatorin die richtige Besetzung zur richtigen Zeit sein könnte: für die Hauptstadt genauso wie für den Bildungsföderalismus.

Katharina Günther-Wünsch. Foto: Sandro HalankCC BY-SA 4.0.

KATHARINA GÜNTHER-WÜNSCH wird, wenn die geplante schwarz-rote Koalition nicht mehr am SPD-Mitgliedervotum scheitert, neue Bildungssenatorin in Berlin. In der Personalie liegt eine große Chance. Für die Hauptstadt. Aber auch für die föderale Bildungspolitik. Das hat zu tun mit Günther-Wünsch als Person, mit einer einzigartigen bildungspolitischen Konstellation in Berlin und einem gremienpolitischen Zufall auf Bundesebene.

 

Zuerst zur Person: Günther-Wünsch, geboren 1983 in Dresden, ist Lehrerin für Chemie, Geschichte und Politik, sie hat an deutschen Auslandsschulen in Namibia und Südafrika unterrichtet und war bis zu ihrer Wahl ins Abgeordnetenhaus Ende 2021 stellvertretende Schulleiterin der Walter-Gropius-Schule. Als CDU-Frau an einer Gesamtschule, und nicht an irgendeiner, sondern an der ersten in Berlin und Deutschland, 1968 gegründet als Inbegriff der Hoffnungen einer linken Bildungspolitik. 

 

Ihre berufliche Herkunft hat sie gemeinsam mit ihrer noch amtierenden Vorgängerin, Sabine-Astrid Busse. Im Gegensatz zu dieser ist Günther-Wünsch, Mutter drei Kinder, aber auch Politikerin durch und durch. Zielstrebig hat sie innerhalb von zehn Jahren die Parteihierarchie erklommen, vom einfachen CDU-Mitglied im Ortsverband Kaulsdorf-Mahlsdorf über den stellvertretenden Fraktionsvorsitz in der Bezirksverordnetenversammlung von Marzahn-Hellersdorf bis hin zum Mitglied im Landesvorstand und zur bildungspolitischen Sprecherin der CDU-Abgeordnetenhaus-Fraktion.

 

Eine Pädagogin jenseits der traditionellen Links-Rechts-Ideologien, eine parteipolitische Strippenzieherin mit Hausmacht und ausgezeichnetem Draht zum künftigen Regierenden Bürgermeister Kai Wegner, die ihre Ambitionen nicht versteckt, sondern pusht. 

 

Warum Kai Wegner so frühzeitig
das Bildungsressort reklamierte

 

Und das inmitten einer einzigartigen bildungspolitischen Konstellation in Berlin: Traditionell befindet sich das Bildungsressort in SPD-Hand, wie kaum eine andere Metropole in Deutschland ist Berlin geprägt durch Jahrzehnte sozialdemokratischer Bildungspolitik. Doch hatte sich diese, spätestens mit der glücklosen Sandra Scheeres, über viele Jahre hinweg immer deutlicher erschöpft. Sie fand keine Rezepte mehr angesichts der eklatanten sozialen Schieflagen in der Stadt, die in einem besonders hohen Anteil abgehängter Kinder und Jugendlicher resultierten, in Parallelwelten abseits der Schule und regelmäßig hinteren Plätzen in den nationalen Bildungsvergleichen. Und all das trotz der höchsten Bildungsausgaben pro Kopf.

 

So wurde das Bildungsressort, bekannt für seinen kaum steuerbaren Verwaltungsapparat, zerrieben zwischen Landes- und Bezirkszuständigkeiten, in den letzten rot-rot-grünen Koalitionen zur No-Go-Area für ambitionierte Parteipolitiker, die keiner mehr besetzen wollte. Was niemanden daran hinderte, es weiter mit allen möglichen Heilserwartungen zu überfrachten. 

 

Astrid-Sabine Busse wurde dann geholt, nicht obwohl sie keine Politikerin war, sondern weil sie keine Politikerin war. Eine Mischung aus Verlegenheitslösung und der Hoffnung Franziska Giffeys, dass Busse vielleicht irgendwie doch die rettende Idee kommen würde. Nur dass 30 Jahre als Leiterin der Grundschule in der Kölnischen Heide in Neukölln einem wenig helfen, wenn es darum geht, der machtpolitischen Bedeutungslosigkeit des eigenen Ressorts etwas entgegenzustellen.

 

Umso bemerkenswerter, dass Kai Wegner das Bildungsressort bereits für die CDU reklamiert hatte, bevor die Wahl überhaupt gelaufen war. Er konnte es mit einer Katharina Günther-Wünsch im Rücken tun und mit der Gewissheit, dass auf kaum einem anderen Politikfeld der Wunsch nach einem Neustart so groß war wie in der Bildung – und zwar auch, das ist das Frappierende, im linken Wählerlager. Er konnte es, weil Günther-Wünsch mit ihrer Gesamtschul-Sozialisation eben nicht im Verdacht einer konservativen Betonpädagogik steht. 

 

Das neue Amt bringt ihr auch
die KMK-Präsidenschaft

 

Genau darin steckt auch die Chance für die föderale Bildungspolitik, die zu tun hat mit einem gremienpolitischen Zufall auf Bundesebene. Günther-Wünsch übernimmt nicht nur das Amt der Berliner Bildungssenatorin, sondern auch die Präsidentschaft der Kultusministerkonferenz, der Instanz, in der die Bundesländer ihre Bildungspolitik koordinieren. Berlin führt dort turnusmäßig dieses Jahr den Vorsitz. 

 

Wer fürchtet, die Newcomerin könnte mit dieser Aufgabe überfordert sein, überschätzt die Performance Astrid-Sabine Busses. Diese hat in ihren drei Monaten als KMK-Chefin nicht nur keinerlei Akzente gesetzt, sondern Führung dort, wo sie nötig gewesen wäre, vermissen lassen. Bei der butterweichen Antwort der Kultusminister auf die scharfen Empfehlungen der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) zum akuten Lehrermangel. Und bei dem Bemühen, dem Bildungsföderalismus die starke Stimme zu geben, die er so dringend braucht, um im öffentlichen Wahrnehmungswettstreit mit dem Bund bestehen zu können. 

 

Günther-Wünsch muss und kann nun an die Linie anschließen, die im vergangenen Jahr Karin Prien als KMK-Präsidentin gezogen hat, auch diese eine CDU-Kultusministern mit ausgeprägtem bildungspolitischen Pragmatismus und einem Drang zur Macht, der ihr selbst nützt, aber auch dem Ressort, das sie vertritt. Seit Prien 2017 Ministerin in Schleswig-Holstein wurde, richtet sie ihre Schulpolitik konsequent nach dem Vorbild des Hamburger SPD(!)-Bildungssenators Ties Rabe aus. Der hat durch mehr Schulautonomie, durch eine datengestützte Schulentwicklung und eine strategischen Akribie auch in den kleinen Dingen die Schulen der Hansestadt innerhalb eines Jahrzehnts im Bundesvergleich nach vorn geschoben – trotz einem ähnlichen Anteil von Schülern aus sozial benachteiligten Familien wie in Berlin.

 

Zugleich hat Prien mit Vehemenz die dringend überfällige und so lang versprochene Reform der Kultusministerkonferenz und ihrer Verwaltung vorangetrieben. Sie hat die Sitzungsfrequenzen erhöht, für mehr Transparenz bei den bundesweiten Schulstatistiken gekämpft, und bei all dem hat sie keine Gelegenheit zum Interview ausgelassen: zugespitzt, streitbar und gelegentlich mit Breitseiten gegen die Bundesbildungsministerin. 

 

Eine moderne CDU-Bildungspolitik
ausbuchstabieren

 

Wenn Günther-Wünsch gut beraten ist, wird sie in Prien, in Hessens Kultusminister Alexander Lorz und anderen Verbündete suchen und finden, um eine moderne CDU-Bildungspolitik für die Hauptstadt auszubuchstabieren, die anschlussfähig ist an eine moderne Bildungspolitik von SPD und Grünen, wie sie in Hamburg und anderswo betrieben wird. Deren gemeinsamer Nenner ist, dass sie das Entweder/Oder der alten bildungspolitischen Fronten überwindet.

 

Parallel muss sie dem Bildungsföderalismus seinen seit Anfang 2023 verlorenen Drive wiedergeben, den er braucht, um die anstehenden großen Reformschritte zu schaffen. Im Dezember sollen sie beschlossen werden: die Bestandteile und die und Umsetzungsplanung des Projekts "KMK 2025". Das werden harte Monate. Aber wer Günther-Wünsch schon begegnet ist, spürt: Das weiß sie. Und es macht ihr nichts. 



Fünf Prozent mehr und weg mit der Berliner Postdoc-Regel

Welche Pläne der designierte schwarz-rote Senat für die Wissenschaft und Hochschulen der Hauptstadt hat

Die Hochschulleitungen sind zufrieden. Der Tagesspiegel zitierte den Präsidenten der Freien Universität, Günter M. Ziegler, am Montag mit der Einschätzung, beim Wissenschaftskapitel des schwarz-roten Berliner Koalitionsvertrages stimme "die Richtung". 

 

Was sich vor allem auf die Ansage bezieht, die Hochschulfinanzierung von 2024 an um jährlich fünf Prozent zu steigern – nach 3,5 Prozent bislang. Ein im Bundesvergleich sehr hoher Wert, allerdings gab es bis 2017 über zwei Jahrzehnte eine Sparrunde nach der anderen, so dass Berlins Hochschulen bei den Ausgaben pro Studierenden immer noch im unteren Drittel der Bundesländer liegen.

 

Das Loch, das die Rekordinflation bis Anfang nächsten Jahres gerissen haben wird und die absehbare Höhe der Tarifabschlüsse weiter reißt, werden zudem auch die fünf Prozent über Jahre nicht einholen, selbst wenn die Teuerung wie erhofft bald absinken sollte.  Und dennoch: Die Hochschulen in den meisten anderen Bundesländern können von solche Zuwachsraten derzeit nur träumen.

 

Trendsetter war Berlin bislang auch in anderer Hinsicht. Mit ihrem neuen Hochschulgesetz hatte die bisherige rot-rot-grüne Koalition der bundesweiten Debatte über die Entfristung von Postdocs Stoff gegeben. Der neue Senat will die entsprechende Regelung nun aber offenbar kippen. Was aus Sicht der CDU nur folgerichtig ist, hatte sie doch eine Normenkontrollklage dagegen angestrengt. Wie die SPD diesen hochschulpolitische Kehrtwende erklären will – hatten doch auch ihre Wissenschaftspolitiker einst mit Sekt auf die neue Regelung angestoßen – ist dagegen offen. 

 

Ebenso wie die Frage, welchen Einfluss die Berliner Entscheidung auf die bundespolitische Debatte über die geplante Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) haben wird. Je nach Perspektive galt die Berliner Regelung als Ansporn oder Abschreckung. Während etwa das BMBF stets darauf verwies, dass unabhängig vom WissZeitVG die Länder die Hauptverantwortung für mehr Dauerstellen an  

den Hochschulen trügen – und mithilfe etwa des Zukunftsvertrages auch Bundesgeld unter anderem genau dafür bekämen. 

 

Jedenfalls heißt es jetzt im neuen Koalitionsvertrag, es solle der Grundsatz gelten, "dass aus Grundmitteln finanzierte Arbeitsverhältnisse an den Hochschulen nur dann befristet werden, wenn sie der wissenschaftlichen Qualifizierung dienen." Gleichzeitig wollen CDU und SPD sicherstellen, dass den Hochschulen zu jeder Zeit eine "angemessene Anzahl von Qualifizierungsstellen zur Verfügung steht".

 

Der linke Wissenschaftspolitiker Tobias Schulz liegt wohl richtig mit seiner Interpretation, dass Entfristungen offenbar (wieder) eine "freiwillige Entscheidung der Unis werden" sollen. Was für ihn, einer der Väter der umstrittenen Postdoc-Entfristungsregel, ein "unfassbarer Rückschritt für die bundespolitische Debatte" bedeutet. 

 

Ansonsten will die Koalition unter anderem eine neue "Offensive für Baumaßnahmen zur energetischen Sanierung und Ertüchtigung an Hochschulen" starten – ähnlich ehrgeizige Töne hatte vor nicht allzu langer Zeit auch Rot-Rot-Grün noch gespuckt. Die Hochschulautonomie soll gestärkt, die Lehrverpflichtungsordnung modernisiert werden, Rot-Schwarz will weitere Wege ins Lehramtsstudium ebnen und mehr Lehramtsstudienplätze ausfinanzieren – mit dem schwammig formulierten Ziel von "langfristig mindestens 2500 Absolventinnen und Absolventen pro Jahr" – was die Gewerkschaften bereits als nicht ausreichend kritisieren.

 

Welche Rolle die Wissenschaftspolitik insgesamt  für die neue Koalition spielen wird, ist unterdessen schwer abschätzbar. Dass der designierte Regierende Bürgermeister Kai Wegner nicht studiert hat, muss nichts heißen – das war bei seine Vorvorgänger Michael Müller nicht anders, und in seine Amtszeit fielen aus heutiger Sicht goldene Jahre für die Berliner Wissenschaft. Weniger optimistisch stimmt freilich, dass Wissenschaft das einzige Ressort ist, bei dem die Hauptstadtpresse bislang auf keinen Namen tippen wollte. Die heißen Themen, so scheint es, liegen derzeit woanders. 



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Kommentare: 2
  • #1

    Gerhard Zucklowsky (Dienstag, 04 April 2023 20:05)

    Der durchaus interessante Beitrag spiegelt eine Annäherung
    an die CDU wieder?

  • #2

    Margit Stumpp (Donnerstag, 06 April 2023 09:53)

    Der Beitrag spiegelt eine Annäherung an die bildungspolitische Realität wieder! Ein klarer Blick ohne parteipolitische Scheuklappen ist wohltuend. Dabei muss man sich nirgends annähern.